Selbstbestimmungsgesetz Andrang größer als erwartet – Frauenverbände bereiten Musterklagen vor
Am ersten November tritt in Deutschland das neue Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) in Kraft, seit August dieses Jahres können Menschen bereits beim Standesamt die Änderung ihres Geschlechtsantrages beantragen. Nach Recherche des Spiegels haben die Standesämter in Deutschland bisher insgesamt rund 15.000 Anmeldungen verzeichnet.
Run auf die Standesämter
Wie im neuen Gesetzestext festgeschrieben, müssen zwischen der Anmeldung und der tatsächlichen Änderung des Geschlechtseintrages drei Monate Bedenkzeit liegen. Nach Angaben des Spiegels überrasche dabei der große Andrang im Zuge des SBGG, die Ampel-Regierung hatte mit rund 4.000 Änderungsanträgen jährlich gerechnet. Unter dem alten Transsexuellengesetz, das unter anderem noch zwei psychologische Gutachten als Bestätigung der Geschlechtsdysphorie eines Menschen als Voraussetzung vorschrieb, hatte es im Durchschnitt 2.000 bis 3.000 Geschlechtsänderungen pro Jahr gegeben.
Wenig überraschend ist die Nachfrage nach einer Geschlechtsänderung in den großen Städten fast dreimal so hoch wie im ländlichen Raum. Die bisher meisten Anmeldungen umgerechnet auf die Einwohnerzahl kommen aus Leipzig, in Summe sind es bisher rund 450 Menschen. 97 Prozent aller Antragsteller deutschlandweit wollen mit der Geschlechtsänderung in den Dokumenten auch einen neuen Vornamen annehmen.
„Wir wissen aus unseren Gesprächen, dass viele Menschen auf dieses Gesetz gewartet haben. Die neue Regelung ist ein Befreiungsschlag für die Betroffenen. Ich erwarte, dass die Zahlen nach der ersten ´Bugwelle´ wieder ein Stück weit zurückgehen. Da hat sich etwas aufgestaut“, erklärt Steve Behrmann, Bereichsleiter psychosoziale Beratung für LSBT* im Magnus-Hirschfeld-Centrum in Hamburg gegenüber dem Spiegel die große Nachfrage.
Neue Regeln ab November
Das neue Selbstbestimmungsgesetz sieht eine vereinfachte juristische Geschlechtsänderung vor, psychologische Gutachten entfallen. Einmal im Jahr können Menschen über das Standesamt ihren Geschlechtseintrag ändern lassen. Eltern können dies für ihre Kinder unter 14 Jahren ohne weitere Regularien tun, ab 14 Jahren können Minderjährige mit Zustimmung der Eltern oder ansonsten über das Familiengericht eine Personenstandsänderung vornehmen lassen. Zudem wird das sogenannte Deadnaming künftig unter Strafe gestellt, bei der bewussten Offenbarung des früheren Namens oder Geschlechtseintrages einer Trans-Person drohen Bußgelder von bis zu 10.000 Euro.
Musterklagen in Vorbereitung
Kritik kam bis zuletzt von Seiten der Opposition, des BSW sowie auch von der AfD. Mehrere Frauenverbände sowie auch schwul-lesbische Organisationen erklärten zuletzt außerdem Ende Juli dieses Jahres gegenüber der Frankfurter Rundschau, Musterklagen gegen das SBGG vorzubereiten. Nebst der abstrakten Normenkontrollklage, die von mindestens einem Viertel der Bundestagsabgeordneten oder durch eine Landesregierung eingereicht werden müsste, gibt es die Möglichkeit der konkreten Normenkontrollklage. Dieser Klageweg bis hinauf zum Bundesverfassungsgericht ist möglich, wenn Personen sich in einem konkreten Fall durch das Gesetz benachteiligt oder anderweitig in ihren Rechten verletzt sehen – dafür muss das Gesetz aber erst in Kraft getreten sein.
Gegenüber der Frankfurter Rundschau betonten die kritischen Verbände wie die Frauenheldinnen, die LGB-Alliance oder auch die Frauen Aktion München, dass durch das Gesetz wesentliche Grundrechte gerade für Frauen, Eltern und Jugendliche verletzt werden würden. Außerdem würde Homosexualität selbst obsolet werden, wenn das biologische Geschlecht keine Rolle mehr spiele. Die Kritiker stützen sich dabei auch auf eine Erklärung des Deutschen Ärztetages, der sich im Mai dieses Jahres gegen eine einfache Personenstandsänderung sowie auch gegen Pubertätsblocker bei Jugendlichen ausgesprochen hatte.