Direkt zum Inhalt
Haftbefehle gegen die Taliban

Haftbefehle gegen die Taliban Der Internationale Strafgerichtshof geht erstmals gegen den Menschenhass in Afghanistan vor

ms - 04.02.2025 - 14:00 Uhr
Loading audio player...

Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) hat jetzt erstmals Haftbefehle gegen hochrangige Vertreter der Taliban wegen „brutaler Unterdrückung von LGBTIQ+-Personen“ beantragt. Laut Chefankläger Karim A. A. Khan handele es sich dabei um eine „systematische“ und menschenverachtende Vorgehensweise gegen Schwule, Lesben, Bisexuelle und queere Personen. In einem ersten Schritt wurden jetzt Haftbefehle gegen zwei Führungspersönlichkeiten der Terror-Organisation ausgesprochen.

Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Das Büro von Khan erklärte, dass die Ermittler nach einer Untersuchung der Verbrechen gegen die afghanische Zivilbevölkerung nun zu dem Schluss gekommen sind, dass es „vernünftige Gründe für die Annahme gibt, dass der Oberste Führer der Taliban, Haibatullah Akhunzada, und der Oberste Richter des ´Islamischen Emirats Afghanistan´, Abdul Hakim Haqqani, für das Verbrechen gegen die Menschlichkeit der Verfolgung aus geschlechtsspezifischen Gründen gemäß Artikel 7(1) des Römischen Statuts, dem internationalen Vertrag von 1998, mit dem der IStGH gegründet wurde, strafrechtlich verantwortlich sind.“ 

Bahnbrechender Bericht 

Für afghanische LGBTIQ+-Aktivisten findet damit ein langes beschämendes Schweigen ein Ende, seit vielen Monaten hatten sie die Vereinten Nationen und die Staatengemeinschaft der Welt beschuldigt, angesichts eines „weit verbreiteten und systematischen Verbrechens gegen die Menschlichkeit“ nichts zu unternehmen.

Exekutivdirektorin der Afghanistan LGBTIQ Organization, Artemis Akbary, betonte jetzt gegenüber dem Washington Blade: „Khans Antrag ist das erste Mal in der Geschichte, dass der IStGH die gegen LGBTIQ+-Menschen begangenen Verbrechen offiziell anerkannt hat. Dieser Antrag auf Erlass eines Haftbefehls sendet die klare Botschaft, dass die internationale Gemeinschaft die geschlechtsspezifische Verfolgung von LGBTIQ+-Menschen ablehnt. LGBTIQ+-Menschen in Afghanistan brauchen unsere Unterstützung und Solidarität mehr denn je, und wir müssen sicherstellen, dass sie Zugang zu Gerechtigkeit und Rechenschaftspflicht haben.“

„Skrupellose Verfolgung“ der Taliban

Khan selbst hatte in seiner Erklärung weiter betont: „Mit diesen Anträgen wird anerkannt, dass afghanische Frauen und Mädchen sowie die LGBTIQ+-Community einer noch nie dagewesenen, skrupellosen und andauernden Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt sind.“ 

Die zwei jetzt angeklagten Taliban-Führer, Akhunzada und Haqqani, sind laut dem Chefermittler seit August 2021 für „schwerwiegende Verletzungen der Grundrechte der Opfer“ nach internationalem Recht verantwortlich, einschließlich „des Rechts auf körperliche Unversehrtheit und Autonomie, auf Freizügigkeit und freie Meinungsäußerung, auf Bildung, auf Privat- und Familienleben und auf Versammlungsfreiheit“. 

Er fügte hinzu, dass diese Verbrechen in Verbindung mit anderen Verbrechen gemäß dem Römischen Statut begangen wurden, „einschließlich Mord, Inhaftierung, Folter, Vergewaltigung und andere Formen sexueller Gewalt, Verschwindenlassen und andere unmenschliche Handlungen.“

Kritik von queeren Vereinen

Mehrere queere Verbände hatten auch in Deutschland immer wieder auf die grausame Jagd insbesondere auf schwule Männer in Afghanistan aufmerksam gemacht und die lange Untätigkeit des Auswärtigen Amtes sowie von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) scharf kritisiert. Die Community vor Ort würde dabei vollends im Stich gelassen, seitdem die Taliban nach dem Abzug des US-Militärs wieder die politische Macht im Land an sich gerissen hatten inklusive der verstärkten Auslegung der Scharia. 

Folter, Steinigungen, Morde 

Inzwischen gibt es hunderte dokumentierte Fälle, in denen queere Menschen und insbesondere schwule Afghanen im Land systematisch verfolgt, gefoltert, inhaftiert, öffentlich ausgepeitscht oder gesteinigt sowie grausam ermordet worden sind – zuletzt berichteten Verbände wie Human Rights Watch, Rainbow Afghanistan oder auch Outright International davon. 

Khan betonte in seinem jüngsten Bericht außerdem, dass die Scharia „nicht als Rechtfertigung für den Entzug grundlegender Menschenrechte verwendet werden sollte“. Homosexuelle Männer würden laut Rainbow Afghanistan zudem in heterosexuelle Ehen gezwungen werden, während „eine große Anzahl von Mitgliedern der Community durch Selbstmord ums Leben kommt.“ Die Exekutivdirektorin von ILGA World, Julia Ehret, nannte die jetzt erfolgte Anerkennung von LGBTIQ+-Menschen als Opfer geschlechtsspezifischer Verfolgung durch den IStGH „bahnbrechend“.

ANZEIGE
ANZEIGE
ANZEIGE
ANZEIGE

Auch Interessant

Schlagabtausch im Bundestag

Diskussion um Merz´ Queerpolitik

Der queerpolitische Sprecher der Linken, Maik Brückner, lieferte sich heute mit Bundeskanzler Merz einen Schlagabtausch zu queeren Themen im Bundestag
LGBTIQ+-Rechtslage weltweit

Publikation von Juristenteam

In rund einem Drittel aller Länder weltweit wird Homosexualität bis heute kriminalisiert. Ein neues Fachbuch will nun die konkrete Lage aufzeigen.
Hoffnung in der Ukraine

Schwules Ehepaar anerkannt

Großer Sieg vor Gericht: Erstmals wurde die Ehe zweier schwuler Männer in der Ukraine anerkannt. Ein wichtiger Schritt im Kampf für eine Ehe für alle.
Segnung von Homosexuellen

Neuer Papst bleibt bei Angebot

Der Vatikan hat jetzt klargestellt: Der neue Papst Leo XIV. wird das Angebot für Segnungen von homosexuellen Paaren nicht zurücknehmen.
Treffen mit Merz

LSU und der Bundeskanzler

Die Schwulen und Lesben in der Union haben sich mit Bundeskanzler Merz getroffen. Schwerpunkte waren Hasskriminalität und Regenbogenfamilien.
Aufruf zum Massenmord

Baptisten fordern Tod von Schwulen

Mehrere Baptisten-Prediger haben in den USA jetzt zum Mord an Schwulen aufgerufen. Eine "Kugel in den Hinterkopf" könne hier Probleme lösen.
Schweigen der Regierung

Konversionstherapien in England

Seit 2018 streiten die Briten über ein Konversionstherapie-Verbot, die neue Labour-Regierung wollte dies umsetzen. Ein Jahr später ist nichts passiert