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Selbstbestimmungsgesetz

Selbstbestimmungsgesetz Finale Abstimmung mit neuen Gesetzestexten am kommenden Freitag

ms - 10.04.2024 - 11:30 Uhr

Am kommenden Freitag will die Ampel-Regierung nach der 2./3. Lesung final über das geplante Selbstbestimmungsgesetz abstimmen – nach Informationen, die SCHWULISSIMO vorliegen, sind einige Änderungen im finalen Gesetzestextes geplant, um die seit mehreren Monaten zwischen Vertretern von FDP, SPD und Grüne heftig gerungen worden war. Die aktuell angedachten Änderungsanträge sollen heute im Familienausschuss beschlossen werden.

Beratung vor Geschlechtswechsel

Bisher sah das Gesetzesvorhaben vor, dass Kinder ab 14 Jahren selbstbestimmt einen Personenstandswechsel durchführen lassen können, entweder mit Zustimmung der Eltern oder ansonsten durch Erklärung des Familiengerichts. Der Passus wurde nun um eine Beratung ergänzt, die entweder durch Personen mit einer psychologischen Ausbildung beziehungsweise einer „jugendpsychiatrischen Berufsqualifikation“ erfolgen kann oder ansonsten durch „öffentliche oder freie Träger der Kinder- und Jugendhilfe“ stattfinden soll. Jugendliche müssen vor der Antragstellung für einen juristischen Geschlechtswechsel versichern, an einer solchen Beratung teilgenommen zu haben.

Bei Kindern unter 14 Jahren war bisher vorgesehen, dass Eltern allein über einen möglichen Personenstandswechsel entscheiden dürfen – auch hier müssen Eltern nun eine Versicherung abgeben, dass sie vorab beraten worden sind. Bei Kindern ab dem fünften Lebensjahr bedarf es zudem des Einverständnisses des Minderjährigen selbst. 

Keine Änderung zu Frauenschutzräumen

Ebenso immer wieder im Vorfeld heftig kritisiert worden war die Tatsache, dass Trans-Frauen mit dem neuen Gesetz so ungehindert Zugang zu Frauenschutzräumen bekommen würden. Hier wurden keine weiteren Veränderungen vorgenommen und es wird allgemein nach wie vor nur auf die Vertragsfreiheit und das Hausrecht verwiesen, beispielsweise, wenn ein Betreiber einer Sauna sich weigert, einer Trans-Person Einlass zu gewähren. Kritiker befürchten, dass die finale Entscheidung schlussendlich damit auf dem Rücken der Betreiber ausgetragen werden könnte, die sich je nach Fall damit möglicherweise auch der Anti-Diskriminierung schuldig machen könnten. 

Einschränkungen bei Änderung von Dokumenten

Eine kleine neue Einschränkung sieht der finale Gesetzestext auch bei dem Änderungen von Dokumenten vor – bisher sollte Trans-Personen das Recht eingeräumt werden, alle Dokumente wie Zeugnisse, Verträge oder auch den Führerschein auf den neuen Namen und das neue Geschlecht ändern lassen zu können. Dies gilt auch weiterhin, allerdings mit Einschränkungen: Nicht mit dem geänderten Geschlechtseintrag und den geänderten Vornamen neu ausgestellt werden gerichtliche Dokumente, nach dem Beurkundungsgesetz oder dem Personenstandgesetz errichtete Dokumente sowie jene Dokumente, die durch die Veränderung des Vornamens oder des Geschlechts ungültig werden würden. 

Damit entfällt künftig im Gegenzug die bisher angedachte Regelung, dass die Meldebehörde andere Behörden wie beispielsweise das Bundeskriminalamt oder die Bundespolizei über den Geschlechtswechsel informieren muss. Hintergrund der einstmals angedachten Regelung waren die Bedenken des BKA sowie des Bundesinnenministeriums, dass sich ansonsten Kriminelle durch einen Personenstandswechsel sehr einfach einer Verfolgung entziehen hätten könnten.  

Mit Blick auf das Paßgesetz kann künftig dann durch die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung, die eine Variante der Geschlechtsentwicklung bestätigt, die Angabe „männlich“ oder „weiblich“ im Ausweis angezeigt werden. Ist im Personalausweis das Geschlecht nicht mit „weiblich“ oder „männlich“ angegeben, wird im Pass das Geschlecht mit „X“ bezeichnet. Zwingend verpflichtend ist die ärztliche Bescheinigung allerdings nicht, vor allem dann nicht, wenn eine Behandlung nicht mehr oder nur „durch eine unzumutbare Untersuchung“ nachgewiesen werden kann. Es reicht dann zudem aus, wenn die Variante der Geschlechtsentwicklung „an Eides statt“ von der betreffenden Person versichert wird. 

Mehr Rechte für Eltern

Eine weitere Neuerung sieht vor, dass Eltern den neuen Geschlechtseintrag ihrer Kinder unter bestimmten Bedingungen nicht zwingend anerkennen müssen und sie auch vom Offenbarungs- und Ausforschungsverbot ausgeschlossen sind, außer sie handeln in eindeutiger Schädigungsabsicht. Für alle anderen Menschen gilt das Offenbarungsverbot weiterhin, dass bei Zuwiderhandlung, also dem öffentlichen Benennen oder Ausforschen des alten Namens einer Trans-Person (Deadnaming), eine Geldstrafe von bis zu 10.000 Euro vorsieht.

Angedacht ist, dass ein Personenstandswechsel voraussichtlich bereits ab August dieses Jahres vollzogen werden kann, in Gänze soll das Gesetz dann zum November 2024 in Kraft treten. Ob das tatsächlich zeitlich so umgesetzt werden kann, hat zuletzt der Bundesrat rein aus organisatorischen Aspekten heraus stark bezweifelt.

Demonstration gegen Verabschiedung geplant 

Bereits jetzt formiert sich dabei gegen die finale Abstimmung am Freitag massiver Widerstand, mehrere Frauenorganisationen sowie schwul-lesbische Vereine haben zu einer Demonstration vor dem Bundestag aufgerufen. Der Verein der Frauenheldinnen hinterfragt dabei, warum die Ampel-Regierung nicht auf die Entwicklungen anderer Länder blickt, in denen wie zuletzt in den Niederlanden oder auch Schweden angedachte Selbstbestimmungsgesetze gestoppt worden sind: „Die Regierungsparteien entfernen sich mit dem Gesetz von ihren Wählerinnen und Wählern und sie isolieren Deutschland international. Wir fordern alle Abgeordneten auf, sich in den Dienst des Volkes zu stellen und den mit dem Gesetz verknüpften demokratiefeindlichen Interessen eine Absage zu erteilen.“

Der schwule Verband Just Gay erklärte, dass die Rechte von Homosexuellen in Deutschland massiv gefährdet seien: „Unsere Infrastruktur wird zerstört, wir werden neu definiert, Konversionen sind zu befürchten. Wir werden für unsere Rechte kämpfen und wir sagen Nein zu einem Anti-Homosexuellen-Gesetz der aktuellen Regierung.“ Ein Statement seitens Befürworter des Gesetzes wie dem LSVD+ oder der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e.V. (dgti) steht aktuell noch aus. 

Lehmann freut sich über neues Gesetz

Der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann, erklärte „Ich bin sehr froh, dass sich die Fraktionen endlich geeinigt haben. Damit kann das Selbstbestimmungsgesetz noch in dieser Woche im Bundestag verabschiedet werden. Das wird nicht nur ein wichtiger Tag für die Grund- und Menschenrechte von trans- und intergeschlechtlichen sowie nicht-binären Menschen, sondern auch für eine offene und demokratische Gesellschaft, in der Menschen vom Staat so anerkannt werden, wie sie sind." 

Und weiter: "Mit dem Selbstbestimmungsgesetz wird ihre staatliche Bevormundung und Fremdbestimmung endlich beendet. Die Korrektur des Geschlechtseintrags und Vornamens ist zukünftig mit einer Selbstversicherung beim Standesamt möglich. Psychiatrische Zwangsbegutachtung und langwierige, teure Gerichtsverfahren gehören bald der Vergangenheit an. Nach über 40 Jahren Leid können wir bald endlich sagen: Bye Bye Transsexuellengesetz, Willkommen Selbstbestimmung!"

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