Wohnprojekt in Frankreich Mit der ersten queeren Wohngemeinschaft im Land will Frankreich ein Zeichen setzen
Im Herzen des Lyoner Stadtteils Croix-Rousse entsteht aktuell ein Ort, der eine sanfte Revolution entfachen sollen: Frankreichs erste queere Wohngemeinschaft für LGBTIQ+-Menschen ab 55 Jahren sowie für Personen mit HIV.
Keine Angst, keine Verurteilungen
Der Verein Les Audacieuses & Les Audacieux arbeitet seit 2022 an dem Projekt und will damit einen sicheren und einladenden Ort schaffen, an dem „queere Menschen über 55 ihre Identität ohne Angst, Verurteilung oder auferlegtes Schweigen ausleben können“. Bereits in einigen anderen europäischen Ländern gibt es ähnliche Initiativen, auch in Deutschland beispielsweise mit dem „Lebensort Vielfalt“, ein Wohnprojekt für ältere LGBTIQ+-Menschen von der Schwulenberatung Berlin.
Hier wie da wird dabei auf die steigende Nachfrage nach einer besonderen Bleibe für homosexuelle und queere Menschen im Alter reagiert. „Es ist nicht nur ein Zuhause, sondern ein Ort der Fürsorge, des Respekts und der Freiheit, an dem Altwerden nicht mehr bedeutet, sich allein, unsichtbar oder deplatziert zu fühlen“, so ein Sprecher des französischen Vereins über das sogenannte Maison de la Diversité.
Inklusion bis ins kleinste Detail
Zudem betont die Organisation weiter: „Für viele LGBTIQ+-Menschen ist das Älterwerden immer noch ein feindliches Terrain. Traditionelle Strukturen, heteronormative Modelle, die Angst, sich nach einem kämpferischen Leben oder nach einem Leben im Schatten ausgegrenzt zu fühlen. La Maison de la Diversité wurde gegründet, um all dies zu ändern.“ Ab September nächsten Jahres werden 16 Personen über 55 Jahre in das Haus einziehen, das keine einfache Residenz sein will, sondern ein „echtes partizipatives Projekt“.
Bei jedem Detail wurde demnach an Inklusion gedacht: von den einzelnen Zimmern bis zu den Gemeinschaftsräumen, vom Garten bis zur Gemeinschaftsküche. Die Räume sind sorgfältig gestaltet und spiegeln eine integrative und nachhaltige Philosophie wider. Es gibt außerdem Räume für Freizeit und Kreativität: In einem Bereich gibt es Filme, Musik, Spiele, Bücher, ein Klavier und sogar Kurse für Queer Tango und Qi Gong. Im hinteren Teil der Anlage lädt ein großer Garten zum Lesen im Schatten ein. Die zwei überdachten Terrassen sind das Herzstück: Essen im Freien, Gespräche bei Sonnenuntergang und spontane Partys seien hier dann jederzeit möglich.
In Würde und Gesellschaft alt werden
Das Leben im Diversitätshaus soll kollektiv aber niemals aufdringlich sein. Entscheidungen werden gemeinsam getroffen, Momente des Austauschs entstehen Tag für Tag. „Alles trägt dazu bei, ein Lebensumfeld zu schaffen, in dem das Alter nicht mehr gleichbedeutend mit Isolation ist, sondern mit neuen Allianzen, bewussten Entscheidungen und menschlicher Wärme.“ Jeder Bewohner hat seine eigene Wohnung, teilt aber die Gemeinschaftsräume, um ein beziehungsreiches Alltagsleben zu ermöglichen. Die Mieten liegen unter dem Marktpreis und sind an die wirtschaftliche Situation jedes Einzelnen angepasst, so der Verein weiter. Das Projekt bezieht dabei auch diejenigen mit ein, die in der Nachbarschaft wohnen oder sich von außen beteiligen wollen. So können zum Beispiel bei Gartenpartys auch Jung und Alt zusammenkommen.
„Da wir in Europa oft dazu neigen, ältere Menschen zu vernachlässigen, insbesondere ältere LGBTIQ+-Personen, stellt dieses Projekt eine echte Veränderung dar: ein Beweis dafür, dass es möglich ist, in Würde und in Gesellschaft alt zu werden. Ein greifbarer Beweis dafür, dass Solidarität sich in solide Unterstützung verwandeln kann und dass queere Geschichte und Identität endlich eine heitere und geschützte Zukunft finden können“, so der Sprecher des Vereins weiter.