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Selbstbestimmungsgesetz kommt!
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Selbstbestimmungsgesetz kommt! Nach hitziger Debatte beschließt der Bundestag mehrheitlich das SBGG

ms - 12.04.2024 - 15:10 Uhr

Der Bundestag hat heute mit Stimmen der Ampel-Koalition das neue Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) beschlossen. Nach 2./3. Lesung war der finale Gesetzestext mit namentlicher Abstimmung angenommen worden. Ab November dieses Jahres tritt das Gesetz damit nach einer mehrjährigen Vorlaufzeit in Kraft. Die Union und die AfD sowie zwei FDP-Politiker stimmten gegen das SBGG. Insgesamt stimmten 636 Abgeordnete ab, 374 Parlamentarier votierten dafür, 251 Politiker dagegen. Elf Abgeordnete enthielten sich ihrer Stimme. 

Letzte Änderungen im Gesetzestext

In den letzten Monaten hatten die beauftragten Gremien noch um die finale Fassung des Gesetzes gefochten und letzte Änderungen vorgenommen, die Mitte dieser Woche vom Familienausschuss angenommen worden waren. Künftig ist es Erwachsenen und Kindern ab 14 Jahren möglich, einen Personenstandswechsel per Sprechakt beim Standesamt vollziehen zu lassen. Verweigern die Eltern ihre Zustimmung, wird diese durch das Familiengericht erteilt. Sowohl Kinder wie auch Erwachsene müssen bei Antragstellung zudem versichern, vorab beraten worden zu sein. Einen Beleg dafür oder anderweitige psychologische Gutachten wie bisher entfallen. 

Die Debatte um Frauenschutzräume greift das Gesetz nicht weiter auf und verweist wie bereits im vorausgegangenen Text auf das Hausrecht. Sowohl Kritiker wie Befürworter des SBGG hatten diesen Punkt zuletzt als unzureichend bemängelt, weil er keine eindeutige Klarheit im Alltagsfall schaffe. Grundsätzlich darf so beispielsweise ein Betreiber einer Frauensauna einer Trans-Frau zwar den Zugang verweigern, er könnte damit aber je nach Fall gegen das Anti-Diskriminierungsgesetz verstoßen. Der Vorwurf beider Parteien: Der Gesetzgeber stehle sich hier aus der Verantwortung. 

10.000 Euro Strafe bei Deadnaming

Ebenso neu ist das sogenannte Offenbarungsverbot, dass Geldstrafen von bis zu 10.000 Euro vorsieht, wenn der frühere Namen und die frühere Geschlechtsidentität von Trans-Personen ausgeforscht oder offen benannt werden, das sogenannte Deadnaming. Eltern sind von den Vorgaben unter gewissen Richtlinien davon ausgenommen, außer sie handeln bewusst mit einer Schädigungsabsicht.

Die Streitfrage, wie mit offiziellen Dokumenten umzugehen ist, löst das Gesetz so: Gerichtliche Papiere sowie Dokumente im Bereich des Beurkundungs- sowie dem Personenstandsgesetz werden nicht mit dem neuen Geschlechtseintrag und dem neuen Vornamen ausgestellt, um so, wie eingangs vom Bundeskriminalamt noch befürchtet, Kriminellen die Chance zu verwehren, sich durch einen Geschlechtswechsel der Strafverfolgung zu entziehen. Alle anderen Dokumente können auf Antrag der betreffenden Personen geändert werden. Beim Personalausweis kann dies mit Einreichung einer ärztlichen Bescheinigung aber auch an Eides statt durch Versicherung der betreffenden Person selbst erfolgen.

Demonstrationen vor dem Bundestag

Vor dem Bundestag kam es heute zu Demonstrationen zwischen Befürwortern und Gegnern des Gesetzes, die teilweise zur Stunde noch andauern. Zu den Kritikern zählen mehrere Frauenverbände sowie auch schwule und schwul-lesbische Vereine, zu den Befürwortern gehören mehrere Trans- und Interverbände sowie übergeordnete Organisationen wie beispielsweise der LSVD+. 

Kritik am Gesetz kam auch von Seiten der Union sowie dem BSW und der AfD. Die Linke begrüßte das Gesetz grundsätzlich, erklärte aber auch, es handele sich um „kein richtig gutes Gesetz“ – die Fraktion hätte sich hier inhaltlich mehr Zuspruch für Trans-Menschen gewünscht. Die AfD hatte parallel zum SBGG einen eigenen Antrag eingebracht, der forderte, das vierzigjährige Transsexuellengesetz zu erhalten, aber den Schutz von Menschen mit Geschlechtsdysphorie zu verbessern. Der Antrag wurde abgewiesen.   

In der ersten Reihe mit dabei: Die zwei Trans-Politikerinnen Tessa Ganserer und Nyke Slawik

Rededuell im Bundestag 

Bei der 2./3 Lesung berichtete zu Beginn die Trans-Politikerin Nyke Slawik über ihre Lebensgeschichte und nannte das SBGG einen „großen Schritt in eine selbstbestimmte Gesellschaft.“ Die queer-politische Sprecherin der Linken, Kathrin Vogler, sprach von einem „Gebot der Menschenwürde“. Für die beiden SPD-Sprecher Jan Plobner und Anke Hennig ist klar, man „schreibe ein Stück Geschichte“. 

Hennig betonte weiter, das Gesetz nehme niemandem etwas weg, es beseitige Unrecht – zudem würden bereits Kleinkinder ab sechs Jahren oftmals ihre Geschlechtsidentität gut einschätzen können. Plobner betonte außerdem, es sei die Pflicht, das bisherige Unrecht zu beseitigen, selbst „wenn es nur einen einzigen Menschen im Land betreffen würde.“ Sein SPD-Kollege Hakan Demir nannte das Gesetz dann zudem einen „Meilenstein“. 

Streit um „feministisches Gesetz“

Die FDP-Bundestagsabgeordnete Katrin Helling-Plahr erklärte, die Partei habe die Sorgen der Bürger ernstgenommen, Stichwort Hausrecht oder auch die Versicherung einer Beratung vor Antragstellung. Helling-Plahr warb außerdem für mehr Respekt, selbst dann, wenn man die Situation selbst nicht persönlich nachfühlen könne. Der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann von den Grünen, betonte, das SBGG stärke die Würde des Menschen, wobei es in den letzten Wochen immer wieder auch „verstörende und verletzende“ Diskussionen gegeben habe. Das SBGG sei dabei auch ein „feministisches Gesetz“. 

Dieser letzten Aussage widersprach Susanne Hierl von der CDU/CSU eindringlich und forderte Lehmann dazu auf, doch einmal mit den Feministinnen zu sprechen, die parallel zur Lesung vor dem Bundestag gegen das Gesetz protestierten. Zudem sagte Hierl, dass die Ampel-Koalition Kritik nicht annehmen würde. Kriminelle würden das Gesetz künftig missbrauchen, zudem sei das Offenbarungsverbot „übergriffig“. Unions-Kollegin Mareike Lotte Wolf ergänzte, der Debatte fehle es an Sachlichkeit, außerdem vernachlässige man die Schutzfunktion des Staates bei Jugendlichen und Kindern. Und weiter: „Wir halten diese Art von Politik falsch, mehr noch, wir halten sie für gesellschaftlichen Sprengstoff.“

Martin Reichardt von der AfD betonte ebenso, dass die Ampel-Politik eine Gefährdung für Jugendliche sei und nannte das SBGG einen „ideologischen Unsinn“. Sarah Wagenknecht vom BSW sagte abschließend: „Ideologie triumphiert über Realität. Das Geschlecht wird von einer biologischen Tatsache zu einer Frage der Gemütsverfassung.“ Eine behutsame Reformation des aktuellen TSG hätte das BSW indes unterstützt, so Wagenknecht.    

DGTI begrüsst neues Gesetz, mit Ausnahmen

Die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e.V. (dgti) erklärte direkt nach der Debatte, man sei sehr erleichtert, dass das „aus der Zeit gefallene Transsexuellengesetz“ abgeschafft werde. Dies sei ein „langer Weg und ein harter Kampf“ gewesen. „Geschlechtliche Selbstbestimmung bedeutet für uns das Menschenrecht, entsprechend dem erlebten Geschlecht ohne vermeidbare Benachteiligungen leben zu können. Dies schließt Grundrechte, Personenstandsrecht, Abstammungsrecht, Kinderrechtskonvention, das Sozialgesetzbuch und viele weitere Rechtsgebiete mit ein. Wahre Selbstbestimmung liegt nur vor, wenn sie frei von äußerem Zwang und allein dem selbstbestimmten Zeitpunkt, Zeitrahmen und Umfang unterworfen, ausgeübt werden kann.“ 

Mit Blick auf eine Beratungspflicht bei Minderjährigen sagt die dgti: „Hier verschlechtert sich die Lage. Wir empfehlen die Inanspruchnahme einer qualifizierten trans* Peer*Beratung, welche die dgti bundesweit anbietet.“ Auch die Einschnitte bei einem möglichen Personenstandswechsel für Ausländer seien „unverhältnismäßig und daher abzulehnen.“ 

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