ESC in Alarmbereitschaft Der größte Musikwettbewerb der Welt zwischen Heiterkeit und Angst
So sehr die ESC-Organisation, die Europäische Rundfunkunion (EBU), auch versucht, den internationalen Musikwettbewerb in diesen Tagen zu einem freudigen Event im Sinne der Völkerverständigung zu machen, so ganz gelingt es ihr bisher nicht – nach zwei Halbfinal-Shows blicken alle nun angespannt auf das Finale am Samstag. Immer wieder versuchten die ESC-Veranstalter dabei auch, die Weltpolitik beim Song Contest rauszuhalten, doch auch das glückt ganz offensichtlich nicht.
United by Music? Eher nicht!
Der Gaza-Krieg ist und bleibt allgegenwärtig in Malmö und sorgt für angespannte Stimmung und Angst in der Stadt. Bereits vorab hetzte die Gruppe „Queers for Palestine“ gegen die Teilnahme Israels beim internationalen Musikwettbewerb – die queeren Aktivisten sehen das Land als einzigen Aggressor an. Inzwischen gesellten sich tausende weitere Menschen, darunter auch viele schwedische Künstler, zu den Protesten, allen voran auch Klimaaktivistin Greta Thunberg. Klar ist schon jetzt: Der diesjährige ESC-Leitspruch „United by Music“ dürfte nicht sinnstiftend gewirkt haben.
Israel singt im Finale – Deutschland erneut zero Points?
Israels Sängerin Eden Golan setzte sich trotz aller Kritik im Halbfinale diese Woche mit ihrem Song „Hurricane“ durch und erntete viel Applaus aber auch vereinzelte Buh-Rufe in der Halle – sie wird beim Finale am Samstag dabei sein. Neunzehn weitere Acts haben sich zudem für die Abschlussshow qualifiziert, darunter auch der nicht-binäre Kandidat Nemo aus der Schweiz. Als Favorit wird in den Wettbüros derzeit der kroatische Sänger Baby Lasagna gelistet und hat damit Nemo vom Wett-Thron gestürzt.
Dem deutschen Beitrag indes, Isaak Guderian (28) mit seinem Song „Always On The Run“, werden praktisch keine Chancen mehr zugerechnet. Die Experten von Eurovision-World sehen die Siegerchancen aktuell bei unter einem Prozent – sie lagen mit ihren Einschätzungen bisher fast immer richtig. Im Finale ist Deutschland als ein Land der Big Five neben Italien, Spanien, Frankreich und Großbritannien sowie dem Gastgeberland Schweden trotzdem mit dabei. Ein kleiner Trost, wenn Deutschland erneut „zero Points“ einsammeln sollte: In der Statistik des ESC sind bisher Finnland und Norwegen noch öfter auf dem letzten Platz gelandet.
Großaufgebot der Polizei
Die schwedische Polizei indes ist nicht in Feierlaune, sie ist seit Beginn dieser Woche bereits in höchster Alarmbereitschaft, befürchtet werden mögliche islamistische Terroranschläge oder anderweitige gewalttätige Auseinandersetzung. Ein bisher nie dagewesenes Großaufgebot der schwedischen Polizei wird verstärkt durch Kollegen aus Dänemark und Norwegen.
Bereits im Vorfeld formierten sich in dieser Woche rund 12.000 Demonstranten vor der Austragungshalle in Malmö, zum Finale ist zu befürchten, dass die Zahl noch einmal ansteigt. Das gesamte Austragungsgebiet wird bei der Finalshow großräumig mit Hubschraubern, Kameras, Drohnen in der Luft und Polizisten auf der Straße sowie Scharfschützen auf den Dächern überwacht. Alle öffentlichen Live-Übertragungen und ESC-Events in der Stadt sind abgesagt. Gefeiert werden darf nur in gesicherten Bereichen mit strenger Einlasskontrolle.
Die Nerven liegen blank
Wie aufgeheizt die Stimmung auch bei den Organisatoren ist, zeigt der Fall Bambie Thug: Der nicht-binäre ESC-Teilnehmer aus Irland muss seine Körperbemalung ändern, urteilte die EBU. Thug hatte bei den Proben in der altirischen Ogham-Schrift das Wort „Waffenstillstand“ sowie die Aufforderung „Freiheit für Palästina“ mit schwarzer Farbe auf seinen Körper geschrieben.
Eine Sprecherin der EBU erklärte dazu: „Die Schrift, die auf Bambie Thugs Körper während der Kostümproben zu sehen war, verstieß gegen die Wettbewerbsregeln, die den unpolitischen Charakter der Veranstaltung schützen sollen.“ Einmal mehr betonte die EBU dabei auch, dass palästinensische Flaggen und Symbole in der Malmö Arena während der Live-Show verboten sind. Kurz gesagt: Die Nerven liegen offensichtlich blank, eine Eskalation vor 150 Millionen Live-Zuschauern soll um jeden Preis vermieden werden.
Antisemitismus in Malmö
Eine Besonderheit lässt die angespannte Lage noch weiter eskalieren: Bereits seit einigen Jahren, lange vor dem ESC 2024, fliehen viele jüdische Menschen aufgrund von immer mehr antisemitischen Taten aus der Stadt in Südschweden, das Klima ist dadurch bereits seit geraumer Zeit sehr aufgeheizt, wie Fredrik Sieradzki, Leiter des jüdischen Bildungszentrums, gegenüber dem Tagesspiegel erklärte: „Unsere Mitglieder verlassen die Stadt. Sie haben Angst, fühlen sich alleingelassen.“
Die drittgrößte Stadt Schwedens ist in den vergangenen Jahrzehnten stark angewachsen auf insgesamt mehr als 350.000 Einwohner, rund ein Drittel davon ist im Ausland geboren. Die Kriminalitätsrate ist hoch und Malmö gilt inzwischen nach Angaben des Tagesspiegels als landesweit bekanntes Symbol für eine gescheiterte Migrationspolitik. Diese Ausgangssituation könnte die aufgeheizte Lage jetzt zum ESC so noch einmal dramatisieren.
Schwule Dating-App sorgt für Lacher
Zwischendurch gibt es allerdings glücklicherweise doch auch noch heitere Momente in der ESC-Woche – international für Lacher sorgte während der Live-Übertragung im Halbfinale ein Fauxpas: Die ESC-Moderatorin Petra Mede wollte auf die Eurovision-App aufmerksam machen und schnappte sich dazu das Smartphone eines Zuschauers in der Halle.
Während sie das Smartphone in den Händen hielt, kamen gut hörbar mit dem typischen Grindr-Plop-Sound gleich mehrere neue Message-Nachrichten der schwulen Dating-App auf dem Smartphone an. Die sichtlich irritierte Moderatorin Mede gab dem schwulen Mann schlussendlich sein Handy mit den Worten zurück: „Du wirst eine großartige Woche hier in Malmö haben.“