Finale Selbstbestimmungsgesetz Ampel-Koalition will heute Mittag umstrittenes Gesetz verabschieden
Heute Mittag findet im Bundestag die 2./3. Lesung des geplanten Selbstbestimmungsgesetzes statt, einer finalen Verabschiedung steht dann nichts mehr im Wege. Befürworter feiern bereits das neue Gesetz, Kritiker wollen weiter notfalls auch gerichtlich gegen das Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) vorgehen. Heute treffen beide Gruppen vor dem Bundestag zusammen.
Frauenverbände rufen zu Protest auf
Mehrere Frauenschutzorganisationen haben zum Protest aufgerufen und erklärten, dies sei ein „schwarzer Tag für Frauen- und Kinderrechte.“ Unter anderem werden Vertreter der Vereine Frauenheldinnen, LAZ reloaded sowie der Initiativen „Lasst Frauen sprechen“ und „Frauen sprechen“ vor Ort sein.
Die Lesbenorganisation LAZ erklärte, dass das neue Gesetz ungeachtet der Entwicklungen anderer Länder wie Großbritannien, Schweden, Finnland, Norwegen, Dänemark, Frankreich, Australien oder Teilen der USA weiter durchgezogen werden würde – alle jene Länder hatten eine 180-Grad-Wende bei ähnlichen Gesetzen oder generell der Behandlung von Trans-Menschen vollzogen.
„Begründet allein durch die Einführung des unwissenschaftlichen Begriffs einer ´gefühlten´ Geschlechtsidentität wird hier eine gesetzliche Möglichkeit für jedermann und jedefrau geschaffen, seinen oder ihren Geschlechtseintrag, ohne jede staatliche Kontrolle, beliebig (jährlich) wechseln zu können. Dadurch verliert der Geschlechtseintrag seine Beweisfunktion. Auch verstößt das SBGG damit gegen den Verfassungsgrundsatz der Normenklarheit und Normenbestimmtheit (…) Schließlich zwingt das im SBGG enthaltene strafbewehrte Offenbarungsverbot zur Lüge über das tatsächliche – und oftmals offenkundige – Geschlecht einer Person.“
Kritik von Union und BSW
Unterstützung bekommen die Frauenverbände von mehreren schwul-lesbischen Vereinen sowie auch von CDU/CSU – die stellvertretende Vorsitzende der Unions-Bundestagsfraktion, Andrea Lindholz, spricht so von einem „echten Sicherheitsrisiko“, zudem werde der Schutz von Kinder und Minderjährigen „sträflich missachtet.“
Ähnliche Kritik kommt auch vom Bündnis Sahra Wagenknecht BSW: „Die Folgen für Familien und Kinder können verheerend sein (…) Sind sie über 14 Jahre, sind die Eltern faktisch raus und müssen zusehen, wie ihr Kind womöglich wegen Pubertätsproblemen oder falschen Vorbildern den Fehler seines Lebens begeht“ so Wagenknecht gegenüber dem Nachrichtenportal von t-online. Zudem betonte die Vorsitzende der neuen Partei, dass das SBGG ein „typisches Ampel-Gesetz“ sei, welches mehr Probleme schaffe, anstatt sie zu lösen. „Das Gesetz ist der Auftakt einer Ideologie, die Pubertätsblocker und operative Eingriffe zur Normalität erklären will. Das Gesetz wird Menschen in Geschlechtsumwandlungen treiben, die es dann bitter bereuen werden.“
Ähnlich wie offenbar auch die Union will sich auch das BSW für eine Rückabwicklung des Gesetzes nach der Bundestagswahl einsetzen. Mehrere Frauenschutzverbände prüfen indes offenbar bereits rechtliche Optionen, um gegen das SBGG gerichtlich vorzugehen, notfalls bis zum Bundesverfassungsgericht.
LSVD+ begrüßt im Kern das SBGG
Die Kritiker des SBGG treffen dabei heute Mittag bei mehreren Demonstrationen auf die Befürworter, darunter Vertreter des LSVD+ - Verband Queere Vielfalt (ehemals Lesben- und Schwulenverband) sowie des Bundesverbandes Trans*. Beide Verbände möchten ebenso heute konkret Stellung beziehen zu dem finalen Gesetztext: „Die einladenden Verbände begrüßen die Abkehr von Begutachtung und pathologisierenden Diagnosen im Selbstbestimmungsgesetz. Einzelne Regelungen des Gesetzes gaben in den vergangenen Monaten Anlass zu Besorgnis und kontroversen Diskussionen.“
Lehmann sagt: Bye TSG
Sven Lehmann, der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, hatte dazu erklärt: „Das wird nicht nur ein wichtiger Tag für die Grund- und Menschenrechte von trans- und intergeschlechtlichen sowie nicht-binären Menschen, sondern auch für eine offene und demokratische Gesellschaft, in der Menschen vom Staat so anerkannt werden, wie sie sind (…) Mit dem Selbstbestimmungsgesetz wird ihre staatliche Bevormundung und Fremdbestimmung endlich beendet. Die Korrektur des Geschlechtseintrags und Vornamens ist zukünftig mit einer Selbstversicherung beim Standesamt möglich. Psychiatrische Zwangsbegutachtung und langwierige, teure Gerichtsverfahren gehören bald der Vergangenheit an. Das Gesetz nimmt niemandem etwas weg, aber macht das Leben für eine kleine Minderheit würdevoller und leichter. Nach über 40 Jahren Leid können wir bald endlich sagen: Bye Transsexuellengesetz, Willkommen Selbstbestimmung!“
Vogler: „Kein richtig gutes Gesetz“
Kathrin Vogler, die queer-politische Sprecherin der Linken, erklärte, dass eine Abstimmung überfällig gewesen sei. Grundsätzlich freue sich die Fraktion über die künftige Möglichkeit des einfachen Personenstandswechsels, aber: „Dieses Gesetz ist leider nicht der erhoffte große Wurf. Weitere Diskriminierungen und die Armut vieler Betroffener geht das Selbstbestimmungsgesetz nicht an. Inter- und transgeschlechtliche sowie nicht-binäre Menschen stehen im Zentrum eines globalen rechten Kulturkampfes. Ihnen sollen Menschenrechte verweigert werden.“
Vogler kritisiert des Weiteren gewisse Einschränkungen eines Personenstandswechsels für Ausländer sowie beispielsweise auch für betreute Personen. Auch die unklaren Regeln mit Blick auf das Haus- und Vereinsrecht seien ärgerlich. „Wir fordern einen Entschädigungsfonds für Opfer des Transsexuellengesetzes und für die von frühkindlichen Operationen betroffenen intergeschlechtlichen Menschen einzurichten. Außerdem fordert Die Linke, dass der Bundestag trans- und intergeschlechtliche sowie nichtbinäre Menschen um Entschuldigung bittet für das Leid, welches diesen Personengruppen in der Vergangenheit auch durch eine diskriminierende Gesetzgebung angetan wurde.“ Das Fazit von Vogler: „Das Selbstbestimmungsgesetz wird kein richtig gutes Gesetz, aber es ein erster notwendiger Schritt für mehr Grundrechte für die Betroffenen.“
Kleine Änderungen im finalen Text
Bis auf kleine Änderungen soll das SBGG heute so beschlossen werden, wie 2023 zuletzt angedacht: Kindern und Jugendlichen ist ab 14 Jahren mit Zustimmung der Eltern ein juristischer Geschlechtswechsel möglich, zuvor müssen sie versichern, beraten worden zu sein. Eine nachprüfbar verpflichtende Beratung gibt es nicht. Erwachsene können den Personenstandswechsel dann ohne Gutachten direkt beim Standesamt vollziehen.
Die Entscheidung, ob beispielsweise Trans-Frauen Zutritt zu frauenspezifischen Räumen wie Frauen-Saunen bekommen, soll weiterhin über das Hausrecht und damit über die Betreiber geregelt werden. Beim sogenannten Deadnaming einer Trans-Person können künftig durch das Offenbarungsverbot Geldstrafen von bis zu 10.000 Euro fällig werden. Ab August können dann nach aktuellem Plan erste Anträge gestellt werden, ab November soll das Gesetz in Kraft treten.