Haftbefehle gegen die Taliban Der Internationale Strafgerichtshof geht erstmals gegen den Menschenhass in Afghanistan vor
Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) hat jetzt erstmals Haftbefehle gegen hochrangige Vertreter der Taliban wegen „brutaler Unterdrückung von LGBTIQ+-Personen“ beantragt. Laut Chefankläger Karim A. A. Khan handele es sich dabei um eine „systematische“ und menschenverachtende Vorgehensweise gegen Schwule, Lesben, Bisexuelle und queere Personen. In einem ersten Schritt wurden jetzt Haftbefehle gegen zwei Führungspersönlichkeiten der Terror-Organisation ausgesprochen.
Verbrechen gegen die Menschlichkeit
Das Büro von Khan erklärte, dass die Ermittler nach einer Untersuchung der Verbrechen gegen die afghanische Zivilbevölkerung nun zu dem Schluss gekommen sind, dass es „vernünftige Gründe für die Annahme gibt, dass der Oberste Führer der Taliban, Haibatullah Akhunzada, und der Oberste Richter des ´Islamischen Emirats Afghanistan´, Abdul Hakim Haqqani, für das Verbrechen gegen die Menschlichkeit der Verfolgung aus geschlechtsspezifischen Gründen gemäß Artikel 7(1) des Römischen Statuts, dem internationalen Vertrag von 1998, mit dem der IStGH gegründet wurde, strafrechtlich verantwortlich sind.“
Bahnbrechender Bericht
Für afghanische LGBTIQ+-Aktivisten findet damit ein langes beschämendes Schweigen ein Ende, seit vielen Monaten hatten sie die Vereinten Nationen und die Staatengemeinschaft der Welt beschuldigt, angesichts eines „weit verbreiteten und systematischen Verbrechens gegen die Menschlichkeit“ nichts zu unternehmen.
Exekutivdirektorin der Afghanistan LGBTIQ Organization, Artemis Akbary, betonte jetzt gegenüber dem Washington Blade: „Khans Antrag ist das erste Mal in der Geschichte, dass der IStGH die gegen LGBTIQ+-Menschen begangenen Verbrechen offiziell anerkannt hat. Dieser Antrag auf Erlass eines Haftbefehls sendet die klare Botschaft, dass die internationale Gemeinschaft die geschlechtsspezifische Verfolgung von LGBTIQ+-Menschen ablehnt. LGBTIQ+-Menschen in Afghanistan brauchen unsere Unterstützung und Solidarität mehr denn je, und wir müssen sicherstellen, dass sie Zugang zu Gerechtigkeit und Rechenschaftspflicht haben.“
„Skrupellose Verfolgung“ der Taliban
Khan selbst hatte in seiner Erklärung weiter betont: „Mit diesen Anträgen wird anerkannt, dass afghanische Frauen und Mädchen sowie die LGBTIQ+-Community einer noch nie dagewesenen, skrupellosen und andauernden Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt sind.“
Die zwei jetzt angeklagten Taliban-Führer, Akhunzada und Haqqani, sind laut dem Chefermittler seit August 2021 für „schwerwiegende Verletzungen der Grundrechte der Opfer“ nach internationalem Recht verantwortlich, einschließlich „des Rechts auf körperliche Unversehrtheit und Autonomie, auf Freizügigkeit und freie Meinungsäußerung, auf Bildung, auf Privat- und Familienleben und auf Versammlungsfreiheit“.
Er fügte hinzu, dass diese Verbrechen in Verbindung mit anderen Verbrechen gemäß dem Römischen Statut begangen wurden, „einschließlich Mord, Inhaftierung, Folter, Vergewaltigung und andere Formen sexueller Gewalt, Verschwindenlassen und andere unmenschliche Handlungen.“
Kritik von queeren Vereinen
Mehrere queere Verbände hatten auch in Deutschland immer wieder auf die grausame Jagd insbesondere auf schwule Männer in Afghanistan aufmerksam gemacht und die lange Untätigkeit des Auswärtigen Amtes sowie von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) scharf kritisiert. Die Community vor Ort würde dabei vollends im Stich gelassen, seitdem die Taliban nach dem Abzug des US-Militärs wieder die politische Macht im Land an sich gerissen hatten inklusive der verstärkten Auslegung der Scharia.
Folter, Steinigungen, Morde
Inzwischen gibt es hunderte dokumentierte Fälle, in denen queere Menschen und insbesondere schwule Afghanen im Land systematisch verfolgt, gefoltert, inhaftiert, öffentlich ausgepeitscht oder gesteinigt sowie grausam ermordet worden sind – zuletzt berichteten Verbände wie Human Rights Watch, Rainbow Afghanistan oder auch Outright International davon.
Khan betonte in seinem jüngsten Bericht außerdem, dass die Scharia „nicht als Rechtfertigung für den Entzug grundlegender Menschenrechte verwendet werden sollte“. Homosexuelle Männer würden laut Rainbow Afghanistan zudem in heterosexuelle Ehen gezwungen werden, während „eine große Anzahl von Mitgliedern der Community durch Selbstmord ums Leben kommt.“ Die Exekutivdirektorin von ILGA World, Julia Ehret, nannte die jetzt erfolgte Anerkennung von LGBTIQ+-Menschen als Opfer geschlechtsspezifischer Verfolgung durch den IStGH „bahnbrechend“.