LGBTI* in Polen Human Rights Watch kritisiert die EU für ihr Schweigen
Schaut nicht weg! Mit diesen drei Worten könnte man die eindringliche Erklärung der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) zusammenfassen. Nach wie vor finden tagtäglich Angriffe der polnischen Regierung auf die Rechtsstaatlichkeit statt und unterdrücken dabei die Rechte von Homosexuellen sowie auch queeren Menschen und Frauen. Die Europäische Union müsse endlich entschieden handeln, so die HRW.
Proteste gehen weiter
Erst in dieser Woche kam es mehrfach in Polen erneut zu Protesten von LGBTI*-Menschen, die sich entschieden gegen die homophobe Gesetzgebung der Regierung stellen. Als der Vorsitzende der homophoben PiS-Partei Jaroslaw Kaczynski in dieser Woche das Grab seines Bruders, des ehemaligen polnischen Präsidenten Lech Kaczyski, besuchte, kam es ebenso zu Demonstrationen vor dem Wawel-Schloss in Krakau. LGBTI*-Aktivisten umhüllt in Regenbogenflaggen hielten Schilder hoch, auf denen beispielsweise zu lesen war: “Regenbogenfamilien sind schön!“ Die Angst vieler Homosexueller in Polen ist mehr denn je, dass die Europäische Union wie aber auch viele Nachbarländer die dramatische Situation von LGBTI*-Menschen immer mehr vergisst.
Lage verschlimmert sich immer mehr
Die Lage verschlimmert sich dabei auch laut HRW von Jahr zu Jahr immer mehr, seitdem die PiS-Partei 2015 in Polen die Regierung übernommen hat. „Die Partei hat rechtstaatliche Prinzipien wie die Unabhängigkeit der Justiz und die Medienfreiheit bewusst untergraben. Es kam wiederholt zu Angriffen auf die Rechte von Frauen und LGBT-Personen. Unabhängige zivilgesellschaftliche Gruppen, Aktivisten und diejenigen, die gegen die Politik der PiS protestieren, werden zum Schweigen gebracht, nicht selten auch auf juristischem Wege“ so HRW in seiner offiziellen Erklärung.
Und Lydia Gall, die Expertin für Europa und Zentralasien der Menschenrechtsorganisation, bekräftigt zudem: „Die Krise der Rechtsstaatlichkeit in Polen schwächt demokratische Institutionen und beeinträchtigt gravierend den Schutz der Rechte von Menschen, einschließlich Frauen und LGBT-Personen. Die Europäische Union muss ihre Verantwortung gegenüber den Menschen in Polen ernst nehmen und sich verstärkt bemühen, den verheerenden Angriffen der polnischen Regierung auf die Rechtsstaatlichkeit ein Ende zu setzen.“ Kontinuierliche Recherchen von HRW zeigen dabei auf, wie sich die Aushöhlung des Rechtsstaats durch die polnische Regierung auf die Bevölkerung auswirkt und wie Gerichte und das Justizsystem gezielt politisch instrumentalisiert werden, um die Rechte von Homosexuellen zu untergraben.
Familie über alles
Die feindselige Haltung gegenüber LGBTI*-Personen fand nach Angaben der HRW 2019 ihren Höhepunkt, als über neunzig regionale und kommunale Behörden sogenannte “LGBT-freie Zonen“ einrichteten oder die von der Regierung unterstützte “Familien-Charta“ unterzeichneten, die den Ausschluss von LGBTI*-Personen aus der polnischen Gesellschaft fordert. Auch wenn das Oberste Gericht in Polen einige dieser Erklärungen inzwischen für verfassungswidrig erklärt hat, scheint die grundsätzliche Gesinnung und ablehnende Haltung vor allem gegenüber Homosexuellen weiter von der Regierung befeuert zu werden.
Eine ähnliche Zuspitzung zeichnet sich auch beim Thema Abtreibung ab, Polen hat eines der restriktivsten Abtreibungsgesetze in ganz Europa, wobei sich auch hier die Lage immer weiter verschlimmert. Nach der jüngsten rechtlichen Richtlinie werden Frauen de facto jetzt gezwungen, ihre Schwangerschaft auszutragen. Aktuell sind aus diesem Jahr bereits fünf Fälle bekannt, in dem eine illegale Abtreibung zum Tod einer Frau führte – wer kann, flüchtet als Betroffene ins Ausland für eine medizinisch fachliche Abtreibung. Das Credo ist klar: Das heile Bild der Familie steht über allem.
Druck nimmt zu
Auch der Druck auf LGBTI*-Aktivisten selbst nimmt indes im Land laut HRW immer weiter zu, oftmals unter fadenscheinigen Gründen wie dem Vorwurf der Blasphemie werden Homosexuelle verhaftet oder strafrechtlich verfolgt. Das Ziel laut HRW ist dabei, LGBTI*-Aktivisten so sehr mit Klagen zu überhäufen, dass sie anderweitig keine Zeit mehr haben, sich für die Rechte von LGBTI*-Menschen einzusetzen. „Diese Maßnahmen untergraben nicht nur eine eigenständige Zivilgesellschaft, was einen klaren Verstoß gegen die Rechtsstaatlichkeit darstellt, sondern haben auch zu verstärkter LGBT-Feindlichkeit im Land beigetragen“, so HRW weiter. So sehen sich auch immer mehr LGBTI*-Aktivisten mit tagtäglichen Morddrohungen konfrontiert.
Wo bleibt die EU?
Die Fragen nach mehr entscheidenden Maßnahmen seitens der Europäischen Union werden immer lauter. Das EU-Parlament hat sich zwar beispielsweise gegen das Abtreibungsverbot oder die LGBT-freien Zonen ausgesprochen, doch wirklich viel ist seitdem nicht geschehen. Vier Regionen in Polen haben den Status als LGBT-freie- Zone zurückgezogen, nachdem die EU mit einem Stopp von EU-Mitteln drohte. Ein erster Erfolg, doch für viele homosexuelle Polen viel zu wenig.
Im Juli 2021 leitete die EU-Kommission auch ein Vertragsverletzungsverfahren im Zusammenhang mit den LGBT-freien Zonen ein, finaler Ausgang noch immer offen. Die HRW dazu: „Die EU-Kommission sollte Vertragsverletzungsverfahren einleiten oder bereits laufende Verfahren ausweiten, um der Aushöhlung rechtstaatlicher Prinzipien, etwa des Schutzes der Rechte von Frauen und LGBT-Personen, Einhalt zu gebieten. Sie sollte auch ihren begründeten Vorschlag vom Dezember 2017 zur Feststellung der eindeutigen Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der Rechtsstaatlichkeit durch die Republik Polen nach Artikel 7 des EU-Vertrags, ein Verfahren zum Schutz der Grundwerte der EU, auf alle nach 2017 ergriffenen Maßnahmen ausweiten.“
Hoffnung ruht auf Schweden
Schweden, das ab Januar 2023 für sechs Monate die rotierende EU-Ratspräsidentschaft innehaben wird, sollte diese Bemühungen anführen, so die Menschenrechtsorganisation weiter. HRW-Expertin Gall abschließend: „Es kann nicht sein, dass es Frauen im Jahr 2022 in einem EU-Mitgliedstaat verwehrt wird, eine Schwangerschaft abzubrechen. LGBT-Personen sollten nicht angefeindet werden, nur weil sie so sind, wie sie sind. Und sie sollten auch keine Strafen fürchten müssen, wenn sie für ihre Rechte eintreten.“