Grundgesetzänderung Werden bei den Gesprächen um eine neue schwarz-rote Regierung auch LGBTIQ+-Themen behandelt?
Union und SPD befinden sich seit gestern Abend in ihren Koalitionsverhandlungen, bisher gibt es aus Berlin dazu nur positive Signale bezüglich einer möglicherweise schnellen Einigung – ob und wie dabei LGBTIQ+-Themen eine Rolle spielen, ist bisher nicht bekannt. Die Befürchtung wächst von Tag zu Tag, dass wesentliche Punkte für die Community dabei zur Verhandlungssache werden könnten. Nun hat sich auch Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) in die Debatte eingeschaltet. Lob kommt dafür vom LSVD+, scharfe Kritik von Linke queer.
Rollback mit Schwarz-Rot?
Zuvor hatten bereits mehrere Vertreter der Community sowie auch queere Verbände die Wichtigkeit bestehender Gesetze wie dem Selbstbestimmungsgesetz bekundet und gefordert, weiter an Projekten wie einem Nationalen Aktionsplan oder einer Reform des Abstammungsrechts zu arbeiten. Die Union will indes hier in Teilen eine Überarbeitung bestehender Gesetze. Der queer-politische Sprecher der SPD, Falko Droßmann, hatte gegenüber SCHWULISSIMO erklärt, dass man weiter für die Projekte kämpfen werde. Der scheidende Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann, sagte indes über Bluesky: „Alles an der Zusammensetzung der schwarz-roten Verhandlungsgruppen riecht nach gesellschaftspolitischem Rollback und ´Leitkultur´. Schmerzlich vermisst werden Vielfalt, Demokratieförderung, Feminismus, Queer.“
Fokus auf Artikel 3
Eines der großen Themen, die nach rund drei Jahren Ampel-Regierung nicht umgesetzt werden konnten, ist die Ergänzung des Grundgesetzes in Artikel 3 um den Passus der „sexuellen Identität“ als besonders schützenswerte Gruppe. Weite Teile der Union sowie auch Kanzlerkandidat Friedrich Merz sehen keinen Bedarf für eine solche Änderung. In der CDU setzen sich bisher vor allem nur Hendrik Wüst, der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Ministerpräsident Daniel Günther in Schleswig-Holstein sowie Berliners Regierungschef Kai Wegner für eine Grundgesetzänderung ein, die nur mit einer Zweidrittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat möglich ist.
Im Berliner Abgeordnetenhaus betonte Wegner nun, er hoffe, dass sich die Union und die SPD bei den Koalitionsverhandlungen darauf einigen könnten, anderenfalls wolle Berlin an seiner angedachten Bundesratsinitiative festhalten und diese zeitnah auf den Weg bringen. Die Chancen auf Erfolg dürften allerdings ohne Zuspruch der gesamten Union indes weiterhin sehr gering sein.
Lob vom LSVD+
Der Verband Queere Vielfalt (LSVD+) begrüßte mit deutlichen Worten die Aussagen Wegners. Alexander Vogt aus dem Bundesvorstand, erklärte, man sei ihm dankbar für seine klaren Worte. Zudem: "Diese Ergänzung ist mehr als überfällig. Grundrechte sind nicht verhandelbar, sondern sollten selbstverständlich sein. Darum hoffen und wünschen wir uns hier eine schnelle Einigung. Mit Hendrik Wüst, der sich bereits 2022 für eine entsprechende Grundgesetzänderung aussprach und Daniel Günther, dessen Landtagsfraktion in Schleswig-Holstein jüngst ebenfalls eine Bunderatsinitiative ins Spiel brachte, haben wir weitere starke Stimmen in unionsgeführten Ländern, die uns unterstützen und die in der Union gehört werden. Da auch SPD, Grüne, LINKE und FDP diese Ergänzung seit geraumer Zeit fordern, gehen wir davon aus, dass dies nicht nur in den Koalitionsverhandlungen, sondern auch in den Gesprächen zur aktuellen Verfassungsänderung zum Thema wird."
Scharfe Kritik von Linke queer
Ganz anders hingegen schätzt die Fürsprache von Wegner die Linke queer ein. Die Bundessprecher Daniel Bache und Luca Renner sprechen von einem „Rumgeeier und mangelndem Respekt“ gegenüber der Community und betonen weiter: „Kai Wegner scheint zu ahnen, dass es auch in Berlin genügend Menschen gibt, die die CDU vom CSD schmeißen wollen. Anders ist kaum zu erklären, dass der Regierende wenige Wochen vor Beginn der CSD-Saison anfängt Beruhigungspillen zu verteilen. Wenn es darum geht, den Schutz queerer Menschen im Grundgesetz festzuschreiben, verhält sich Wegner ähnlich apathisch wie die CDU-Ministerpräsidenten Hendrik Wüst und Daniel Günther, die bei manchen immer noch als die ´Anständigen in der Union´ durchgehen. Eine Bundesratsinitiative zur Ergänzung des Diskriminierungsschutzes im Grundgesetz schmort seit letztem Sommer in seiner Senatskanzlei. Mit dem Verweis auf die Koalitionsverhandlungen im Bund lenkt Wegner von der Untätigkeit seines Senats ab. Er gehe davon aus, dass seine Regierung die Bundesratsinitiative ´hoffentlich´ auf den Weg bringen werde. Worauf hofft der Mann denn bitte? Auf den lieben Gott? Er und seine Partei haben es in der Hand! Die Fakten liegen auf dem Tisch. Wenn Wegner nach gut zwei Jahren Amtszeit in dieser Frage immer noch auf ´Ressortabstimmung´ verweist, dann glaubt das doch kein Mensch. Eine entsprechende Bundesratsinitiative hätte es seitens unionsgeführter Bundesländer wie Berlin längst geben können und dass es sie nicht gibt, geht auf das Konto der CDU.“