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Quotenwahn im Filmgeschäft
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Quotenwahn im Filmgeschäft Wie viele Filme binnen eines Jahres sind LGBTI*? Und ist das wirklich überhaupt wichtig?

ms - 19.09.2024 - 10:00 Uhr

Ein Kommentar von Michael Schmucker

Bamm! Das hat gesessen! Um gleich einmal in der filmischen Comicsprache zu bleiben. Einer der größten queeren Verbände der USA, GLAAD, veröffentlichte jetzt zum zwölften Mal den sogenannten Studio Responsibility Index (SRI) – darin wird festgehalten, wie viele Filme der großen Filmstudios und Streamingdienste LGBTI*-Menschen darstellten. Die Kritik der Geschäftsführerin Sarah Kate Ellis: Viele Filmverleiher sind „inkonsistent“. 

Quotenjagd der Filmstudios 

Schlägt man das Wort im Duden nach, hat es zwei Bedeutungen: Einerseits steht es dafür, dass etwas „keinen Bestand hat“, andererseits wird damit ein „widersprüchliches“ Verhalten erklärt. Die großen US-Filmemacher sind also kurzum gesagt flatterhaft und wenig beständig, wenn es um Filme mit LGBTI*-Aspekten geht. Daraus leitet sich die klare Forderung ab: Die großen Studios haben jedes Jahr mindestens eine gleich große Anzahl von LGBTI*-Filmen auf den Markt zu bringen, besser noch, die Quote steigt deutlich weiter an. Aber, warum eigentlich?

GLAAD blickt einmal mehr ganz genau hin, nahm 256 Spielfilme unter die Lupe und attestiert für 2023: „Die Zahl der Filme mit LGBTI*-Charakteren ist zurückgegangen, allerdings gab es mehr LGBTI*-Hauptdarsteller." Und: „Mehr als ein Drittel der LGBTI*-Figuren (38 Prozent) waren länger als 10 Minuten auf der Leinwand zu sehen, ein Anstieg um fünf Prozent gegenüber 2022“. Ja, die meinen das ernst. Und so liegt die Quote für 2023 bei 27,3 Prozent – das Jahr zuvor lag sie noch bei 28,5 Prozent. 

„Nur“ ein Viertel aller Filme 

Diese 27 Prozent lassen queere Medien nun kritisch erklären, dass „nur ein Viertel“ aller Filme LGBTI*-Inhalte gehabt haben. Nur. Ein Viertel. Vielleicht ist es hilfreich, sich die Bevölkerungsverteilung noch einmal ins Gedächtnis zu rufen: In den USA definierten sich im Jahr 2023 sieben Prozent als LGBTI*. Die Community ist in Filmen also fast viermal häufiger in den großen Filmproduktionen zu sehen, als sie in der Gesellschaft tatsächlich vertreten ist. 

Es dürfte kaum eine andere Minderheitengruppe in den USA geben, die das von sich behaupten kann. Dazu kommt, dass die Zahl selbst eigentlich eine Lüge ist, denn sie repräsentiert gerade einmal die 70 LGBTI*-Filme von zehn (!) großen amerikanischen Verleihfirmen und Streamingdiensten. Es gibt aber mehrere hundert kleinere Filmverleiher in Hollywood und hunderte neue LGBTI*-Filme, die allein im letzten Jahr auf den zahlreichen kleinen Filmfestivals rund um den Globus liefen. Das alles zählt nicht.  

Mehr LGBTI*-Charaktere

Trotzdem ist das natürlich nicht genug. Es wird noch weiter aufgesplittet: Bei den LGBTI*-People of Color stieg die Zahl der Filme um sechs Prozent an, während Transgender-Geschichten einen „alarmierenden Rückgang“ erlebten von 12 auf nur zwei Filme im Jahr 2023. CEO Ellis bekräftigt so auch, es gebe noch viel zu tun und fordert lautstark: „Aufgepasst Hollywood! Wir brauchen mehr LGBTI*-Charaktere in Filmen.“

Da stellt sich die Frage: Wann ist es denn genug? Brauchen wir eine Quote von 30 oder 40 Prozent? GLAAD fordert für dieses Jahr bereits eine Quote von 50 Prozent (!) und erklärt sein Konzept mit dem einfachen Gedanken, dass mehr Sichtbarkeit auch mehr Akzeptanz schaffe. Doch stimmt das wirklich? In den USA darf das bei vielen Zuschauern stark bezweifelt werden, all jene, die jetzt schon kritisieren, es gebe eine wahre Flut von queeren Inhalten bis hin zur Geschichtsfälschung in historischen Filmen, wo der Quote zuliebe queere Charaktere Einzug halten, die rein logisch unsinnig sind für jene Zeit. 

Qualität oder Quantität?

Eines scheint dabei ganz in Vergessenheit zu geraten: Ist Qualität nicht wichtiger als Quantität? Ist es nicht wichtiger, wie wir dargestellt werden? Noch vor zwanzig Jahren waren schwule Männer im Film beinahe ausschließlich entweder bedauernswerte AIDS-Opfer inklusive einer dramatischen Familiengeschichte oder der beste schwule Freund der Hauptdarstellerin, sex- und würdelos zumeist. 

Heute werden homosexuelle Charaktere so selbstverständlich in Storys eingebunden, dass allein ihre Sexualität oftmals nicht mehr bestimmend für die ganze Geschichte sein muss. Sie dürfen alles sein, vom Bösewicht bis zum Helden. Selbst im Disney-Zeichentrickreich gab es die erste schwule Liebe zweier Hauptcharaktere. Queere Personen tummeln sich in aller Vielfalt in Streamingserien, selbstbewusst und offen. CEO Ellis meint, das Publikum „giere“ nach queeren Geschichten – die Quoten gerade im Kino geben das oftmals nicht her. Aber was weiß das dumme Publikum schon?

Der gewünschte Wandel ist vielerorts längst da – als „Brokeback Mountain“ vor fast zwanzig Jahren in den Kinos lief, diskutierte man darüber, wie die beiden heterosexuellen Hauptdarsteller die Sexszenen so glaubhaft spielen konnten und ob das alles nicht doch ihrer Karriere schaden könnte. Das interessiert heute nicht mehr. Im Gegenteil, gerügt wird, wer wie Joaquin Phoenix eine schwule Rolle ablehnt

Eine Quote mit aller Gewalt

Strikt eingeforderte Quotenregelungen, ob gesellschaftlich oder anderweitig erzwungen oder aus Angst vor einem Image-Verlust zähneknirschend umgesetzt, haben noch nie zu mehr Gleichberechtigung in einer Gesellschaft geführt. Blicken wir auf LGBTI*-Filme, wäre es viel wichtiger, sich zu freuen, wie die Community inzwischen dargestellt wird – ehrlich, authentisch, vielfältig. 

Zudem dürfen wir heute in allen Genres zuhause sein und selbstverständlich einen Teil der dargestellten Gesellschaft widerspiegeln. Eine Quote mit der medialen Pistole am Kopf ist nicht nur kontraproduktiv, sie ist schlicht dumm – und gefährlich. Was ist, wenn ein Publikum irgendwann – vielleicht sogar nachvollziehbar und berechtigt – zu viel davon hat bei einem gewünschten Quotenanteil von 50 Prozent? Und es steht zu befürchten, auch das ist GLAAD dann immer noch nicht genug.  

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