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LGBTI*-Lage in Europa
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LGBTI*-Lage in Europa ILGA Europe und Lehmann warnen vor Eskalation von Hass und Gewalt

ms - 15.05.2024 - 09:30 Uhr

Zum sechszehnten Mal hat die LGBTI*-Organisation ILGA-Europe heute die Rainbow Map veröffentlicht – ein Ranking von 49 europäischen Länder und deren Entwicklungen im Bereich LGBTI*-Menschenrechte. Die Kernaussage dabei: „Während Europa auf mehrere Wahlen zusteuert, einschließlich der EU-Wahlen im nächsten Monat, sind die Rechte von LGBTI* inmitten des Aufstiegs rechtsextremer Kräfte zu einem Marker für den Schutz von Freiheit und Demokratie geworden.“ 

Nach wie vor würden autoritäre Führer in ganz Europa weiterhin LGBTI*-Menschen zu Sündenböcken machen – aktuelle Beispiele seien dabei die Einschränkungen von gleichgeschlechtlichen Paaren in Italien, der Slowakei oder auch Kroatien oder auch Russlands Einstufung der „internationalen LGBTI*-Bewegung“ als „extremistische Organisation“.

Deutschland unter Top-10

Es gibt aber auch gute Nachrichten: Deutschland, Island, Estland, Liechtenstein und Griechenland machten die größten Sprünge im Rainbow Map Ranking. Sowohl Estland als auch Griechenland änderten ihre Gesetze, um gleichgeschlechtlichen Paaren die Eheschließung und die Adoption von Kindern zu ermöglichen. Griechenland schloss auch die Lücken in seinen Antidiskriminierungsgesetzen, um LGBTI*-Personen umfassend zu schützen, und Liechtenstein weitete das Adoptionsrecht auf gleichgeschlechtliche Paare aus. 

Deutschland schafft es im Ranking erstmals auf den zehnten Platz beziehungsweise auf Platz 8 der EU-Mitgliedsstaaten. Der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann, erklärt dazu: „Ich freue mich sehr, dass nach Jahren des Stillstandes Deutschland bei der Gleichstellung von LSBTIQ* endlich zu den Top 10 in Europa gehört. Kein anderes Land in Europa ist seit dem letzten Jahr so deutlich aufgestiegen. Unser Ziel ist die Top 5. Das können wir schaffen, wenn wir die noch offenen im Koalitionsvertrag vereinbarten Vorhaben umsetzen.“ Dazu zählen etwas eine Reform für Regenbogenfamilien oder auch eine Ergänzung des Grundgesetzes in Artikel 3 zum Schutz der „sexuellen Identität“. Konkrete Umsetzungspläne nannte Lehmann nicht. 

Lehmann fordert mehr Schutz von LGBTI*

Allerdings blickt der Queer-Beauftragte besorgt auf die Entwicklung in Europa, die aufzeige, dass die Gleichstellung von LGBTI* keineswegs garantiert sei: „In den letzten Jahren erstarken europaweit rechtsextreme und antifeministische Bewegungen, die gut vernetzt auch in Deutschland gegen LSBTIQ* mobilisieren. So beobachtet der Verfassungsschutz, dass Rechtsextreme immer offener und aggressiver gegen LSBTIQ* agitieren. Sie wollen erkämpfte Fortschritte bei den Rechten, Sichtbarkeit und Freiheiten für LSBTIQ* zurücknehmen. LSBTIQ* bleiben eine verwundbare Gruppe. Laut offiziellen Zahlen gibt es jeden Tag mindestens drei Angriffe auf LSBTIQ* in Deutschland. Die Dunkelziffer ist deutlich höher. Die Antwort auf die zunehmenden Übergriffe muss sein: mehr Schutz, bessere Gesetze gegen Diskriminierung, mehr Solidarität auf allen politischen Ebenen mit LSBTIQ*.“

Die verbesserte Stellung Deutschlands sei laut Lehmann dabei auf die umgesetzten Maßnahmen aus dem Aktionsplan „Queer leben“ zurückzuführen, auch wenn konkrete Projekte hier frühestens 2025 starten werden

Fakt ist allerdings auch, dass Deutschland laut der ILGA Europe die größten Entwicklungen im Bereich Hassverbrechen vorzuweisen hat, hier werden Straftaten aufgrund der sexuellen Ausrichtung, der Geschlechtsidentität und der Geschlechtsmerkmale als erschwerender Faktor in der Urteilsbegründung angerechnet. 

LGBTI*-Menschen sind Ziel von Gewalt

Katrin Hugendubel, Advocacy-Direktorin von ILGA-Europe, erklärt dazu: „Überall in Europa werden LGBTI*-Personen Ziel von Hassreden und Gewalt und ihre Menschenrechte werden aktiv untergraben, doch wir sehen immer noch zu viele Länder in der Region, die den Rechtsschutz nicht vorantreiben und ihre Verpflichtungen durch nationale Strategien und Aktionspläne nicht erneuern. Diese Untätigkeit ist gefährlich, denn ohne eine angemessene Gesetzgebung zum Schutz von Minderheiten, einschließlich LGBTI*-Personen, ist es für neu gewählte Regierungen viel zu einfach, Menschenrechte und Demokratie schnell zu untergraben.“ 

Viele Länder bleiben hinter Erwartungen zurück

Die Regenbogenkarte zeigt allerdings auch auf, dass einige Regierungen in dieser Hinsicht einen Schritt weitergehen. In einem Jahr mit mehr als 30 Wahlen in der gesamten Region zeigt die Karte einen starken politischen Willen, den Schutz der LGBTI*-Menschenrechte in mehreren Ländern voranzutreiben. Die meisten EU-Beitrittskandidaten (Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Moldawien, Montenegro, Nordmazedonien, Serbien, Ukraine) bleiben allerdings hinter ihren Verpflichtungen zurück, verzögern die Einführung von Gesetzen und setzen damit ihre Bürger immer mehr der Gefahr echter Rückschläge und der Aushöhlung der Grundrechte aus, so die ILGA Europe. Die Türkei und Georgien, ebenfalls Beitrittskandidaten, seien ganz direkt dabei, die Menschenrechte und Grundfreiheiten aktiv zu untergraben, unter anderem durch die Verabschiedung neuer Gesetze, die sich insbesondere gegen LGBTI*-Personen richten. 

„Die EU muss nicht nur auf die Zunahme politischer Hassreden gegen LGBTI*-Personen achten, sondern auch auf neue Instrumente der Unterdrückung, wie Russlands Kriminalisierung eines ganzen Teils der Bevölkerung des Landes. Die Bemühungen um Spaltung und Ablenkung durch gefestigte autoritäre Regime sickern weiter in andere europäische Länder, und das zu einer Zeit, in der Wahlen Europa in die Hände von Führern treiben könnten, die eine rechtsradikale, antidemokratische Europäische Union gestalten wollen. Europa braucht strengere Gesetze und Maßnahmen zum Schutz von LGBTI*-Personen. Ohne diese können wir weder von Sicherheit noch von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie sprechen“, so ILGA-Geschäftsführer Chaber. 

Das Ranking im Detail

Die ILGA-Europe erstellt die Regenbogenkarte und den Index seit 2009 und nutzt sie, um die rechtliche und politische Situation von LGBTI*-Menschen in Europa zu veranschaulichen. Dabei werden die europäischen Länder nach ihrer jeweiligen rechtlichen und politischen Praxis für LGBTI*-Personen von 0-100 Prozent aufgelistet. Zu diesem Zweck werden die 49 Länder anhand von 75 Kriterien untersucht, unter anderem geht es dabei um Gleichstellung und Nichtdiskriminierung, Familie, Hassverbrechen und Hassreden, rechtliche Anerkennung des Geschlechts, körperliche Unversehrtheit, Raum für die Zivilgesellschaft und Asyl.

Die wesentlichen Eckdaten: Im neunten Jahr in Folge belegt Malta mit 88 Prozent weiterhin den ersten Platz, gefolgt von Island (83%), Belgien (78%), Dänemark und Spanien (beide 76%), Finnland (71%), Luxemburg und Norwegen (70%), Portugal (67%) sowie Deutschland (66%), Griechenland und Schweden (beide 64%) und Frankreich (62%). Die wenigsten Prozentpunkte bekamen Aserbaidschan und Russland (2%), die Türkei (5%), Belarus (11%), Monaco (14%), San Marino (15%), Polen (18%), Rumänien und die Ukraine (19%), Bulgarien (23%) sowie Lettland (24%)

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