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Selbstbestimmungsgesetz
Rubrik

Selbstbestimmungsgesetz Fronten zwischen Befürwortern und Kritikern verhärten sich

ms - 15.11.2023 - 20:00 Uhr

Mit einstündiger Verspätung startete am späten Mittwochabend im Bundestag die erste Debatte zum geplanten Selbstbestimmungsgesetz (SBGG). Immer wieder war das Gesetzesvorhaben im Zeitplan gestoppt worden, immer wieder war es zu Kritik sowohl von Befürwortern wie Gegnern gekommen.

Nach Recherchen von t-online sollen auch diverse FDP-Politiker inzwischen Bedenken an einzelnen Teilen des Gesetzesvorhabens haben, explizit geht es dabei einmal mehr um die Frage, wie selbstbestimmt vor allem Jugendliche und Kinder einen juristischen Geschlechtswechsel künftig durchführen sollen dürfen und ob bei unter 14-Jährigen das alleinige Entscheidungsrecht darüber bei den Eltern liegen darf. Genau diesen Aspekt kritisierte zuletzt auch unter anderem der Bundesrat und gab zu bedenken, dass einzelne Aspekte des aktuellen Gesetzestextes möglicherweise deswegen nicht verfassungskonform sein könnten. Die Union lehnt das Gesetzesvorhaben ab, wie zuletzt CDU-Politiker Jens Spahn betonte.

„Wir sind es ihnen schuldig!“

Familienministerin Lisa Paus betonte zu Beginn, dass das bisherige Transsexuellengesetz für viele Jahre für Trans-Menschen sehr problematisch und diskriminierend war. Die Ampel-Regierung schaffe klare Verhältnisse und stelle sich schützend vor Trans-Menschen. „Wir sind es ihnen schuldig!“, so Paus, die zudem erklärte, es ginge nicht um medizinische Maßnahmen und niemandem würde mit dem neuen Gesetz etwas weggenommen. Inhaltlich bekräftigte dies auch die SPD-Abgeordnete Anke Henning und betonte das Recht auf freie Entfaltung. Das SBGG beseitige Unrecht. Dabei kritisierte Henning zudem, dass die Debatte darum immer öfter unsachlich geführt und dabei Misstrauen bewusst gesät werden würde. „Ich bin stolz darauf, dass wir das Transsexuellengesetz abschaffen“, so die SPD-Politikerin weiter.

Union ist für Beratungspflicht

Dorothee Bär von der Union bat die Ampel-Parteien, sie mögen öfter einmal wieder Experten zu Wort kommen lassen und auch danach handeln, gerade mit Fokussierung auf Kinder und Jugendliche, die in der Pubertät eine besonders vulnerable Gruppe seien. Sie kenne kein Kind, das gerade in dieser Lebensphase komplett zufrieden mit seinem Leben und seinem Körper sei. Ebenso gab Bär zu bedenken, das in Ländern wie Schweden die Diagnosehäufigkeit im Bereich Trans um 1.500 Prozent binnen von zehn Jahren angestiegen sei und machte dafür Einflüsse von außen wie beispielsweise die sozialen Medien geltend. Es sei dabei zu einer Überidentifikation mit dem Bereich Trans gekommen. Bär sprach sich dafür aus, eine Beratungspflicht beizubehalten. „Es kann doch nicht sein, dass 10-Jährige, 12-Jährige, 14-Jährige ohne Unterstützung von Experten bei lebensentscheidenden Fragen allein gelassen werden. Es kann nicht sein, dass wir Eltern ihr Elternrecht absprechen, weil wir sagen, Elternwille zählt nicht mehr, Gerichte werden entscheiden.“  

Jürgen Lenders, der queer-politische Sprecher der FDP, entgegnete, man wolle mit dem Gesetz viel Leidensdruck von Trans-Menschen nehmen, gerade mit Blick auf die hohen Suizidtraten bei LGBTI*-Personen. Die Änderung eines Geschlechtseintrages sei dabei das Ende eines langen Weges bei Jugendlichen, nicht der Anfang. Kinder und Jugendliche sollten respektvoll behandelt werden – das Familiengericht sei im Konfliktfall wichtig, um im Sinne des Kindeswohls zu entscheiden. „Für 99 Prozent der Bevölkerung ändert sich überhaupt nichts!“, bekräftigte der FDP-Politiker.

Die queer-politische Sprecherin der Linken, Kathrin Vogler, betonte im Anschluss die Würde des Menschen – auch sie erwähnte die als demütigend empfundenen Gutachten, die Trans-Menschen bisher vor einem Personenstandswechsel beifügen müssen. Aus einem Misstrauensgesetz müsse ein echtes Selbstbestimmungsgesetz werden, so Vogler weiter.

Historischer Tag für Trans-Menschen

Die Grünen-Trans-Politikerin Tessa Ganserer sprach anschließend von einem historischen Tag, erstmals würde eine Bundesregierung aus freien Stücken ein Gesetz zum Schutz der Persönlichkeitsrechte für Trans-Menschen verabschieden wollen. Trans-, inter- und nicht-binäre Menschen würden teilweise über Jahrzehnte ein Leben in Angst führen, so Ganserer. „Sie haben Angst vor dem, was danach kommt. Weil viel zu oft noch Häme, Spott, Hass, Beleidigungen, Abwürdigungen, Demütigungen traurige Realität für transgeschlechtliche Menschen in dieser Gesellschaft sind.“

Dem gegenüber betonte Mareike Lotte Wulf von der Union, dass auch die Union jeden Hass oder Häme gegen Trans-Menschen ablehne, allerdings schaffe das Gesetz mehr Unsicherheiten als Klarheiten. Und Susanne Hierl, ebenso CDU/CSU, ergänzte, dass bisher bei allen gesetzlichen Fortschritten für LGBTI*-Menschen wie der Abschaffung des Paragrafen 175 (Verbot von Sex zwischen Männern) oder der Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe die Mehrheit der Gesellschaft hinter den gesetzlichen Änderungen gestanden sei – beim Selbstbestimmungsgesetz sei dies indes nicht der Fall. Zudem sehe auch sie gerade eine Gefahr für junge Menschen, denn: „Das Selbstbestimmungsgesetz suggeriert, es gibt eine schnelle Lösung, das wird der Verantwortung für die Gesellschaft nicht gerecht.“

Kritik von schwul-lesbischen Vereinen

Auch mehrere Frauenverbände befürchteten indes im Vorfeld der Debatte einen Wegfall von Frauenschutzräumen, weil noch immer das Hausrecht und das Anti-Diskriminierungsgesetz im Gesetzentwurf offenbar nicht klar gegeneinander abgewogen worden sind. Schwul-lesbische Verbände wie beispielsweise Just Gay halten das SBGG für „homophob“ und sprechen von einer „Konversion durch die Hintertür“ sowie von einem Angriff auf die Meinungsfreiheit. „Der Gesetzgeber hat nicht das Recht, das biologische Geschlecht abzuschaffen und uns alle zu einer Identität zu erklären. Dieses Gesetz ändert alles für alle und gerade auch Schwule und Lesben werden die Konsequenzen tragen müssen“, so Florian Greller vom Verein gegenüber Schwulissimo.

Streitpunkt Datenweitergabe an Strafbehörden

Trans- sowie queeren Verbänden indes gehen die bisherigen Regeln nicht weit genug, ebenso zeigte sich die Linksfraktion unzufrieden. Ein großer Kritikpunkt ist dabei vor allem die Weitergabe von personenbezogenen Daten an diverse Strafverfolgungsbehörden, bevor ein Mensch künftig sein juristisches Geschlecht ändern lassen kann – die Richtlinie war vor allem vom Bundeskriminalamt und dem Innenministerium eingefordert worden, nachdem Bedenken laut geworden waren, dass anderenfalls Kriminelle sich mit einer einfachen Personenstandsänderung einer polizeilichen Verfolgung entziehen könnten.

LSVD fordert Selbstbestimmung ohne Diskriminierung

Der Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD) hatte mit einer Kundgebung am Mittwochmittag vor dem Bundestag für ein „diskriminierungsfreies“ Selbstbestimmungsgesetz geworben. Alva Träbert aus dem Bundesvorstand hatte dazu erklärt: „Wir fordern Selbstbestimmung ohne Einschränkung und eine einheitliche Regelung für alle trans*, intergeschlechtlichen und nichtbinären Menschen.  Alle demokratischen Parteien müssen jetzt dafür zu sorgen, dass nach Jahrzehnten der Diskriminierung endlich ein echtes und menschenrechtsorientiertes Gesetz zur geschlechtlichen Selbstbestimmung kommt; ein Gesetz ohne unwürdige Fremdbegutachtung, ohne staatlich verordnetes Misstrauen und ohne Stigmatisierung.“ Während der Bundesrat in seiner Begutachtung „glaubhafte Nachweise“ über die Ernsthaftigkeit eines Geschlechtswechsels, beispielsweise wie bisher durch Psychologen, einfordert, sieht das das Gesetzesvorhaben nicht mehr vor.

Der LSVD erklärt zudem weiter: „Wir kritisieren deutlich, dass der aktuelle Gesetzesentwurf, der Selbstbestimmung im Namen trägt, mehrere Menschengruppen von genau dieser geschlechtlichen Selbstbestimmung ausschließen möchte: So will der Entwurf der Bundesregierung Menschen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus keinen Zugang zu einer Personenstandsänderung ermöglichen. Minderjährige und Menschen mit Betreuungsstatus unterliegen weiterhin einer fremdbestimmten Entscheidung, da ihre gesetzlichen Vertreter*innen bzw. ein Gericht in die Personenstandsänderung einwilligen müssen.“

AfD will Transsexuellengesetz beibehalten

Zusätzlich Feuer in die Debatte brachte am Abend dann die AfD mit einem eigenen Antrag ein, der das bisherige Transsexuellengesetz erhalten will, dafür aber den Schutz von Menschen mit Geschlechtsdysphorie trotzdem verbessern möchte. Das SBGG sei gefährlich, betonte Beatrix von Storch, bevor sie im Lauf der Debatte zweimal die Trans-Abgeordnete Tessa Ganserer missgenderte und dafür ebenso zweimal einen Ordnungsruf bekam. Zur weiteren Beratung sollen beide Anträge zum SBGG jetzt an den federführenden Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend überwiesen werden.

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