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Mutig und kreativ
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Mutig und kreativ ILGA Europe bestärkt den Kampf für Gleichberechtigung in der Türkei und spricht von „alarmierenden Entwicklungen“

ms - 31.07.2024 - 10:00 Uhr

Die internationale LGBTI*-Organisation ILGA Europe lobte jetzt mit eindringlichen Worten die Kampfbereitschaft der Gay-Community in der Türkei, die auch in diesem Jahr bei Pride-Demonstrationen trotz zunehmenden polizeilichen Repressionen und Pride-Verboten in mehreren Städten lautstark ein Zeichen für Gleichberechtigung und Akzeptanz gesetzt hat. 

Kreative Ideen für Prides 

Das Verhalten der Schwulen und Lesben vor Ort sei „mutig und sehr kreativ“, so die ILGA: „Die Regierung versucht weiterhin das Grundrecht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit für LGBTI*-Personen zu missachten. Homosexuelle Aktivisten im ganzen Land haben ihre Taktik verschärft, um polizeiliche Repressionen, Verbote und Verhaftungen so weit wie möglich zu vermeiden.“ 

Gleich in mehreren Städten gelang es in diesem Jahr, im wortwörtlichen Sinne Flagge zu zeigen für die LGBTI*-Community: Auf dem Studentencampus der Middle Eastern Technical University (METU) in Ankara fand der Pride im Mai dieses Jahres dank der kurzfristigen zeitlichen Verlegung ohne Eingriffe der Polizei statt; ähnlich friedlich verlief der Ankara Pride selbst, auch hier hatten die Veranstalter kurzfristig Änderungen vorgenommen und in diesem Fall eine andere Route gewählt, um den bereitstehenden Polizisten mit Schlagstöcken und Wasserwerfern zu entgehen. Das Team des Izmir Pride im Juni verlegte die Demonstration in Bornova selbst um einen ganzen Tag nach vorne und entging so jedweder polizeilicher Repression. 

Die Straße gehört den Prides

Allerdings nicht immer gingen die Demonstrationen so friedlich vonstatten: Beim Eskişehir Pride wurden so zehn LGBTI*-Aktivisten festgenommen und teilweise laut Angaben der ILGA auch gefoltert. Inzwischen sind alle Personen wieder auf freiem Fuß. 

Schwierig gestaltete sich auch mehrfach die Lage in Istanbul – nach einem Aufgebot einer Hundertschaft von Polizeibeamten, die U-Bahnen und ganze Bezirke absperrten, wurde der Marsch beim Trans-Pride abgesagt, allerdings wurden weite Teile der Stadt als Protestaktion mit Transfahnen geschmückt. 

Der Pride in Istanbul selbst fand einmal mehr unter einem Großaufgebot der Polizei statt, mehrere hundert Demonstranten zogen lautstark durch die Innenstadt und skandierten: „Eure Tausenden Polizisten, Hubschrauber und Verbote werden uns nicht aufhalten. Jede Straße in dieser Stadt gehört uns.“ Auch hier war nach dem alljährlichen Pride-Verbot seitens des Gouverneurs Kreativität gefragt – die LGBTI*-Menschen zogen kurzerhand durch den asiatischen Teil der Millionenmetropole, sodass die Polizei die Demonstration nicht verhindern konnte. Hunderte Menschen schwenkten Regenbogenflaggen und liefen pfeifend und Parolen rufend durch die Straßen. „Wir werden nie müde, die Polizei zu täuschen und sie zu zwingen, sich mit uns auseinanderzusetzen.“ Schlussendlich wurden 15 Pride-Teilnehmer kurzfristig festgenommen, zu massiven gewalttätigen Ausschreitungen von Seiten der Polizei kam es in diesem Jahr glücklicherweise nicht. 

Mehr Hass auf LGBTI*

Die ILGA Europe hält weiter fest: „Es ist klar, dass nach den Kommunalwahlen im März 2024 die Institutionalisierung von Anti-LGBTI*-Aktionen auf dem Vormarsch ist. Die internationale Gemeinschaft darf sich nicht davon täuschen lassen, dass die Zahl der Verhaftungen und der Gewalttaten während der diesjährigen Pride-Saison zurückgegangen ist – ein Großteil davon wurde nur durch die Kreativität und Widerstandsfähigkeit der Pride-Organisatoren vermieden. In der Zwischenzeit wird der Hass gegen LGBTI*-Personen von Regierungen und Institutionen weiterhin koordiniert und verfestigt sich immer mehr in der Politik.“

Homosexuelle, eine „Gefahr“ für Familien

Die Türkei missachte dabei weiterhin das Recht auf Versammlungsfreiheit und freie Meinungsäußerung und verstärke die Angriffe besonders gegen Homosexuelle. So stellte erst im Juni dieses Jahres der Minister für Familie und soziale Dienste, Mahinur Göktaş den neuen Aktionsplan 2024-2028 zum Schutz und zur Stärkung der Familie vor. 

Dieser Aktionsplan enthält Maßnahmen zur Bekämpfung der „abweichenden schädlichen Ideologie“ von LGBTI*-Menschen. Weltweit werde dabei die Familie vor allem von Homosexuellen angegriffen, beteuerte der Minister weiter. Und Präsident Recep Tayyip Erdogan betonte, dass die internationale Förderung von LGBTI* „zu einem Instrument der Tyrannei, der Unterdrückung und der Korruption der Gesellschaft geworden ist, das sogar den Faschismus übertrifft.“ 

Immer wieder und immer rabiater werden vor allem Homosexuelle dabei als Bedrohung für die Familien inszeniert, so die ILGA weiter, die insgesamt von „alarmierenden Entwicklungen“ spricht. Um so wichtiger sei auch eine lautstarke Community vor Ort, die sich nicht zum Schweigen bringen lassen will.  

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