Direkt zum Inhalt
Russland verbietet Stephen Kings „Es“

Russland verbietet Kings „Es“ Vorwurf der „Propaganda nichttraditioneller Beziehungen“

ms - 02.12.2025 - 11:00 Uhr
Loading audio player...

In Russland ist Stephen Kings weltbekannter Horrorroman „Es“ jetzt überraschend aus dem Handel genommen worden. Der Verlag AST bestätigte, dass ein kompletter Buchposten zurückgezogen wurde, nachdem mehrere Beschwerden eingegangen waren, in denen dem Titel „Propaganda nichttraditioneller Beziehungen“ vorgeworfen wurde – damit würde das Werk gegen das Anti-Homosexuellen-Gesetz verstoßen. Der Fall reiht sich ein in die verschärfte staatliche Kontrolle über kulturelle Inhalte, die seit Jahren zunehmend auch internationale Literatur betrifft.

Repressives Klima trifft die Buchbranche

Selbst ein jahrzehntealter Horror-Klassiker wie „Es“ bleibt in Russland nicht mehr vor Zensur geschützt. Die staatliche Nachrichtenagentur TASS berichtete, der Roman werde derzeit überprüft, weil er angeblich gegen die Gesetzgebung zur Darstellung „nichttraditioneller Beziehungen“ verstoße – eine Formulierung, die seit ihrer Erweiterung 2022 auf sämtliche LGBTIQ+-Inhalte angewandt wird, egal ob sie sich an Minderjährige oder Erwachsene richten.

Tatiana Gorskaja, Generaldirektorin des Verlags AST, bestätigte gegenüber TASS: „Ein kompletter Posten des Romans wurde zurückgezogen. Es gab eine offizielle Meldung, und der Russische Verlegerverband hat eine erste Begutachtung durchgeführt. Worum gingen die Beschwerden? Um die Nichtübereinstimmung mit der aktuellen Gesetzgebung.“ Auch Online-Händler reagierten sofort: Die Plattform Wildberries & Russ entfernte das Buch und erklärte, der Titel „könnte in Russland verboten sein oder gegen Plattformregeln verstoßen“.

Textänderungen möglich 

Gorskaja bestätigte außerdem, dass der Verlag zur Inhaltskontrolle inzwischen Künstliche Intelligenz einsetzt: „Zum Glück haben wir heute die Möglichkeit, künstliche Intelligenz zu nutzen, um veröffentlichte Bücher zu überprüfen. Wir haben erst vor wenigen Tagen begonnen, solche Technologien einzusetzen. Natürlich wird das Endergebnis immer noch von einer echten Expertin oder einem Experten beurteilt.“ Derzeit prüft AST, ob eine Warnkennzeichnung ausreicht oder eine Anpassung des Textes notwendig wäre: „Falls schwerwiegende und inakzeptable Abweichungen festgestellt werden, wenden wir uns direkt an die Rechteinhaber und bitten um die Genehmigung, den Text zu ändern.“ Eine solche Veränderung eines weltweit anerkannten Literaturklassikers wäre allerdings ein drastischer Präzedenzfall.

Der Fall lässt sich nur vor dem Hintergrund der politischen Entwicklungen in Russland vollständig einordnen. Seit das Oberste Gericht im November 2023 die sogenannte „internationale LGBT-Bewegung“ zur terroristischen Organisation erklärt hat, gehen die Behörden massiv gegen queere Personen und Organisationen vor. Menschenrechtsgruppen berichten von mehr als hundert Verfahren im ersten Halbjahr 2025. Auch internationale Unternehmen wurden getroffen: Apple und Duolingo mussten LGBTIQ+-Bezüge entfernen, die Elton John AIDS Foundation wurde als „unerwünschte Organisation“ verboten.

Was ist an „Es“ problematisch?

Der Roman selbst enthält zwar keinen expliziten queeren Handlungsstrang. Doch im aktuellen russischen Klima genügt schon ein indirekter Hinweis auf Identität oder emotionale Bindungen zwischen Jugendlichen, um Verdacht zu wecken. Themen wie Freundschaft, Intimität und Erwachsenwerden, wie sie in „Es“ eine zentrale Rolle spielen, werden von ultrakonservativen Gruppen teils als „verdächtig“ interpretiert – ohne dass konkrete Textstellen genannt werden.

Der ansonsten einzig mögliche Bezug zur Community ist die Nebenfigur Adrian Mellon, ein junger schwuler Mann, der in Derry von Homophoben brutal angegriffen wird.
Die Handlung basiert lose auf einem realen Hassverbrechen in Maine und dient im Roman als Auslöser für das Wiedererwachen von „Es“ – er ist also eine Handlungskomponente, aber Adrian Mellon ist kein zentraler Charakter und tritt nur kurz auf. Und als „Werbung für Homosexualität“ dürfte die Attacke im Buch auch schwer verstanden werden. 

Es dürfte offensichtlich sein, dass die Zensur eines globalen Bestsellers in diesem Fall vor allem eine politische Funktion erfüllen soll: Sie signalisiert der gesamten Kulturbranche, dass keine Veröffentlichung sicher ist, und bedient zugleich die staatliche Erzählung, westliche Kultur bedrohe „traditionelle Werte“. Während Stephen Kings Roman sich mit Monstern aus der Fantasie beschäftigt, demonstriert der aktuelle Fall, dass in Russland heute ganz reale politische Mechanismen darüber entscheiden, wer sichtbar sein darf und wer aus dem kulturellen Raum verdrängt wird. Kurz gesagt: Die echten Monster tragen keine Clownsmaske. 

Anzeige
ANZEIGE
ANZEIGE
ANZEIGE
ANZEIGE
ANZEIGE
ANZEIGE
ANZEIGE
ANZEIGE

Auch Interessant

Queere Jugendliche in Flandern

Suche nach sicheren Räumen

Im ländlichen Belgien ist es für viele queere Jugendliche schwer, Gleichgesinnte zu treffen. Immer mehr Betroffene gründen daher eigene Gruppen.
Queerer Rugbyclub

Besonderes Jubiläum in England

In England feiert ein LGBTIQ+-Rugbyclub zehnjähriges Bestehen und setzt damit ein besonderes Zeichen für mehr queere Sichtbarkeit im „Männersport“.
Gefährliche Jugendzeit

Kindeswohlgefährdungen nehmen zu

Kindeswohlgefährdungen haben in Deutschland erneut stark zugenommen, insbesondere davon betroffen sind LGBTIQ+-Jugendliche.
Mord in Hollywood

Harry und Sally-Regisseur und Frau

Regisseur Rob Reiner und seine Ehefrau Michele Singer wurden ermordet – beide unterstützten tatkräftig Schwule und Lesben. Tatverdächtig ist ihr Sohn.
Aktion „I Am Not Propaganda“

Weltweit Proteste gegen Hass-Gesetz

Am vergangenen Wochenende demonstrierten vor zahlreichen Botschaften aus Kasachstan Menschen gegen das geplante Anti-LGBTIQ+-Gesetz im Land.
Proteste in Budapest

Kritik an Ministerpräsident Orbán

Ein Skandal erschüttert Ungarn: Über 50.000 Menschen forderten am Wochenende den Rücktritt von Ministerpräsident Viktor Orbán.
Nouripour kritisiert FIFA

Debatte um Pride-Spiel 2026

Bundestags-Vizepräsident Nouripour kritisierte die FIFA und sagte zum Pride-Spiel 2026 zwischen Iran und Ägypten: Die „Mullahs“ müssten das aushalten.
Strafe, weil er CSD zuließ?

Anklage gegen Gergely Karácsony

Der Bürgermeister von Budapest sieht sich mit strafrechtlichen Ermittlungen konfrontiert, weil er die Pride-Parade im Juni 2025 ermöglicht hat.
Vorurteile im Kampf gegen HIV

Religiöser Hass in Uganda

Christliche Kirchen verhindern aus Homophobie in Uganda die Unterstützung von Menschen mit HIV, wie die jüngste UNAIDS-Studie belegt.