Mordserie in Brasilien Immer öfter enden vermeintliche Dates mit einem Kopfschuss
In puncto Homosexuellenrechte ist Brasilien ein Land der Gegensätze – auf der einen Seite kämpft die schwul-lesbische Community stärker als je zuvor für die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe, feiert jedes Jahr den größten Pride weltweit und errang letztes Jahr mehr Schutzrechte; auf der anderen Seite werden Jahr für Jahr rund 250 Schwule und Lesben aufgrund ihrer Sexualität ermordet. Eine grausame Mordserie an homosexuellen Männern, die mittels Apps in die Falle gelockt werden, schockt derzeit die Gay-Community.
Tödliche Dating-Fallen
Ähnlich wie in den USA, Australien sowie Europa und auch in Deutschland haben nun auch in Brasilien Kriminelle und homophobe Fanatiker entdeckt, wie leicht es ist, schwule Männer mittels einer Dating-App an einen abgelegenen Ort zu locken und dort zu überfallen. In Brasilien werden dafür besonders gerne Apps wie Grindr und Hornet verwendet.
In Brasilien allerdings steht nicht oftmals der Gedanke an schnelles Geld im Mittelpunkt, sondern schlicht der Hass auf schwule Männer. Mitte Juni sorgte der Fall von Leo Nunes für Schlagzeilen: Der 24-jährige schwule Mann hatte sich einige Tage online mit einem anderen Mann unterhalten und schlussendlich in São Paulos Mittelklasseviertel Sacoma verabredet. Er wartete in einer Seitenstraße, als zwei Männer auf einem Motorrad in der Gasse auftauchten und ihn kaltblütig erschossen – eine Überwachungskamera hielt den Mord fest. Die Polizei behandelt den Fall trotzdem als „alltäglichen Raubüberfall mit Todesfolge“, die besondere Schwere eines Hassverbrechens wurde nicht festgehalten.
Mordserie sorgt für Angst
Die Herangehensweise indes nimmt seit einigen Monaten in ganz Brasilien stetig zu und versetzt die ganze Gay-Community überdies einmal mehr in Aufregung und Angst. Allein seit März dieses Jahres wurden mindestens fünf schwule Männer auf diese Weise brutal ermordet – die wahre Anzahl der Fälle dürfte nach Schätzungen von LGBTI*-Organisationen im Land noch deutlich höher liegen. „Die Verbrecher wissen, dass ihre Opfer nicht zur Polizei gehen werden. Manchmal erzählen sie nicht einmal ihrer Familie davon, weil sie sich schämen“, so Nunes´ Vater.
Die falsche Dokumentation der Behörden verhindert dazu überdies einen realen Überblick über das Ausmaß der Gräueltaten. Online via Social Media berichten Dutzende weitere Opfer von ähnlichen Mordversuchen. „Glück“ haben jene, die „nur“ ausgeraubt wurden. Einer davon ist ein junger schwuler Mann namens Gabriel, der gegenüber Reuters von seinem letzten vermeintlichen Date erzählt: „Ein Mann hielt mir eine Pistole an den Bauch und fragte mich nach dem Passwort für mein Telefon.“ Auf diesem Weg verschaffen sich Kriminelle Zugang zu den Bankkonten der Opfer.
Die Polizei sieht weg
Die Homophobie im Land, die auch innerhalb der Polizei präsent ist, sorgt zudem dafür, dass viele Fälle nie aufgeklärt werden und die Gay-Community den Strafverfolgungsbehörden schlicht bis heute misstraut. „Aufgrund der strukturellen Homophobie wissen Kriminelle, dass LGBT-Menschen verletzlich sind. Sie wissen, dass sie leichter einzuschüchtern sind“, so Anwalt Wanderley Montanholi. Er vertritt die Familie eines jungen schwulen Arztes, der im April dieses Jahres in São Paulo ermordet wurde. Die Täter schossen ihm aus direkter Nähe in den Kopf, nachdem sie ihn über eine Dating-App in einen Hinterhalt gelockt hatten.
Wenig Reaktionen seitens der App-Betreiber
Mehrere homosexuelle Männer haben verdächtige Profile inzwischen auch direkt an die Betreiber von Hornet und Grindr gemeldet, oftmals blieben die gefährlichen Fake-Profile trotzdem wochenlang noch online. Gerry Monaghan, Einsatzleiter von Hornet, betonte, dass „alle Berichte von Hornet angeschaut und überprüft werden“. Man habe dafür auch seit der Ermordung von Nunes das Sicherheitsteam aufgestockt.
Ein Sprecher von Grindr erklärte, man sei sich „bewusst, dass in Brasilien digitale Plattformen wie die unsere gelegentlich missbraucht werden, um LGBTI*-Personen ins Visier zu nehmen.“ Die App verfüge deswegen über Sicherheitsratschläge, außerdem arbeite man eng mit den Strafverfolgungsbehörden zusammen.
Homophober Mord wird zu „Liebesbetrug“
Trotz mehrfacher Anfragen seitens der Anwaltschaft sowie auch der Presse lehnen es die polizeilichen Behörden bis heute ab, Stellung zu der Mordserie zu nehmen. In den Akten werden die grausamen Tötungsdelikte an schwulen Männern immer wieder schlicht als „Liebesbetrug“ geführt.
Der Oberste Gerichtshof Brasiliens hat Homophobie zwar bereits 2019 als Verbrechen kodifiziert – das alles läuft aber ins Leere, wenn die Polizei die Fälle nicht als solche klassifiziert. Das brasilianische Forum für öffentliche Sicherheit stellte zuletzt fest, dass homophobe Morde zuletzt binnen eines Jahres um 42 Prozent zugenommen haben. Ohne ein Umdenken seitens der Polizei dürfte sich an diesem Trend wenig ändern.