Direkt zum Inhalt
Polens Regierung unter Druck

Polens Regierung unter Druck Kampf um die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Ehen

ms - 02.12.2025 - 10:00 Uhr
Loading audio player...

Das wegweisende Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) von Ende November bringt Polens Regierung derzeit immer mehr in Erklärungsnot. Die Luxemburger Richter entschieden, dass Polen Ehen gleichgeschlechtlicher Paare anerkennen muss, wenn diese in einem anderen EU-Staat rechtsgültig geschlossen wurden. Geklagt hatten zwei polnische Männer, die 2018 in Berlin geheiratet hatten und seit Jahren um die Anerkennung ihrer Ehe in der Heimat ringen. Die große Frage ist: Wie geht es jetzt weiter?

Fronten verhärten sich weiter

Während Vertreter der polnischen Gleichstellungspolitik das Urteil als historischen Fortschritt feiern, reagierte Premierminister Donald Tusk zurückhaltender. Zwar kündigte er an, dass Polen Entscheidungen europäischer Gerichte respektieren werde, doch betonte er zugleich, dass das Land selbst über seine Gesetzgebung bestimmen müsse. Der proeuropäische Regierungschef steht damit vor einem Dilemma: Im Wahlkampf 2023 hatte er eingetragene Partnerschaften als zentrale Reform versprochen – umgesetzt wurde dieses Vorhaben jedoch bis heute nicht.

Der politische Druck kommt nicht nur von enttäuschten Unterstützern, sondern auch von rechtskonservativen Kräften, die LGBTIQ+-Rechte vehement ablehnen. Staatspräsident Karol Nawrocki und Mitglieder seines Umfelds verurteilen das EuGH-Urteil als Angriff auf die nationale Souveränität und warnen vor einer angeblichen „Aufzwingung“ gleichgeschlechtlicher Ehen. Vertreter der extrem konservativen Opposition sprechen gar von einem „Regenbogen-Terror“, der die traditionelle Familie bedrohe.

Doch auch innerhalb der Regierungskoalition herrscht keine Einigkeit. Die konservative Bauernpartei (PSL), seit Jahren Koalitionspartner Tusks, blockiert Reformen im Bereich partnerschaftlicher Anerkennung. Ein aktueller Gesetzesentwurf, der auf einem Kompromiss zwischen Linken und PSL beruht, würde lediglich bestimmte Rechte für unverheiratete Paare regeln – darunter Vermögensfragen, Wohnrechte oder Zugänge zu medizinischen Informationen. Eingetragene Partnerschaften oder die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare wären weiterhin ausgeschlossen. Selbst dieser abgeschwächte Entwurf ist politisch umstritten; eine erste Lesung wurde kurzfristig vertagt, Nawrocki hat zudem bereits betont, dass er ein Veto einlegen wird

Mehr Druck auf die Regierung 

Das EuGH-Urteil entfaltet derweil unmittelbare Wirkung – zumindest theoretisch. Medien berichteten von einem Paar, das unmittelbar nach Bekanntgabe des Urteils ein Standesamt aufsuchte, dort jedoch erneut abgewiesen wurde. Ohne eine formelle Anweisung des Innenministeriums könnten Anträge nicht bearbeitet werden, hieß es. Menschenrechtsaktivisten rufen nun alle im Ausland verheirateten Paare auf, die Anerkennung einzufordern, um den Reformdruck auf die Behörden zu erhöhen.

Umfragen zeigen, dass die Bevölkerung deutlich weiter ist als viele Politiker: Eine Mehrheit von rund 62 Prozent der Polinnen und Polen befürwortet inzwischen eingetragene Partnerschaften. Dennoch bleibt die politische Blockade fest verankert. Sollte der aktuelle Gesetzesentwurf in seiner bestehenden Form umgesetzt werden, würde er vor allem heterosexuellen Paaren helfen – denn Millionen Menschen leben in Polen in unverheirateten Beziehungen.

Während Tusk die europarechtlichen Vorgaben anerkennen will und Justizminister Waldemar Żurek eine Umsetzung des Urteils ankündigt, bleibt offen, wie Polen die praktischen Konsequenzen handhaben wird. Der Premier hat seinen Außenminister beauftragt, die Folgen für das nationale Recht zu prüfen. Die politische Lage dürfte jedoch weiterhin angespannt bleiben: Zwischen europäischer Verpflichtung, gesellschaftlichem Wandel und hartnäckiger ideologischer Opposition steuert Polen auf eine entscheidende Phase in der Debatte um Gleichberechtigung zu.

Anzeige
ANZEIGE
ANZEIGE
ANZEIGE
ANZEIGE
ANZEIGE
ANZEIGE
ANZEIGE
ANZEIGE

Auch Interessant

Eklat um Rachel Devine

Trump-Regierung betont Deadname

Im offiziellen Porträt der ranghöchsten Beamtin des Gesundheitsministeriums der Biden-Regierung, Rachel Devine, wurde nun der Deadname eingesetzt.
Ausstieg als Signal für Wandel

Konflikt führt zu innerer Spaltung

Nach einem Streit um die Rechte von LGBTIQ+-Menschen ist Gabriel Sack, Schriftführer im AfD-Kreisverband Miesbach, aus der Partei ausgetreten.
Bewertung des EuGH-Urteils

IGLA Europe blickt auf Details

Die queere Organisation ILGA Europe bewertete nun das jüngste EuGH-Urteil und erklärt, welche Rechte konkret homosexuelle Ehepaare in der EU nun haben
Kritik an Bundesregierung

Amnesty betont Verantwortung

Amnesty International kritisiert die Bundesregierung, die Projekte für Demokratie und zur LGBTIQ+-Stärkung nicht ausreichend unterstützen würde.
Gesetz zu Herkunftsstaaten

Bundestag stimmt Änderungen zu

Der Bundestag hat ein Gesetz zur einfachen Einstufung von Herkunftsstaaten als sicher zugestimmt. Ein „Skandal“ sowie ein „Rechtsbruch“ für den LSVD+.
Homophobie in Deutschland

Studie offenbart starkes Gefälle

Homophobie ist in Deutschland immer noch vertreten, unter Türken hat sie stark zugenommen, jeder Dritte kann mit Homosexuellen nichts anfangen.
Mehr Schutz in Rheinland-Pfalz

Ausweitung bei Anti-Diskriminierung

In Rheinland-Pfalz sollen LGBTIQ+ und andere Minderheiten künftig besser gegen Diskriminierung geschützt werden, so ein Gesetzentwurf der Regierung.
Opfer mit Böller angegriffen

Verdächtige 16 und 18 Jahre alt

Vor zwei Monaten kam es im Hamburger Stadtpark zu einem schwulenfeindlichen Angriff. Zwei Brüder wurden nun als Hauptverdächtige festgenommen.
Bilanz ESC 2025

Mehrwert für die Schweiz

Die Schweiz zieht ein positives Fazit über den ESC 2025 in Basel: Die Kassen klingelten und das Image hat sich deutlich verbessert.