Neue Bundesratsinitiative Mitte Juli berät der Bundesrat auf Antrag aus Berlin über die Ergänzung des Grundgesetzes mit dem Passus „sexuelle Identität“
Der Berliner Senat hat jetzt eine Bundesratsinitiative beschlossen, damit der Passus der „sexuellen Identität“ im Grundgesetz Artikel 3 aufgenommen wird. Bereits kommende Woche soll das Vorhaben voraussichtlich in den Bundesrat eingebracht werden. Für eine erfolgreiche Abstimmung wäre eine Zweidrittelmehrheit in Bundesrat und Bundestag nötig – die Chancen dazu sind äußerst gering. Seit inzwischen rund 30 Jahren wird versucht, die Ergänzung umzusetzen.
Signal gegen Diskriminierung
Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) betonte: „Der Regierende und ich stehen zur Regenbogenhauptstadt Berlin.“ Man wolle mit der Initiative ein „klares Signal gegen Diskriminierung“ setzen. Insbesondere betonte Kiziltepe die stetig steigenden Fallzahlen in puncto Hasskriminalität gegenüber der LGBTIQ+-Community. Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) hatte die Bundesratsinitiative bereits vor rund zwei Jahren angekündigt – seitdem wartete die queere Community auf die Umsetzung.
Patrick Dörr vom Bundesvorstand des Verbands Queere Vielfalt LSVD+ erklärte dazu: „LSBTIQ* im Grundgesetz explizit zu schützen, ist dringender denn je! Hassrede in sozialen Medien, Beleidigungen auf der Straße und auch tätliche Angriffe auf queere Menschen nehmen in erschreckendem Maße zu. CSDs werden vermehrt zur Zielscheibe rechtsextremer Gruppierungen. Im Bundestag ist die zweitstärkste Fraktion eine, die Hass gegen alles vermeintlich Fremde und damit auch gegen LSBTIQ* schürt. Die Geschichte hat uns gezeigt, dass das Grundgesetz in seiner jetzigen Form kein hinreichender Schutz ist: Auch in der Bundesrepublik wurden queere Menschen ausgegrenzt, systematisch verfolgt und ins Gefängnis gesteckt. Es ist Zeit, dass die Politik diese Schutzlücke endlich schließt!“
LSVD+ betont Schutzlücke
Gespannt blickt der Verein nun auf die Debatte kommende Woche im Bundesrat und die Frage, wie sich die anderen Bundesländer positionieren werden. „Dabei ist für uns klar: Die vorgeschobenen Argumente, dass der bisherige Schutz doch ausreiche, sind für uns nicht stichhaltig. Sie verkennen, dass sich auch die Mehrheiten in den Parlamenten, die Zusammensetzung des Verfassungsgerichts und nicht zuletzt die gesamtgesellschaftliche Stimmung drehen können. Diese Legislatur ist womöglich die letzte Chance, um ein für alle Mal klarzustellen und festzuzurren: Die gesamte queere Community muss unter den expliziten Schutz des Grundgesetzes gestellt werden“, so Dörr weiter.
Forderung an die Union
In der Vergangenheit haben sich SPD, Grüne, Linke und FDP bereits für eine Ergänzung des Grundgesetzes in dieser Angelegenheit ausgesprochen, auch innerhalb der Union gibt es inzwischen einzelne Befürworter – neben Berlins Regierendem Bürgermeister Wegner sind das die Ministerpräsidenten Hendrik Wüst aus Nordrhein-Westfalen, Daniel Günther aus Schleswig-Holstein und Boris Rhein aus Hessen.
Die CDU/CSU insgesamt indes hat mehrfach betont, einer Änderung des Grundgesetzes nicht zuzustimmen – zuletzt bekräftigte die Partei ihr Ansinnen erst letzte Woche im Bundestag. „Wir fordern daher die Union auf, endlich offen in der Partei über die Ergänzung von Artikel 3 des Grundgesetzes zu diskutieren. Nach Jahrzehnten queerfeindlicher Verfolgung, für die gerade auch die Union Verantwortung trägt, ist sie dies der queeren Community schuldig. Wer diese Demokratie schützen will, muss auch LSBTIQ* schützen wollen“, so Dörr.
Kritik am Vorhaben
Kritik an der Initiative kommt indes von der dgti*, der Organisaton für trans* sowie intergeschlechtliche Menschen - ihnen geht das Vorhaben nicht weit genug: „Der jetzige Beschluss zur Bundesratsinitiative würde tin* Personen jedoch nicht ausreichend schützen. Sie bleiben außen vor (…) Bei der Bundestagsanhörung hatten damals vier der acht Expert*innen ausdrücklich davon gesprochen, dass die Aufnahme des Merkmals ´sexuelle Identität´ ohne den gleichzeitigen Schutz des Merkmals ´geschlechtliche Identität´ eine Ungleichbehandlung bedeuten würde“, so Jenny Wilken vom Verein. Die dgti* wünscht sich daher eine Neufassung des Artikels 3 des Grundgesetzes und die „Gleichstellung aller Geschlechtszugehörigkeiten“.