Antisemitismus im Queerverein? Warum suspendierte die ILGA World eine israelische Mitgliedsorganisation?
Die Kritik an der internationalen LGBTI*-Organisation ILGA World wird größer – diese hatte Ende Oktober die israelische Mitgliedsorganisation Aguda überraschend und kurzfristig suspendiert und erklärt, man wolle den Dachverband der israelischen LGBTI*-Community ganz ausschließen. Die Begründung: Die Organisation stünde „im Widerspruch zu der eindeutigen Solidarität mit dem palästinensischen Volk“.
„Blanker Antisemitismus“
Das Verhalten der ILGA hatte international für Aufsehen gesorgt, in einem ersten Statement hatte die queere US-Organisation A Wider Bridge erklärt, die Entscheidung der ILGA sei „empörend und inakzeptabel“. Und weiter: „Indem die ILGA Israel und israelische LGBTI*-Personen auswählt, um sie zu verunglimpfen, verstößt sie gegen ihre grundlegenden Prinzipien.“
Jetzt meldeten sich nach WELT-Anfrage auch die ersten deutschen Vereine zu Wort und ziehen Konsequenzen: Der Berliner Verein Mann-O-Meter tritt aufgrund des Israel-Boykotts aus dem globalen Dachverband aus. In einer gemeinsamen Stellungnahme von Geschäftsführer Andreas Sucka und Maneo-Leiter Bastian Finke heißt es: „Mit unserer Haltung bringen wir zum Ausdruck, dass wir in unserem Einsatz für Demokratie und gegen jede Form von Menschenfeindlichkeit nicht unglaubwürdig werden dürfen. Wir distanzieren uns ausdrücklich von den von der ILGA verwendeten antisemitischen Narrativen.“
Carsten Bock, Sprecher des Bundesarbeitskreises Queer in der Gewerkschaft Verdi, sagte gegenüber der WELT: „Aus erster Hand weiß ich, wie sehr sich die Aguda immer auch für palästinensische und arabische LGBTIQ-Menschen eingesetzt hat, die vor Gewalt und Verfolgung aus ihren Regionen nach Israel flüchten mussten. Der Ausschluss von Aguda aus der ILGA ist daher nur und ausschließlich mit diskriminierendem blanken Antisemitismus zu erklären.“
Forderung nach Aufarbeitung
Die Initiative Queer Nations (IQN) zeigte sich gegenüber der WELT ebenso empört und erklärte: „Wir werden die weiteren Entwicklungen sorgfältig beobachten und eine Sinnhaftigkeit unserer Mitgliedschaft in diesem Verband neu bewerten, wenn dieser Umgang nicht aufgearbeitet und nichts gegen Antisemitismus unternommen wird“, so die Vorstandsmitglieder Till Randolf Amelung und Jan Feddersen.
Bundesvorstandsmitglied Patrick Dörr vom Verband Queere Vielfalt (LSVD+) betonte: „Unsere Hoffnung ist, dass wir gemeinsam Wege finden, uns Spaltungen der weltweiten queeren Bewegung entgegenzustellen. Sie nützen nur den Feinden unserer Freiheit.“ Ebenso eher zurückhaltend äußerte sich die Bundesarbeitsgemeinschaft Queer der Linkspartei: „Die Suspendierung ist unter anderem innerhalb israelischer und jüdisch-queerer Communitys deutlich kritisiert worden. Diese Kritik muss ernstgenommen und verlorengegangenes Vertrauen wiederhergestellt werden.“