Warnung vor Victor Orbán Wird die LGBTIQ+-Community für Ungarns Ministerpräsident zum neuen Hauptgegner?
Nach dem Budapest Pride mit einer Rekordzahl von 200.000 Teilnehmern feiert die Community in diesen Tagen sowohl national wie international den großen Sieg gegen Ministerpräsident Victor Orbán, dessen Regierung im Frühjahr dieses Jahres ein neues Gesetz verabschiedet hatte, das Prides landesweit verbietet. Die Freude und Euphorie ist groß – und genau davor warnt jetzt einer der führenden Menschenrechtsexperten, der Autor Gordon Cole-Schmidt.
Orbán ist verwundet – und gefährlich!
In einem eindringlichen Plädoyer an die eigene LGBTIQ+-Community betonte Cole-Schmidt im britischen Guardian, dass Orbán nun besonders gefährlich sei: „Ein Tier ist dann am gefährlichsten, wenn es verwundet ist, und der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán hatte schon Anhänger verloren, bevor eine Rekordzahl von Menschen auf die Straße ging, um den Budapest Pride zu unterstützen, die seine Regierung im März gesetzlich verboten hatte. Die pulsierende, internationale Parade, die sich über mehr als eine Meile durch die wichtigsten Sehenswürdigkeiten Budapests erstreckte, war alles, was die ungarische extreme Rechte hasst. Und für Orbán und seine nationalistische Partei Fidesz hat die öffentliche Missachtung der Pride-Organisatoren, der europäischen Diplomaten und derjenigen von uns, die trotz der Androhung von Gesichtserkennungsüberwachung, Verhaftungen und Geldstrafen die Straßen füllten, seinen Ruf als starker Mann beeinträchtigt.“ Bereits kurz nach der Pride hatte Orbán erklärt, der CSD sei „ekelhaft“ gewesen und man werde mit Geldstrafen gegen die Pride-Teilnehmer vorgehen.
Bösartige neue Angriffe auf die Community
Cole-Schmidt befürchtet darüber hinaus einen massiven Gegenschlag, nicht nur politisch, sondern auch gesellschaftlich – im Vorfeld der Parlamentswahlen im April 2026 könnte Orbán so die LGBTIQ+-Community zentral als Sündenbock für alle Probleme im Land etablieren. Das könnte ihm gerade jetzt sehr gelegen kommen, denn in Umfragen liegt er derzeit deutlich hinter seinem Herausforderer für das Amt des Ministerpräsidenten, Péter Magyar, Vorsitzender der größten Oppositionspartei Theiß. „Die westlichen Demokratien wären gut beraten, während Orbáns mühsamen letzten Atemzügen an der Macht auf der Hut zu sein. In die Enge getrieben, wird er versuchen, einen neuen Kampf gegen einen gemeinsamen Feind zu entfachen.“
Konkret betont der Menschenrechtsexperte weiter: „Wir können einen bösartigen, wütenden Angriff auf die Rechte von LGBTIQ+ in Ungarn erwarten. Er wird einen lauten Aufschrei gegen die europäische Einmischung in das Land anführen. Orbán braucht eine Krise, um sein Land hinter sich zu versammeln.“ Unterstützt würde er dabei bereits jetzt von rechten und rechtsextremen Bewegungen im Land. Sie alle eint, sich als Bewahrer der „traditionellen ungarischen christlichen Werte“ zu verstehen, allen voran die Beibehaltung der Ehe als heteroexklusive Institution.
Was Orbán nach der Niederlage in Budapest zudem gefährlich macht: Inzwischen kontrolliert der 62-Jährige rund 90 Prozent aller Medien in Ungarn, die den Hass auf LGBTIQ+ und Europa immer weiter stetig anfeuern werden. Cole-Schmidt sieht noch eine weitere Gefahr: Durch die jüngsten Gesetze, die unter anderem auch ausländische Einmischung ins Land unterbinden sollen, könnte Orbán versuchen, die Wahlen ganz zu unterbinden oder zumindest seinen Konkurrenten Magyar ins Gefängnis stecken zu lassen.
Große Fehler der EU-Kommission
Die Probleme seien dabei vielerorts auch hausgemacht, denn die EU habe viel zu lange geschwiegen – die EU-Kommission hätte sofort reagieren müssen, nachdem Orbáns Regierung 2021 das Anti-Homosexuellen-Gesetz verabschiedet hatte, nicht erst Jahre später auf Druck von außen. „Rechtsextreme Parteien in ganz Europa sind durch das Ausbleiben entschlossener, rechtzeitiger Maßnahmen gegen Ungarn ermutigt worden. LGBTIQ+-Gemeinschaften werden die erste von vielen Bedrohungen sein, die sie erfinden werden, um die Demokratie als Feind darzustellen“, so Cole-Schmidt weiter. Das System mache dabei bereits jetzt Schule – auch in Italien, Belgien und Rumänien versuchen nationalistische konservative Gruppen, die queere Community fest als Sündenbock und Bedrohung zu etablieren.
„In sieben europäischen Ländern wurden LGBTIQ-Propaganda-Gesetze erlassen oder vorgeschlagen, die die Sichtbarkeit kriminalisieren und die Diskussion über LGBTIQ-Themen einschränken. Versuche, Gesetze einzuführen, die LGBTIQ+-Themen aus dem Sexualkundeunterricht ausschließen, wurden in Bulgarien, Italien, den Niederlanden, Luxemburg, Norwegen, Rumänien, Russland, der Slowakei und der Türkei verzeichnet. In Finnland, Deutschland, den Niederlanden, Norwegen und Portugal meldeten die lokalen Behörden eine erhebliche Zunahme von Straftaten, die durch die wahrgenommene sexuelle Orientierung, die Geschlechtsidentität und/oder den Geschlechtsausdruck motiviert sind“, zitiert der Menschenrechtsfachmann die ILGA Europe.
Abschließend warnt Cole-Schmidt, der als Experte auch für CNN, BBC, National Geographic, die Los Angeles Times und Daily Mail arbeitet, mit eindringlichen Worten: „Der Reiz des Autoritarismus besteht darin, sich hinter einer gemeinsamen Identität zu vereinen und andere Identitäten anzugreifen, die als bedrohlich oder destabilisierend empfunden werden. Man braucht nicht viel weiter als bis nach Ungarn zu schauen, um zu sehen, dass es sehr schwer ist, einen einmal errichteten autokratischen Staat wieder rückgängig zu machen. Es war ein Fehler, Orbán zu erlauben, unsere Grundrechte zu untergraben. Wenn wir jetzt die Augen davor verschließen, dass die Rechte von LGBTIQ+ als Waffe eingesetzt werden, werden wir den allmählichen Verlust unserer demokratischen Rechte zu verantworten haben.“