75 Jahre Grundgesetz Wann schafft es die „sexuelle Identität“ ins Grundgesetz?
Heute vor 75 Jahren kamen in Bayern im Alten Schloss auf Herrenchiemsee erstmals Politiker und Experten zusammen, um die Grundlagen für das bis heute geltende Grundgesetz zu erarbeiten – mit einem Festakt wird heute an diesen historischen Moment und dem fast zweiwöchigen Verfassungskonvent im Jahr 1948 gedacht. Die LGBTI*-Community indes verweist einmal mehr auf das Ziel, das Grundgesetz im Artikel 3 endlich zu ergänzen.
Fast 30 Jahre Einsatz für Grundgesetzänderung
Im dritten Abschnitt des dritten Artikels werden dabei insbesondere alle Gruppen in der Bevölkerung aufgezählt, die während der NS-Zeit besonderer Verfolgung ausgesetzt waren und heute explizit unter dem Schutz des Grundgesetzes liegen – mit einer Ausnahme: Homosexuelle Menschen. Seit 1994 wurde immer wieder versucht, zunächst die „sexuelle Orientierung“ und später die „sexuelle Identität“ als weiteren schützenswerten Aspekt im Grundgesetz aufzunehmen – immer wieder scheiterte das Vorhaben an der nötigen Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat.
Diese Änderung ist bis heute auch eines der zentralen Anliegen der aktuellen Ampel-Koalition. Gegenüber der Tagesschau erklärte der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann, die Intension für das Vorhaben: „Ein ausdrücklicher verfassungsrechtlicher Schutz ist wichtig, auch damit bestimmte Errungenschaften, wie die Ehe für alle, nicht wieder zurückgedreht werden können.“
Streit um konkrete Formulierung
Streit und Debatten kommen immer wieder indes bei der Begrifflichkeit selbst auf, dabei wird abermals hinterfragt, ob ein Passus wie die „sexuelle Orientierung“ nicht besser sei als die „sexuelle Identität“. Einige Verfassungsrechtler befürchten, dass gerade der nicht genau zu definierende Begriff „Identität“ künftig für juristische Schwierigkeiten führen könnte, andere Rechtsexperten hingegen halten die Bedenken für unbegründet. In den Niederlanden wurde zuletzt in diesem Jahr bereits die „sexuelle Orientierung“ mit ins Grundgesetz aufgenommen.
Diese Begrifflichkeit bevorzugen offenbar auch mehrere Unions-Politiker, die bei dem Vorhaben eingebunden werden müssen, will die Grundgesetzergänzung schlussendlich gelingen – sowohl im Bundesrat wie auch im Bundestag sind Stimmen von CDU/CSU nötig, um zusammen mit SPD, Grüne, FDP und Linke die Zweidrittelmehrheit zu erlangen. Ob das überhaupt gelingen kann, sehen viele bis heute skeptisch.
Lehmann hofft auf Stimmen der Union
Lehmann zeigte sich gegenüber SCHWULISSIMO indes optimistisch und erklärte: „Es geht hier nicht um Regierung gegen Opposition, sondern um eine Menschenrechtsfrage. Ich kenne persönlich sehr viele CDU- und CSU-Politiker*innen, die für die Erweiterung des Grundgesetzes sind. Ganz viele sind hier sehr offen und bekunden auch in Gesprächen, dass sie damit kein Problem haben. Es kommt natürlich dann noch einmal auf die Ausgestaltung an. Am Ende wird es sich daran entscheiden, ob wir im Bundestag und im Bundesrat es aus der Mitte des Parlaments gemeinschaftlich auf den Weg bringen können.“
Wie wichtig gerade die Bedeutung der Menschenwürde ist, wurde bereits 1948 bei den Gesprächen zum neuen Grundgesetz immer wieder deutlich – umso lauter ertönt in der LGBTI*-Community daher seit Jahren die Forderung, beim Blick auf die Menschenwürde auch Homosexuelle und queere Menschen endlich mit einzubeziehen. Mit einem großen Festakt im prunkvollen Spiegelsaal des Neuen Schlosses auf Herrenchiemsee wird heute dem Verfassungskonvent gedacht, mit dabei ist neben dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.