Bewertung des EuGH-Urteils Welche Rechte haben Homo-Ehepaare nun wirklich?
Das Gerichtsurteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) Ende November hat die Rechte von Millionen homosexueller Paare in ganz Europa gestärkt und die polnische Regierung unter massiven Zugzwang gesetzt – verheiratete gleichgeschlechtliche Paare müssen in der ganzen EU rechtlich anerkannt werden. Doch was bedeutet das genau? Die queere Organisation ILGA Europe hat sich die Entscheidung im Detail angesehen.
Keine Pflicht zur Eheöffnung
In der Rechtssache Cupriak-Trojan und Trojan gegen den Polen entschieden die Richter, dass alle EU-Mitgliedstaaten eine gleichgeschlechtliche Ehe anerkennen müssen, wenn sie in einem anderen EU-Land rechtmäßig geschlossen wurde. Ziel ist die Sicherung der unionsrechtlichen Freizügigkeit und des Grundrechts auf Privat- und Familienleben. Das Urteil verpflichtet die Staaten zwar nicht, die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare einzuführen. Dennoch müssen auch Länder ohne Ehegleichstellung – darunter etwa Italien, Polen, Ungarn oder Lettland – die im EU-Ausland geschlossene Ehe eines gleichgeschlechtlichen Paars rechtlich anerkennen.
Damit verbunden ist die Pflicht, den Paaren sämtliche Rechte zu gewähren, die nach nationalem Recht an den Ehestatus geknüpft sind. Dazu zählen unter anderem Aufenthalts- und Familiennachzugsrechte, Zugang zu Sozialleistungen, Erb- und Steuerrechte sowie der Status als nächste Angehörige im medizinischen Bereich.
Die Anerkennung darf dabei weder symbolisch noch eingeschränkt erfolgen. Die Mitgliedstaaten können zwar unterschiedliche Verwaltungsverfahren nutzen – etwa Transkription oder Registrierung –, diese dürfen jedoch nicht diskriminierend sein oder den Prozess verzögern. Im Fall Polens stellte der EuGH fest, dass die Transkription ins nationale Register dort der einzige Weg zur Anerkennung ist.
Grenzen und Reichweite des Urteils
Das Urteil gilt für Paare, die ihre Ehe in einem EU-Mitgliedstaat geschlossen haben, in dem sie sich aufgrund des Freizügigkeitsrechts aufhielten. Für Ehen, die außerhalb der EU geschlossen wurden, lässt sich daraus kein Anspruch auf Anerkennung in Staaten ableiten, die keine Ehe für gleichgeschlechtliche Paare erlauben.
Für Nicht-EU-Bürger, die mit einem EU-Bürger verheiratet sind, verweist das Urteil auf das bereits bestehende Coman-Urteil. Darin hatte der EuGH entschieden, dass EU-Staaten dem gleichgeschlechtlichen Ehepartner eines EU-Bürgers – auch wenn er aus einem Drittstaat stammt – eine Aufenthaltsgenehmigung erteilen müssen.
Auswirkungen auf Familien
Auch wenn sich das Urteil auf den Ehestatus konzentriert, können sich daraus Folgen für Familien mit Kindern ergeben. Dazu gehören mögliche Vereinfachungen bei Verwaltungsverfahren, beim Zugang zu Leistungen oder bei der rechtlichen Anerkennung elterlicher Verantwortung. Der EuGH baut dabei auf früheren Entscheidungen auf, nach denen Eltern-Kind-Beziehungen aus einem Mitgliedstaat auch in anderen anerkannt werden müssen.
Die größten Veränderungen
Von den 27 EU-Staaten haben elf keine Eheöffnung für gleichgeschlechtliche Paare, darunter Bulgarien, Kroatien, Zypern, Tschechien sowie mehrere osteuropäische Länder. Manche – etwa Rumänien, die Slowakei oder Polen – erkennen gleichgeschlechtliche Partnerschaften überhaupt nicht an. In diesen Staaten sind die Auswirkungen des Urteils am stärksten, da sie nun erstmals eine vollständige Anerkennung des im Ausland geschlossenen Ehestatus gewährleisten müssen.
Das Urteil stärkt die unionsweit einheitliche Anerkennung von LGBTIQ+-Familien. Es knüpft an eine Reihe früherer Entscheidungen an, in denen der Gerichtshof die Definition des Ehepartners erweiterte, die grenzüberschreitende Anerkennung von Eltern-Kind-Verhältnissen stärkte und die Anerkennung der Geschlechtsidentität konsolidierte. Die ILGA Europe spricht von einem besonderen Urteil und betonte abschließend zu Ihrer Einschätzung: „Das Urteil bestätigt den Trend zu einem einheitlichen grenzüberschreitenden Schutz für LGBTI-Personen und ihre Familien. Es stellt außerdem klar, dass das Diskriminierungsverbot aufgrund sexueller Orientierung aus der Grundrechtecharta ein verbindliches, einklagbares EU-Grundprinzip ist.“