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Sextornation
Rubrik

Sextortion Ein freizügiges Bild zuviel und ich wurde zum Opfer? Was kann ich tun?

ms - 23.08.2024 - 16:00 Uhr

Das Antivirenprogramm Norton des amerikanischen Softwarehauses Symantec warnte unlängst vor der sogenannten „Online Sextortion“, einer besonderen Form von Erpressung, bei der die Täter behaupten, sexuelle Fotos und Videos von den Opfern zu haben. 

An anderer Stelle wird gedroht, die Nutzung von pornografischen Websites eines Users zu veröffentlichen. Besonders gerne sind dabei vor allem nicht geoutete homosexuelle Menschen Angriffsziele. In den letzten Monaten haben die Attacken dabei offenbar an Quantität zugelegt. 

Furcht vor Zwangsouting

Nebst der generellen Angst vor einer peinlichen Entblößung kommt hier noch die Furcht vor einem Zwangsouting mit dazu, verbunden mit all den befürchteten negativen Konsequenzen für das eigene Berufs- sowie Privatleben. Norton hat zusammen mit Gen Threat Labs untersucht, wo es in den letzten Monaten zu besonders zahlreichen Angriffen und blockierten Sextortion-Attacken gekommen ist. Wenig überraschend finden sich die meisten Erpressungsversuche in den USA, gleich danach kommt die Tschechische Republik, Japan und Russland sowie einige Länder in Europa, darunter auch Deutschland, Italien, Frankreich, Spanien oder Großbritannien. Insgesamt wurden binnen drei Monaten fast 8,2 Millionen Sextortion-E-Mails blockiert. Es wird davon ausgegangen, dass viele weitere ihr Ziel leider dennoch erreicht haben. 

Panik und Zeitdruck

Zumeist, so Norton, verfügen die Betrüger gar nicht über die Inhalte, mit denen sie drohen. Fast immer werden die Erpressungsversuche via E-Mail versandt. Mittels Panikmache und Zeitdruck wird so dann versucht, das potenzielle Opfer schnellstmöglich zu einer Überweisung von Schweigegeld zu drängen. Viele dieser kriminellen Nachrichten lassen sich dabei eigentlich bereits daran erkennen, dass die Formulierungen meist sehr allgemein gehalten sind, keine Angaben zu dem Computer oder Gerätetyp gemacht werden, der angeblich ausgeforscht worden sein soll, oder auch keine persönliche Anrede mit Namen stattfindet. 

Trotzdem gibt es offenbar gerade auch in der schwulen Community viele, die vorschnell aus Angst vor Entdeckung reagieren und zu einem Opfer werden. In den allermeisten Fällen handelt es sich zwar um leere Drohungen, doch so richtig beruhigt das nicht, oder?  Wie kann man im schwulen Dating-Dschungel unterwegs sein und trotzdem möglichst viel Wert auf Sicherheit setzen? Was kann man tun, wenn man erpresst wird? Und warum ist es trotz aller Scham so wichtig, zur Polizei zu gehen? SCHWULISSIMO fragte nach bei Polizeihauptkommissar Michael Späth, LGBTI*-Ansprechperson bei der Polizei Berlin. 

IT-Experten warnten in letzter Zeit immer wieder vor Online Sextortion. Besonders betroffen davon sind gerne auch LGBTI*-Menschen, die je nach Fall nebst der an sich vielleicht peinlichen Ausgangssituation auch noch ein mögliches Zwangsouting im Job oder bei der Familie sowie bei Freunden fürchten müssen. Wie können sich aus Ihrer Sicht LGBTI*-Menschen hier am besten schützen?

Sextortion bezeichnet eine Form der Erpressung im Internet, bei der Betrüger ihre Opfer zu sexuellen Handlungen überreden, um sie anschließend mit der Veröffentlichung von unbemerkt aufgezeichneten Bildern oder Videos zu erpressen und hohe Geldsummen, vorzugsweise in Kryptowährungen, zu fordern. Oft treten die Betrüger über soziale Netzwerke wie Twitter, Snapchat, Instagram oder Facebook oder über Dating-Plattformen mit ihren Opfern in Kontakt und gewinnen zunächst deren Vertrauen. Einmal im Gespräch, überreden sie sie dazu, ihnen Nacktfotos oder -videos zuzusenden oder lenken den Chat bald auf Video-Telefonie um. Dort bringen sie ihre Chat-Partner dazu, sexuelle Handlungen vor der Kamera auszuführen. Im Anschluss drohen die Täter damit, unbemerkt aufgenommene oder zugesandte Bilder oder Videos im Internet zu veröffentlichen, wenn das geforderte Lösegeld nicht gezahlt wird. Die Täterinnen und Täter sind oft in Banden organisiert und operieren vom Ausland aus. Die Polizei Berlin warnt davor, das geforderte Geld zu bezahlen. Die Erpressung hört nach Zahlung meist nicht auf. In der Regel sind Männer das häufigere Ziel von Sextortion, jedoch sind auch Frauen davon betroffen. Es gibt auch Fälle, bei denen den Opfern per E-Mail ein Erpresserschreiben zugesandt wird, in dem sie aufgefordert werden, eine bestimmte Geldsumme zu zahlen, andernfalls, so behaupten die Täterinnen und Täter, werde kompromittierendes Material beziehungsweise Nacktaufnahmen des Adressaten veröffentlicht. Grundsätzlich gelten für LSBTIQ Menschen die gleichen Verhaltenstipps wie für alle Menschen: Seien Sie vorsichtig mit der Weitergabe von persönlichen Informationen und seien Sie misstrauisch gegenüber Fremden, die Sie online kennen lernen. Nutzen Sie starke Passwörter und nach Möglichkeit die Zwei-Faktor- Authentifizierung, so dass Ihre Accounts sicher vor Hackern sind. Verwenden Sie Antiviren-Software beziehungsweise Spamfilter, sodass Betrüger keinen Zugriff auf Ihre persönlichen Daten erhalten. Halten Sie Ihre Software auf dem aktuellsten Stand.

Gerade beim digitalen Dating über Apps wie Grindr oder Romeo werden vor allem von schwulen Männern sehr schnell sehr leichtfertig explizite Bilder oder auch Videos verschickt. Gerade wenn die Person darauf eindeutig mit Gesicht zu erkennen ist, kann das schnell zum Problem werden. Würden Sie hier generell zu mehr Vorsicht beim schwulen Dating raten? Oder gibt es zumindest gewisse Aspekte oder Sicherheitsvorkehrungen, auf die Homosexuelle hier besser achten sollten?

Grundsätzlich raten wir dazu, persönliche Informationen wie zum Beispiel die eigene Wohnanschrift nicht vorschnell an Fremde herauszugeben. Das gleiche gilt für das Verschicken von Nacktaufnahmen: Versenden Sie keinesfalls Aufnahmen, auf denen intime Bereiche und das Gesicht abgebildet sind. Stimmen Sie nicht vorschnell einem Videochat zu und lassen Sie sich nicht zu intimen Handlungen in Videochats drängen. Nicht nur das Verschicken von Nacktaufnahmen birgt Risiken, auch das Verabreden mit fremden Personen über Dating Plattformen kann dazu führen, dass man ein Opfer von (Raub-) Straftaten wird. Beim Online-Dating ist immer eine besondere Vorsicht geboten:  Schützen Sie sich, indem Sie sich beispielsweise an öffentlichen Orten verabreden oder geben Sie einer Vertrauensperson Bescheid, wann und wo Sie sich mit Fremden treffen.

Wenn es nun trotzdem geschehen ist und ein Unbekannter versucht eine Erpressung: Wie sollte man hier als Betroffener bestmöglich reagieren? Oftmals geschehen solche Erpressungsversuche ja auch unter Zeitdruck, die Täter lassen den Opfern nur ein paar Stunden Zeit, um Geld zu überweisen. 

Falls Sie nun bereits erpresst werden: Überweisen Sie keinesfalls Geld. Die Erpressung hört nach Zahlung meist nicht auf. Nehmen Sie Kontakt zu dem jeweiligen Seitenbetreiber auf, sollten Aufnahmen von Ihnen veröffentlicht worden sein. Gehen Sie nicht auf Forderungen der Erpresser ein und weisen Sie auf die Strafbarkeit der Handlung hin und brechen Sie jeglichen Kontakt zu der Person ab. Nehmen Sie Kontakt zur Polizei auf und sprechen Sie das weitere Vorgehen ab. Die Polizeibeamten vor Ort können Ihnen dann beispielsweise Ratschläge dazu geben, ob Sie Screenshots machen sollten und ob der Chat gespeichert werden sollte. Erstatten Sie Anzeige bei der Polizei.

Ein wichtiger Schritt ist sicherlich der Gang zur Polizei, um dort Anzeige zu erstatten. Blicken wir auf die Statistik (EU-Grundrechteagentur 2024) zeigt sich allerdings, dass 90 Prozent der Fälle von Hasskriminalität gegenüber LGBTI* gar nicht erst angezeigt werden, zumeist aus Angst oder Scham der Opfer. Bei Online Sextortion dürfte diese Quote wohl noch höher liegen. Warum ist es aus Ihrer Sicht trotzdem wichtig, die Polizei einzubinden? Und was können Sie vielleicht auf die Angst der Opfer erwidern? 

Neben Scham sind auch andere Gründe wie zum Beispiel die frühere strafrechtliche Verfolgung von Homosexuellen durch die Polizei und die damit einhergehende mangelnde Sensibilität und/oder Angst vor Diskriminierung für das Nichtanzeigen von Straftaten bei der Polizei verantwortlich. In Aus- und Fortbildungsveranstaltungen wurden bereits zahlreiche Mitarbeitenden der Polizei Berlin bezüglich LSBTIQ-Themen weitergebildet, um Fachwissen zu erhöhen und das Vertrauen der Community in die Polizei weiter zu verbessern. Darüber hinaus verfügt die Polizei Berlin mittlerweile über ein internes LSBTIQ Netzwerk von circa einhundert Mitarbeitenden, die besonders für LSBTIQ Themen sensibilisiert sind und so eine Basis von Vertrauen und Verständnis schaffen. Meine Kollegin Anne von Knoblauch und ich arbeiten als Ansprechpersonen für LSBTIQ der Polizei Berlin unnachgiebig daran, dass Vertrauen in die Polizei Berlin weiter zu stärken und bestehende Vorurteile gegenüber der Polizei abzubauen. Neben der Möglichkeit, eine Anzeige auf einer Polizeidienststelle vor Ort zu erstatten, gibt es darüber hinaus die Internetwache der Polizei Berlin, bei der man ganz bequem vom Computer oder Smartphone aus eine Anzeige stellen kann. Nur wenn wir als Polizei Kenntnis von einer Straftat bekommen, können wir auch helfen. Deswegen erneut der Appell meinerseits: Bitte zeigen Sie Straftaten bei der Polizei an! 

IT-Experten betonen, dass es sich in den meisten Fällen um Fake-Erpressungen handelt, sprich, die Täter haben gar kein belastendes Bildmaterial. Ist man persönlich betroffen, beruhigt diese Aussage aber wahrscheinlich eher wenig. Gibt es denn aus Ihrer Sicht Hinweise, die darauf hindeuten können, ob man es mit einer Fake-Erpressung zu tun hat oder eben nicht?

Wenn man selbst ausschließen kann, dass man entsprechendes Bildmaterial besitzt oder verschickt hat, dann kann man natürlich recht entspannt sein und alles spricht dafür, dass es sich um eine Fake- Erpressung handelt. Sind die Angaben, die die Erpresser zu den angeblichen Nacktaufnahmen machen, glaubhaft oder ist die Nachricht sehr allgemein und ohne jegliche persönlichen Informationen gehalten? Benutzen Sie die Online Dating Apps oder Plattformen, zum Beispiel Grindr oder Romeo, von denen die Betrüger sprechen überhaupt? Wir empfehlen trotz des Drucks und des persönlichen Stresses, dem man im Falle von Sextortion ausgesetzt ist, stets besonnen zu reagieren und nicht vorschnell zu handeln. Überlegen Sie selbst, ob es sich bei der Erpressung um ein Fake handeln könnte. Mittlerweile haben mehrere Dating Apps, wie zum Beispiel Scruff sogar die Bildschirmaufnahme und das Fertigen von Screenshots eingeschränkt, sodass es für andere Nutzer nicht mehr so einfach ist, explizites Bildmaterial unrechtmäßig zu erlangen. Bei weiteren Fragen zum Thema Sextortion aber auch zu allen anderen Fragen mit LSBTIQ- und Polizeibezug können Sie uns gerne auf unserem Beratungstelefon unter der 030 4664 979 444 kontaktieren.

Herr Späth, vielen Dank für das Gespräch.

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