Skandal bei Welt-AIDS-Konferenz "Für mich ist das, was Kanada tut, eine Form der Diskriminierung!“
Es klingt ein wenig absurd, aber gerade viele Vertreter aus Afrika, jenem Land, in dem zwei Drittel aller HIV-Fälle vorliegen, sind bei der aktuell laufenden Welt-AIDS-Konferenz in Montreal offenbar nicht dabei – der Grund ist simpel: Kanada verweigerte ihnen zumeist kurz vor Beginn der Konferenz am vergangenen Freitag ein Visum und damit die Einreise. Nach Angaben der ausführenden Organisation, der International AIDS Society, wird vermutet, dass insgesamt so mehrere hundert Teilnehmer kurzfristig ausgeschlossen worden sind. In einem offiziellen Statement erklärte die Organisation, dass sie tief besorgt über diese Entwicklung sei: "Viele Menschen aus einigen der Länder, die am stärksten von HIV betroffen sind, werden dadurch daran gehindert, nach Kanada einzureisen und an der AIDS 2022 teilzunehmen, darunter auch Mitarbeiter und Führungskräfte der IAS."
Viele HIV-Kämpfer und potenzielle Delegierte aus Afrika, Asien und Südamerika zeigten sich auch gegenüber der Deutschen Welle enttäuscht und wütend, beispielsweise die 32-jährige Sozialarbeiterin Philomena Gori aus Kamerun, die im Vorfeld bereits rund 2.000 US-Dollar für den Visumsantrag samt erforderlicher Dokumente sowie eine Unterkunft vor Ort ausgegeben hat. Sie wollte auf der Konferenz ihr Wissen erweitern und Beziehungen knüpfen, um in Kenia eine HIV-Hilfsorganisation zu gründen. Wenige Tage vor der Einreise wurde ihr die Ablehnung ihres Visums übermittelt: „Ich bin gerade so enttäuscht und wütend. Ich habe viel dafür aufgegeben, ich habe mir sehr viel Mühe gegeben, um teilnehmen und meiner Gemeinschaft etwas zurückgeben zu können. Hier in Afrika sind die Menschen, die am meisten von dieser Krankheit betroffen sind, und ich hätte erwartet, dass sie uns mehr Möglichkeiten geben. Ich habe das Gefühl, es liegt daran, dass wir aus afrikanischen Ländern kommen", so Gori gegenüber der Deutschen Welle.
Einem anderen Delegierten namens Sam W. Pionlay, dem ebenso kurzfristig eine Absage erteilt worden war, hatte die kanadische Behörde erklärt, sie seien nicht überzeugt davon, dass er nach Abschluss der Konferenz Kanada auch wieder verlassen werde. Pionlay stammt ursprünglich aus Liberia, studiert jedoch aktuell IT in Marokko und arbeitet dort in der HIV- und AIDS-Prävention. "Es macht einfach keinen Sinn. Meine Arbeit hilft jungen Menschen hier in Afrika. Nächstes Jahr schließe ich mein Studium ab. Warum sollte ich in Kanada bleiben? Die Konferenz dieses Jahr hätte eine Gelegenheit für die Afrikaner sein sollen, teilzunehmen. Ich bin wirklich von Kanada enttäuscht. Ich bin frustriert", so Pionlay.
Inzwischen wird auch von offizieller Seite die Wahl von Kanada als Austragungsort der Konferenz scharf kritisiert. David Ndikumana, geschäftsführender Direktor der LGBTI*-Organisation WEKA, die in der Demokratischen Republik Kongo Menschen mit HIV hilft, erklärte: "Für mich ist das, was Kanada tut, eine Form der Diskriminierung!“ Auf Rückfrage der Deutschen Welle erklärte die Pressesprecherin des kanadischen Ministeriums für Einwanderung, Flüchtlinge und Staatsangehörigkeit (IRCC), Aidan Strickland: "Wir verstehen die Enttäuschung, die manche Antragssteller fühlen, wenn sie ihr Visum nicht rechtzeitig für die Welt-AIDS-Konferenz erhalten. Das IRCC hat alle erforderlichen Schritte unternommen, um die Bearbeitung der Anträge zu beschleunigen und Reisen zu dieser Veranstaltung zu ermöglichen."
Die Hoffnung mit Blick auf die aktuelle 24. Welt-AIDS-Konferenz ist nach wie vor hoch – aufgrund der Corona-Pandemie geriet die Bekämpfung der Virusinfektion und die Suche nach besseren weltweiten Versorgungsmöglichkeiten sowie schlussendlich die Forschung für ein Heilmittel ein Stück weit ins Hintertreffen. Mehrere tausend Wissenschaftler, Politiker, Aktivisten und Sozialarbeiter diskutieren seit Freitag über neue Lösungen und Ansätze. Erstmals tagte die Welt-AIDS-Konferenz 1985, sie ist die weltweit größte Zusammenkunft von HIV-Experten. Morgen Abend endet die aktuelle Konferenz in Montreal.