Schweigen der Regierung Gay-Aktivist Peter Tatchell kritisiert mit scharfen Worten die Labour-Regierung: Wo bleiben die rechtlichen Verbesserungen für LGBTIQ+?
Vor einem Jahr wurde Keir Starmer von der Labour-Partei der neue Premierminister von Großbritannien. Nebst einem verstärkten Einsatz gegen Hassverbrechen gegenüber LGBTIQ+-Menschen wurde der Community auch ein neues Gesetz über das Verbot von Konversionstherapien versprochen. Geschehen ist bisher nach Auffassung von Aktivist und Gay-Ikone Peter Tatchell (73) nichts.
Stillstand seit 2018
Seit rund sieben Jahren wird im Königreich über ein Verbot der umgangssprachlichen „Homo-Heilungen“ debattiert, mehrere Premierminister scheiterten an dem Gesetzesvorhaben – im Zentrum des Problems stand dabei stets die Frage, ob auch trans* Personen mit eingeschlossen werden sollten in den Gesetzestext; einige Ärzte und Therapeuten befürchteten so, eine Selbstdiagnose eines Patienten dann nicht mehr hinterfragen oder medizinisch abklären lassen zu dürfen.
Fakt ist: Konversionstherapien sind Folter, wie die Vereinten Nationen dies klar definiert haben. Und: 31 Prozent der homosexuellen Briten mussten in ihrem Leben bereits eine solche Therapie über sich ergehen lassen. In absoluten Zahlen sind das so rund 650.000 Schwule und Lesben. Jeder zehnte Betroffene erlebte Exorzismus und sogenannte „korrigierende Vergewaltigungen“ im Vereinigten Königreich.
Konsultationen und Kulturkämpfe
„Trotz der Beweise, die zeigen, dass Konversionspraktiken mentalen und emotionalen Schaden verursachen, gibt es ein Jahr nach den letzten Parlamentswahlen immer noch kein Verbot; nicht einmal eine Gesetzgebung in Vorbereitung. Kein Gesetzesentwurf. Nichts., Um es klar zu sagen: Dieses Thema ist nicht neu. Die Verpflichtung, die Konversionstherapie zu verbieten, wurde wiederholt versprochen – zuerst von Theresa May im Jahr 2018, dann von Boris Johnson, und sogar kurz von Rishi Sunak. Aber jede konservative Regierung hat bisher nicht gehandelt und sich hinter ´mehr Konsultationen´ und Ablenkungsmanövern im Kulturkampf versteckt“, so Tatchell in seiner Kritik.
„Untätigkeit ist nicht neutral“
Die Labour-Partei, die bis vor einem Jahr in der Opposition war, wollte es besser machen und kritisierte jahrelang die Untätigkeit der Regierung. „Keir Starmer hatte nun zwölf Monate Zeit, um seine innenpolitische Agenda darzulegen. Doch wenn es darum geht, LGBTIQ+-Menschen vor den psychischen und physischen Schäden von Konversionspraktiken zu schützen, hat sich seine Regierung entschieden, nichts zu tun. Untätigkeit ist nicht neutral. Sie ermutigt diejenigen, die glauben, dass LGBTIQ+-Menschen, insbesondere trans* Personen, ´geheilt´ werden müssen“, betont der schwule Aktivist weiter.
Tatchell führt dabei zudem auf, dass ein Verbot von Konversionstherapien keine gar „extreme Forderung“ sei, denn in mehr als zwanzig Ländern existiert dies bereits, darunter seit Mai 2020 auch in Deutschland. Im Mai dieses Jahres nun schaffte es sogar eine Petition mit mehr als einer Million Unterschriften, dass sich auch die Europäische Union verpflichtend mit dem Thema beschäftigen muss. Für Großbritannien ist auch das allerdings keine Lösung, seitdem das Land vor fünfeinhalb Jahren aus der EU ausgetreten ist.
Lebenslange Schäden bei Betroffenen
Tatchell berichtet in seinem Statement dabei auch von einem sehr persönlichen Fall: „Ich werde nie vergessen, welchen Schaden und Schmerz die Konversionstherapie meinem schwulen Freund John zugefügt hat. Als Teenager wurde er von seiner Familie und der Kirche unter Druck gesetzt, seine Sexualität zu ändern, und musste sich verschiedenen entwürdigenden und aggressiven Beratungs- und Gebetssitzungen unterziehen. Er verglich sie mit einer Form von ´geistiger Folter´, ´emotionalem Mobbing´ und ´religiöser Gehirnwäsche´. Dies führte dazu, dass er glaubte, er sei ´krank´ und ´pervers´. Man sagte ihm, er sei ein ´Sünder´ und dazu bestimmt, ´in der Hölle zu schmoren´, wenn er nicht ´Buße tue´ und seinen ´satanischen homosexuellen Lebensstil´ aufgebe. John erlitt daraufhin einen Nervenzusammenbruch. Die Sitzungen haben seine Homosexualität nicht ´geheilt´ und ihn heterosexuell gemacht. Aber sie machten ihn sexuell funktionsgestört und unfähig, gleichgeschlechtliche emotionale Bindungen einzugehen.“
Jeden Tag leiden Menschen
Noch habe die Regierung Zeit, endlich das Richtige zu tun, betont Tatchell abschließend, denn noch immer leiden viele Menschen bis heute an diesen „bösartigen Praktiken“. Es gehe dabei um grundlegende Menschenrechte und den Schutz schutzbedürftiger Menschen. „Mit jedem Tag, an dem die Regierung zögert, leiden mehr Menschen. Worte sind nicht genug. Wir müssen handeln – und zwar jetzt. Diese Untätigkeit vermittelt die Botschaft, dass das Leben und die Würde von LGBTIQ+-Menschen nicht so wichtig und in der britischen Politik immer noch verhandelbar sind.“