Mutmacher der Community Hoffnung wagen und ein neues Miteinander in der Community fordert der Gay-Veteran Cleve Jones
Vielen in der LGBTIQ+-Community erscheint es in diesen Tagen so, dass es mit den Rechten von Schwulen, Lesben, Bisexuellen und queeren Menschen schrittweise wieder bergab geht. In Deutschland steht die Frage im Raum, wie es der Community in den kommenden Jahren unter einer neuen Regierung ergehen wird, anderenorts in Europa gibt es bereits gezielte Angriffe: In Italien werden die Rechte von Regenbogenfamilien attackiert, in Ungarn soll LGBTIQ+ insgesamt aus dem Blick der Öffentlichkeit verschwinden. Gänzlich offen auch die Frage, wie es im Nachbarland Österreich politisch weitergehen wird – und was die Konsequenzen für die Community sein könnten.
Flucht aus der Heimat?
Bereits jetzt gibt es diverse Auswirkungen eines politischen Kurswechsels in den USA zu erleben – seit der Amtseinführung von Donald Trump Mitte Januar dieses Jahres kritisieren queere Menschen die neue Agenda, die sich strikt gegen trans* und nicht-binäre Personen richtet. Ein Ende der neuen Richtlinien scheint derzeit nicht abzusehen, sogar eine Streichung der gleichgeschlechtlichen Ehe durch den Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten von Amerika ist wieder denkbar. Erste queere Medien sind inzwischen soweit, dass sie ihren Lesern und Leserinnen Tipps geben, in welches Land man auswandern könnte – ganz weit vorne sind derzeit Island und Kanada.
Der Urvater der Gay-Bewegung
Passend dazu meldete sich jetzt einer der angesehensten Schwulen-Aktivisten der USA zu Wort: Cleve Jones (70). Seit den 1980er Jahren engagiert sich Jones für die Rechte der Community und kämpfte gegen Diskriminierung und das Stigma von HIV. Er gründete die San Francisco AIDS Fondation mit, erfand den heute weltberühmten AIDS Memorial Quilt, engagierte sich zeitlebens für rechtliche und gesellschaftliche Verbesserungen und kämpfte auch an der Seite von Harvey Milk um den Einzug in den Stadtrat von San Francisco. Sein Buch „When We Rise“ wurde als Serie verfilmt und im oscarprämierten Drama „Milk“ über den ersten offenen schwulen Politiker der USA wird er von Schauspieler Emile Hirsch verkörpert. Zudem wurde er in mehreren TV-Dokumentationen interviewt. Kurzum: Cleve Jones ist einer der Urväter der amerikanischen Gay-Bewegung.
Es steht viel auf dem Spiel
Nun äußerte sich der heute 70-jährige Langzeit-HIV-Überlebende zum erneuten Einzug von Donald Trump ins Weiße Haus und zu der Schockstarre, die Teile der Community derzeit ergriffen zu haben scheint. „Ich glaube nicht, dass dies ein Moment wie jeder andere zuvor ist. Ich glaube, es steht viel mehr auf dem Spiel und die Gefahr ist viel unmittelbarer und tiefgreifender. So viele der alten Kontrollmechanismen sind weggefallen“, so Jones im Interview mit Tim Muphy und den Caftan Chronicles. Und weiter: „Ich bin im Moment sehr frustriert. Ich bin frustriert über unsere LGBTIQ+-Führung, so wie sie ist, und darüber hinaus frustriert über die Führung der Demokratischen Partei. Es gibt kein Gefühl dafür, wer das Sagen hat und wie der neue Plan aussieht. Wir brauchen eine mutige Führung und einen Plan, den die Menschen verstehen können.“
Lähmende Hoffnungslosigkeit, Flucht ins Digitale
Eine besondere Aufgabe komme daher jetzt den älteren Schwulen und Lesben zu, sie müssten ihre Kräfte bündeln und die jüngeren Mitglieder der Community ermutigen. „Als Ältere müssen wir uns eine Strategie überlegen, wie wir die jungen Leute über den Ernst der Lage informieren, sie ansprechen, sie ermutigen und sie zur Führung ermutigen.“ Dabei warnt Jones eindringlich auch vor einer lähmenden Hoffnungslosigkeit: „Wir haben nicht den Luxus der Verzweiflung. Jeder, der sich darin suhlt, muss endlich aufhören. Es steht zu viel auf dem Spiel!“
Mit Blick auf die Jugend gibt der Veteran dabei zudem zu bedenken, dass sich gerade die junge LGBTIQ+-Community nicht zu sehr auf ihren größtenteils digitalen Protest verlassen sollte, er bezweifelt die Effizienz von Protestformen wie Online-Petitionen oder Hashtags in den sozialen Medien. Man dürfe sich nicht zu sehr auf die sozialen Medien verlassen, so Jones mahnend weiter. Persönliche Briefe oder stetige Telefonanrufe an die örtlichen Gesetzgeber wären deutlich effektiver. Dazu wäre der Aufbau von echten, nicht rein digitalen Netzwerkgruppen wichtig – und, wenn möglich, die juristischen Organisationen im Kampf für LGBTIQ+-Gleichberechtigung auch finanziell zu unterstützen.
Ein neues Miteinander
Damit das alles gelingt, sei es zudem wichtig, dass die Generationen innerhalb der Community neue Brücken bauen: „Die Älteren unter uns neigen dazu, sich zu isolieren. Wir haben nicht so viel Kommunikation mit jüngeren Menschen. Wir müssen uns also jetzt ganz bewusst darum bemühen, auf sie zuzugehen, wenn möglich. Erzwingen wir es nicht, aber lassen wir sie wissen, dass wir ihnen zuhören und dass wir uns um ihre Sicherheit, ihre Gesundheit und ihr Wohlergehen sorgen.“
Schadenfreude indes verbittet er sich, auch gegenüber jenen, die Trump gewählt haben und vielleicht zu spät verstünden, dass dieser Politik gegen ihre Interessen mache. „Wir dürfen nicht schadenfroh sein und sie mit Rhetorik bombardieren. Wir müssen eine gemeinsame Basis mit ihnen finden.“ Generell bedürfe es eines neuen Miteinanders in unserer Community, so Jones weiter: „Anstatt die Abendnachrichten allein zu sehen und zu verzweifeln, greifen Sie zum Telefon und laden Sie ein paar Leute zum Essen ein. Das verringert die Wahrscheinlichkeit, dass Sie einen Schlaganfall erleiden, und erhöht auch unsere Reaktionsfähigkeit.“
Zeit und Ausdauer
Am Ende sei es außerdem von zentraler Bedeutung, positiv im Geist und gesund zu bleiben: „Ich tue mein Bestes, um Zeit mit den Menschen zu verbringen, die ich am meisten liebe. Und ich bin fest entschlossen, nützlich zu bleiben. Ich glaube, das beste Mittel gegen Panik oder Verzweiflung ist zu sagen: 'Ich werde etwas dagegen tun. Und wer sich fragt, was er tun kann, dem sage ich: Fast alles, was man sich vorstellen kann, hat einen gewissen Wert. Es ist wichtig, einen Weg zu finden, sich zu beteiligen, der einem gleichzeitig auch Freude bereitet, denn wissen Sie was? Diese Situation wird sich nicht in ein paar Tagen, Wochen, Monaten oder Jahren lösen lassen. Eines der Dinge, die ich in den letzten fünfzig Jahren gelernt habe, ist, dass alles, wofür es sich wirklich zu kämpfen lohnt, viel Zeit braucht. Und wenn man dann gewonnen hat, muss man diesen Sieg erneut verteidigen. Nichts ist von Dauer oder garantiert."