Porno oder Kunst? Wie die berühmte Skulptur in den USA zu einem Skandal führte
Kommentar
Porno oder nicht Porno, das ist hier die Frage! Gut, ehrlich gesagt müsste man mit einem einzigen Blick auf Michelangelos berühmten David bereits feststellen, dass wir es mit einem der größten Kunstwerke der Menschheitsgeschichte zu tun haben. So sehr uns der ewige steinerne Jüngling, der kurz davor ist, gegen Goliath in die Schlacht zu ziehen, auch heimlich bisweilen erotisieren mag, als Pornografie würde man ihn dennoch nicht einstufen. Oder doch?
Staatskrise zwischen Florida und Italien
So geschehen im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, in den USA. Was als Posse begann, entwickelte sich in den letzten Tagen zu einer kleinen Staatskrise, wenigstens in Florida und dann später auch in Italien, der Heimat von David und den alten Meistern. Immer mehr Kunstexperten aus dem Mittelmeerland verwehren sich inzwischen vehement dagegen, dass in den USA die Steinskulptur als Hardcore definiert wird – noch dazu, wo, abgesehen vom Stein selbst, nichts Hartes zu sehen ist.
Was war also geschehen?
Eine Lehrerin an der Tallahassee Classical School in Florida zeigte ihren zwölfjährigen Schülern ein Bild von Michelangelos David. Daraufhin beschwerten sich mehrere Eltern der Sechstklässler, dass ihre Kinder Pornografie hätten ansehen müssen. Schließlich schaltete sich der Vorsitzende des Schulvorstands ein, Barney Bishop III., und sprach von einem „ungeheuerlichen Fehler“ – seitens der Lehrerin natürlich. Die kunstaffine Lehrkraft wurde schlussendlich von Polizeibeamten vom Schulgebäude eskortiert – ob sie dabei noch homoerotische Zitate von Seneca, Platon oder Aristoteles laut herausgeschrien hat, ist nicht überliefert. Ein, ihr beistehender Lehrer, der eine Onlinepetition gegen ihre Entlassung gestartet hatte, wurde mit einer Disziplinarmaßnahme bedroht und zum Schweigen gebracht. Die Schulleiterin selbst musste schlussendlich ebenso zurücktreten.
Homosexualität, die große Gefahr
Übertrieben, möchte man meinen? Mitnichten, denn immerhin befinden wir uns in Florida, jenem Bundesstaat, indem das Reden oder auch nur sachliche Informationen über jedwede Themen rund um Homosexualität an allen Schulen seit bald einem Jahr verboten sind. Der homophobe Gouverneur DeSantis plant sogar eine Ausweitung seines „Don´t Say Gay“-Gesetzes, das bereits jetzt selbst Regenbogenfarben in Klassenzimmern verbietet.
Wie gefährlich solch eine nackte David-Figur tatsächlich sein kann, können indes noch ganz andere Experten bestätigen – in Russland beispielsweise gibt es seit 2013 ein Anti-Homosexuellen-Gesetz, welches erst im letzten Jahr noch einmal verschärft worden ist. Jede Darstellung, die man als schwul interpretieren könnte, ist landesweit in Schulen, Medien und der Öffentlichkeit verboten. Putin weiß vielleicht selbst, wie schnell das geht – ein Blick und schwupps, schon träumt man heimlich von schwulem Sex und reitet mit freiem Oberkörper auf einem Pferd durch die russische Tundra.
Die Triebe und die Zivilisation
In Italien sorgte der Fall indes nebst massivem Kopfschütteln auch für Heiterkeit. Dario Nardella, der Bürgermeister von Florenz, in dem die über fünfhundert Jahre alte Statue des Renaissance-Künstlers Michelangelo in der Galleria dell'Accademia steht, lud Lehrerin und Schulleiterin inzwischen in seine Heimat ein und erklärte: „Kunst ist Zivilisation - und wer sie lehrt, verdient Respekt!“
Im Falle von David ist der Vorfall auch deswegen besonders skurril, weil das Zentrum jener vermuteten Pornografie, der nackte Steinpenis, eher klein und überschaubar ausgefallen ist. Das liege nach Angaben der Archäologin Chiara Giatti aber am Zeitgeist der Epoche: „Die Steinmetze modellierten nur kleine Geschlechtsteile, weil sie damit klarmachen wollten: Dieser Mann ist ein rational agierender Intellektueller und als solcher hat er seine Triebe im Griff“ – etwas, das man von Putin, DeSantis und den besorgten Eltern in Florida wohl nicht behaupten kann.