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Selbstbestimmungsgesetz
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Selbstbestimmungsgesetz Rund 20.000 Anträge bis heute bundesweit - Statements von Lehmann, Lenders und Vogler

ms - 31.10.2024 - 12:00 Uhr

Das bis heute umstrittene Selbstbestimmungsgesetz tritt an diesem Freitag, den ersten November, in Kraft – es ermöglicht Trans-Personen ab kommenden Montag den vereinfachten juristischen Geschlechtswechsel ohne bisher nötige psychologische Gutachten über eine Geschlechtsdysphorie. Das Benennen von Trans-Menschen mit ihrem abgelegten Namen (Deadnaming) kann ab sofort mit einer Ordnungsstrafe von bis zu 10.000 Euro belegt werden. Kritische Frauenverbände und schwul-lesbische Organisationen rechnen deswegen mit einer Klagewelle. 

Hohe Nachfrage seit August

Bereits seit ersten August dieses Jahres war es Menschen möglich, beim Standesamt die Änderung ihres Geschlechtseintrages zu beantragen – nach der gesetzlich festgelegten Bedenkzeit von drei Monaten treten diese jetzt ab ersten November in Kraft.

Die große Nachfrage überraschte vielerorts, die Bundesregierung ging anfangs von rund 4.000 Anträgen pro Jahr aus, nach Recherche von Spiegel und BILD dürften es inzwischen geschätzt bis zu 20.000 Anmeldungen bundesweit sein. Die meisten Geschlechtswechsel wurden dabei mit deutlichem Abstand in Berlin beantragt, bis Mitte Oktober waren es allein fast 1.400. An zweiter Stelle im Ranking liegt aktuell Leipzig (600plus) gefolgt von Hamburg (500plus) und Köln (300plus). Etwa 97 Prozent aller Antragsteller deutschlandweit wollen mit der Geschlechtsänderung in den Dokumenten auch einen neuen Vornamen annehmen. 

Selbstbestimmung bei Minderjährigen

Das neue Selbstbestimmungsgesetz bietet eine vereinfachte juristische Geschlechtsänderung, psychologische Gutachten entfallen. Einmal im Jahr können Menschen ab sofort über das Standesamt ihren Geschlechtseintrag ändern lassen. Eltern können dies für ihre Kinder unter 14 Jahren ohne weitere Bestimmungen tun, ab 14 Jahren können Minderjährige mit Zustimmung der Eltern oder über das Familiengericht eine solche Personenstandsänderung vornehmen lassen.

Freude und Kritik

Queere Vereine wie der LSVD+ freuen sich über das lang versprochene, neue Gesetz, wenngleich für einige Trans-Verbände das Gesetz hinter den Erwartungen zurückgeblieben sei. Der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann, erklärte: „Ich bin überglücklich, dass das Selbstbestimmungsgesetz endlich in Kraft tritt. Deutschland reiht sich damit ein in die Gruppe der Länder weltweit, die Menschen eine Korrektur ihres Geschlechtseintrags und Vornamens ermöglichen, ohne sie zu pathologisieren. Es war ein hartes Stück Arbeitn (...) Wir alle wollen so leben, wie wir sind, und uns nicht verstellen müssen. Die freie Entfaltung der Persönlichkeit, die Achtung der Privatsphäre und die Nichtdiskriminierung gehören zu den von unserem Grundgesetz garantierten Rechten."

Kritik kommt bis heute von Frauenverbänden, einigen schwul-lesbischen Organisationen wie auch von Mitgliedern der CDU/CSU sowie des BSW und der AfD. Mehrere Frauenverbände sowie auch homosexuelle Verbände erklärten gegenüber der Frankfurter Rundschau, Musterklagen gegen das SBGG vorzubereiten – diese sind grundsätzlich erst mit Inkrafttreten des Gesetzes möglich, wenn sich Personen in einem konkreten Fall durch das Gesetz benachteiligt oder anderweitig in ihren Rechten verletzt sehen.

Frauenverbände sehen durch das SBGG wesentliche Grundrechte für Frauen, Eltern und Jugendliche nicht mehr gewährleistet, schwul-lesbische Vereine betonen, dass Homosexualität obsolet werde, wenn das biologische Geschlecht keine Rolle mehr spiele. Auch der Deutsche Ärztetag hatte sich in diesem Jahr gegen eine einfache Personenstandänderung ausgesprochen.

Der Verein Frauenheldinnen betont dabei insbesondere die Erklärung der UN-Sonderbrichterstatterin für Gewalt gegen Frauen und Mädchen, Reem Alsalem, die Ende Oktober erneut ihre Besorgnis über die menschenrechtlichen Auswirkungen des SBGG geäußert hatte. Das Gesetz untergrabe die Sicherheit, die Privatsphäre und andere Menschenrechte von Frauen und Mädchen, „insbesondere von solchen, die von männlicher Gewalt betroffen sind.“ Sie forderte die Bundesregierung auf, sofortige Schritte einzuleiten, um die angesprochenen Schutzlücken zu schließen und Maßnahmen zu ergreifen, die den Missbrauch des Gesetzes verhindern.

Entschädigungsfond für Trans-Personen

Der queer-politische Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag, Jürgen Lenders, erklärte heute indes zum SBGG: „Mit dem Inkrafttreten des Selbstbestimmungsgesetzes beenden wir fast 41 Jahre staatlicher Diskriminierung transsexueller Menschen durch das Transsexuellengesetz. Das ist ein Meilenstein auf dem Weg zur Gleichberechtigung und freien Entfaltung der Persönlichkeit in unserer Gesellschaft - auf politischer, aber auch auf intimster privater Ebene. Von nun an ist möglich, was unzähligen trans- und intersexuellen Menschen jahrzehntelang verwehrt blieb: frei, individuell und selbstbestimmt gegenüber dem Staat über das eigene Geschlecht zu entscheiden. Das Selbstbestimmungsgesetz ist mehr als nur ein Gesetz, es ist ein Sieg für die Würde und Rechte transsexueller Menschen, für ein gleichberechtigtes Leben frei von Diskriminierung und Übergriffen."

Als nächsten Schritt fordert Lenders die Einrichtung eines Entschädigungsfonds für Trans-Personen: „Sie litten jahrelang unter drakonischen Repressalien, die als eindeutig verfassungswidrig eingestuft wurden. Klar ist, dass es sich nur um eine symbolische Entschädigung handeln kann, denn die Traumata von Zwangssterilisationen, verbotenen Schwangerschaften und erzwungenen Scheidungen können nicht rückgängig gemacht werden.“

Geist des Misstrauchens im Gesetz

Die queer-politische Sprecherin der Linksfraktion, Kathrin Vogler, übt derweil ebenso Kritik am finalen Gesetzestext: „Widersprüchliche Ausführungsbestimmungen des Bundesinnenministeriums atmen den Geist des Misstrauens, der das Gesetz schon bei seiner Verabschiedung durch den Bundestag bestimmte. Trans- und intergeschlechtliche sowie nichtbinäre Menschen sind nun mit Einzelfallentscheidungen der Ämter zu ihrem beantragten Vornamen konfrontiert. Der parallel versprochene Zugang zu einer selbstbestimmten Gesundheitsversorgung ist nicht einmal im Entwurfsstadium, weil Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach nicht liefert. Diskriminierungen können zu Armut führen. Viele trans- und intergeschlechtliche Menschen sind von Armut betroffen. Doch dieses Problem wird nicht einmal im Ansatz von der Bundesregierung erkannt. Fazit: Das Selbstbestimmungsgesetz war notwendig, aber es ist unzureichend und vom Geist des Misstrauens geprägt. Bis zu umfassender Selbstbestimmung ist es noch ein langer Weg."

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