Tag der Jugend Zukunftsängste, Suizidgedanken und Einsamkeit - wo bleibt der Richtungswechsel?
Am heutigen Internationalen Tag der Jugend machen die Vereinten Nationen einmal mehr auf die Interessen junger Menschen und deren politische Beteiligung aufmerksam. Ein Schwerpunkt dabei ist der Blick auf die LGBTI*-Jugend, die spätestens seit der Covid-Pandemie im Dauerkrisenmodus feststeckt.
Jugend in der Krise
Rund 22 Prozent der jungen Generation-Z definiert sich als LGBTI*, mehr als jeder fünfte junge Mensch in Deutschland ist damit homo- oder bisexuell beziehungsweise queer. Naiv gedacht, müsste man annehmen, bei einer so großen Anzahl von Gleichgesinnten sollte es den jungen LGBTI*-Menschen doch gut gehen, oder?
Leider ist das Gegenteil der Fall, zahlreiche Studien aus dem In- und Ausland sowie auch die direkten Erfahrungswerte von LGBTI*-Jugendberatungseinrichtungen wie dem anyway in Köln, dem Coming Out Day Verein oder auch Lambda zeigen dies eindringlich auf. Auch nach dem Ende der Covid-Pandemie bestimmen in extremer Weise Ängste, Depressionen und Einsamkeit gepaart mit Mobbing und Diskriminierungserfahrungen das Leben der jungen LGBTI*-Generation.
Einsamkeit und Flucht ins Digitale
Ein paar Fakten: Im Juni dieses Jahres zeigte die neue Studie der Bertelsmann-Stiftung auf, dass vor allem junge Menschen von Einsamkeit betroffen sind, insbesondere auch junge LGBTI*-Menschen. Fast die Hälfte der 19-bis-22-Jährigen kennt das Gefühl der Einsamkeit sehr gut. Verstärkt wird das durch den Fakt, dass in Deutschland anteilig deutlich mehr Menschen allein leben als in den meisten anderen Staaten der Europäischen Union. Umgerechnet auf die LGBTI*-Community sind rund 2,07 Millionen homosexuelle und queere Menschen in Deutschland allein – jeder Fünfte.
Junge LGBTI*-Menschen flüchten deswegen auch überverhältnismäßig oft in digitale Welten – alles ist dabei von Fernsehen, YouTube-Videos und Videospielen bis hin zu den sozialen Medien, Videochats und dem planlosen Herumsurfen online. LGBTI*-Jugendliche verbringen rund vier Stunden pro Tag mehr online als gleichaltrige heterosexuelle Minderjährige, insgesamt mehr als zehn Stünden täglich. Für Gesundheitsexperten ist dabei klar, dass die Bildschirmnutzung oftmals auch negative Auswirkungen auf die psychische und physische Gesundheit der queeren Generation-Z haben kann – der Teufelskreis beginnt.
Diagnose Depression
Natürlich kann das Eintauchen ins Internet und der Aufenthalt in digitalen Safe Spaces auch als schützend, wertvoll und unterstützend wahrgenommen werden. Die Frage aber, ob Schaden oder Nutzen hier überwiegt, ist noch nicht abschließend beantwortet. Fakt ist aber auch: Depressionen und Angstzustände haben bei jungen LGBTI*-Menschen in den letzten Jahren massiv zugenommen. Noch immer ist das Suizidrisiko von jungen Lesben und Schwulen vier- bis siebenmal höher als das von Jugendlichen im Allgemeinen (Studie Berliner Senat).
Psychische Erkrankungen sind dabei die zweithäufigste Ursache für stationäre Krankenhausbehandlungen von Kindern und Jugendlichen, die häufigste Diagnose ist überproportional die Depression. Insgesamt 81.000 der jungen Krankenhauspatienten wurden so zuletzt binnen eines Jahres aufgrund von psychischen Erkrankungen und Verhaltensstörungen stationär behandelt.
Unsicherheit und Identitätssuche
Sven Norenkemper vom Coming Out Day Verein sagt dazu gegenüber SCHWULISSIMO: „Queere Jugendliche sind oft mit mehreren Herausforderungen gleichzeitig konfrontiert. Einerseits gibt es die allgemeine Unsicherheit und Identitätssuche, die alle Jugendlichen durchmachen. Andererseits müssen LGBTI*-Jugendliche zusätzlich mit Diskriminierung, Ablehnung und manchmal auch Gewalt umgehen. Diese Mehrfachbelastung kann dazu führen, dass sie sich isoliert fühlen, defacto es auch nicht selten sind. Ein weiterer Faktor ist das Fehlen von Vorbildern und sicheren Räumen, in denen sie sich frei und akzeptiert fühlen können. Die gesellschaftliche Akzeptanz ist an vielen Stellen zwar gestiegen, aber in vielen anderen Bereichen nehmen Vorurteile und Ausgrenzung erschreckenderweise wieder stark zu.“
Starkes Interesse an Politik
Das politische Klima verstärkt diese negativen Gefühle oftmals überdies, in den letzten eineinhalb Jahren bestätigten inzwischen vier Studien eindrucksvoll, dass die Akzeptanz gegenüber der LGBTI*-Community erstmals wieder zurückgegangen ist, während die Hassverbrechen gegen Homosexuelle sprunghaft jedes Jahr weiter ansteigen. Allerdings gibt es genau hier auch Hoffnung, denn junge LGBTI*-Menschen sind politisch interessierter als die Allgemeinbevölkerung, insgesamt 43 Prozent der jungen Homosexuellen und queeren Personen begeistern sich stark für Politik. Wenn die Lebensrealität für junge LGBTI*-Menschen besser werden soll in den kommenden Jahren, bedarf es also dabei genau hier mehr Engagement – und das erkennt offenbar auch die junge LGBTI*-Generation.
Hier gibt es Hilfe
Die Berichterstattung über Suizid ist ein überaus sensibles Thema. Wir möchten es in KEINSTER Weise glorifizieren oder romantisieren. Viele Menschen die durch Suizid sterben, leiden an einer psychischen Erkrankung. Wenn es dir nicht gut geht oder du daran denkst, dir das Leben zu nehmen, versuche mit anderen Menschen darüber zu sprechen. Das können Freunde oder Verwandte sein. Es gibt aber auch eine Vielzahl von Hilfsangeboten, bei denen du dich melden kannst. Die Telefonseelsorge ist anonym, kostenlos und rund um die Uhr erreichbar. Die Telefonnummern sind 0800/111 0 111 und 0800/111 0 222.
Mit Beratung steht dir auch der Coming Out Verein via Messenger oder E-Mail unter www.coming-out-day.de zur Seite. Weiterhin gibt es von der Telefonseelsorge das Angebot eines Hilfe-Chats. Außerdem gibt es die Möglichkeit einer E-Mail-Beratung. Die Anmeldung erfolgt – ebenfalls anonym und kostenlos – auf der Webseite. Informationen findest du unter: www.telefonseelsorge.de