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Neue Fachstelle für Bisexuelle
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Neue Fachstelle für Bisexuelle Im Einsatz gegen Vorurteile innerhalb der LGBTI*-Community

ms - 16.08.2024 - 14:00 Uhr

In Berlin gibt es jetzt die erste geförderte Fachstelle für Bisexuelle in ganz Deutschland. Träger ist der Verein BiBerlin. Die bisexuelle Community feiert diesen Schritt als Meilenstein. Dabei gibt es noch immer Vorurteile gegenüber Bisexuellen, gerade auch in der Community. SCHWULISSIMO fragte genauer nach bei Stefan Jerichow aus dem Vorstandsteam von BiBerlin.  

Stefan, böse Frage zu Beginn: Was hat denn bitte so lange gedauert? 

Steter Tropfen höhlt den Stein. Und auch wenn es in Berlin sehr hart(näckiges) Wasser gibt, dauerte es einige Jahrzehnte, die gesellschaftliche Relevanz und queerpolitische Notwendigkeit zu etablieren. In den letzten Jahren haben wir zwei von der LADS geförderte Mikroprojekte durchgeführt, in denen wir die Berliner Bi+ Geschichte wissenschaftlich aufgearbeitet haben. Aus diesen geht hervor, dass es gerade in den 1990er Jahren etliche Bemühungen der Berliner Bi+ Community gab, einen gesellschaftlichen und politischen Sichtbarkeitswandel zu schaffen. Eine konkret geförderte Vertretung blieb jedoch unerreicht, da sich die ehrenamtlich arbeitenden Aktivist*innen nach einer gewissen Zeit ausgebrannt zurückzogen beziehungsweise in andere Bundesländer abwanderten. Erst mit der Gründung von BiBerlin im August 2018 und der kontinuierlichen Medienarbeit, Darlegung der Relevanz mittels Zahlen aus Umfragen und politischem Lobbyismus über etliche Jahre hinweg, konnten wir jetzt diese Stufe für die Bi+ Community erreichen. Das ist aber nur der erste Schritt. Die eigentliche Arbeit beginnt jetzt erst! Wir sind hier im progressiven Berlin das erste Leuchtturm-Projekt und wollen damit auch den Weg für andere Bundesländer und Gesamtdeutschland bereiten.

Warum schafft die schwarz-rote Regierung in Berlin hier etwas, was die grün-rot-rote Regierung zuvor nicht geschafft hat? 

Das ist in der Wahrnehmung viel zu kurz gedacht. Wie schon erwähnt, stehen wir seit vielen Jahren in stetigem Gesprächsaustausch mit Politik und Verwaltung, um jene für dieses Ungleichgewicht und die damit einhergehende Unsichtbarmachung (BiErasure) von Bi+ Menschen zu sensibilisieren. Schon im Koalitionsvertrag 2021, das heißt unter der rot-grün-roten Landesregierung, stand der Satz: „Die Koalition wird zudem die besonderen Bedarfe von bisexuellen Menschen berücksichtigen.“ Nach der Wiederholungswahl wurde dieser Satz von der schwarz-roten Landesregierung übernommen. Im Herbst/Winter 2022/2023 nahmen wir an fast allen Fachrunden zur Weiterentwicklung des Aktionsplans der Initiative „Berlin tritt ein für Selbstbestimmung und Akzeptanz geschlechtlicher und sexueller Vielfalt“ (IGSV) teil und thematisierten immer wieder die Bedürfnisse der Bi+ Community. Das führte dazu, dass mit der Neuauflage der IGSV Ende 2023 zum ersten Mal das Handlungsfeld Bi+ aufgenommen wurde. Daran lässt sich unschwer erkennen, dass im Laufe der Jahre verschiedene Unterstützer*innen aus unterschiedlichen Parteien an diesem Prozess mitgewirkt haben. Wir haben unseren politischen Allys zu danken, besonders den queerpolitischen Sprecher*innen der Fraktionen in der letzten und aktuellen Landesregierung und dem Queerbeauftragten des Landes Berlin Alfonso Pantisano. 

Die neue Fachstelle des Vereins BiBerlin setzt drei Schwerpunkte: Beratung, Empowerment und Sensibilisierung. Mit welchen Anliegen können sich bisexuelle Menschen künftig an euch wenden?

Eines der erklärten Ziele der kommenden Jahre ist der konkrete Aufbau eines Beratungsnetzwerks. Dazu gehören Aufklärung, Unterstützung bei Self-Empowerment und auch die Beratung beziehungsweise Schulung der Berliner Verwaltung für die Bedürfnisse von Menschen des Bi+ Spektrums. Zum Beispiel führen Phänomene wie Straight Passing und Bi+ Imposter-Syndrom dazu, dass wir sehr viele Anfragen von Menschen bekommen, die sich Beratung im Umgang mit diesen Schwierigkeiten wünschen.

Ihr wollt auch staatliche Stellen und Fachpersonal sensibilisieren im Umgang mit bisexuellen Menschen. Worin unterscheidet sich dieser im Unterschied zu Homosexuellen?

Lesben und Schwule sind gerade in der Außenwahrnehmung durch ihre Partnerpersonen sichtbarer als in „hetero“-gelesenen Bi+ Partnerschaften (Straight Passing). Gerade diese Form des Bi-Erasure sorgt bei vielen Menschen innerhalb des Bi+ Spektrums für eine intensivere Form des Imposter-Syndroms und bei Paaren für eine unsichere Ausblendung im gesellschaftlichen Umfeld. Gerade diese Konstellation der andersgeschlechtlichen Beziehungen braucht besondere Unterstützung und hat andere Bedürfnisse im Umgang als gleichgeschlechtliche Paare. Hier ist eine spezielle Form der Ansprache von außen notwendig. Der Blick auf Bi+ Menschen muss sich verändern, insbesondere das Mindset und Erwartungsbild. Falsche Annahmen und falsche Zuschreibungen hinterlassen mentale Spuren bei den Betroffenen. Worte haben Macht. Wenn dann noch Mehrfachmarginalisierung hinzukommen, kommen andere Bedarfe zum Tragen als bei lesbischen und schwulen Menschen. Gleichzeitig sind gerade bisexuelle Frauen beziehungsweise weiblich gelesene Menschen einem signifikant höheren Risiko ausgesetzt, Opfer von sexualisierter Gewalt zu werden, wie diverse nationale und internationale Studien belegen. Diese Details haben hier großen Impact.

Ihr übt auch Kritik an der LGBTI*-Community selbst, denn oftmals werden hier Bisexuelle entweder gar nicht erst so richtig mitgedacht oder es kommen alte Klischees auf, beispielsweise, Bisexuelle sind zu feige, sich als homosexuell zu outen. Wieso ist dieses Narrativ auch in der Community so weit verbreitet – und was können wir dagegen tun?

Ich glaube, der wichtigste Ansatz ist Ehrlichkeit mit sich selbst. Wir alle neigen bewusst und unbewusst zu gewissen Formen des Schubladendenkens, was zu Diskriminierung anderer Menschen führen kann. Hervorgerufen durch Unwissenheit und Prägung durch das Umfeld, in dem wir uns bewegen oder aufgewachsen sind. Ein Beispiel: Mir ist schon oft von Schwulen die Aussage begegnet, sie könnten gar nicht diskriminierend gegenüber Bi+ Menschen sein, da sie selbst einer marginalisierten Minderheit angehören. Um solchen und anderen Vorurteilen zu begegnen, braucht es Bildung, Sichtbarkeitsreflexion und Empathie, und zwar aus der Erfahrungen der Bi+ Community selbst heraus – nicht von Anderen für Andere. Für Bildung braucht es Materialien, Texte und Bildungsangebote. Für Sichtbarkeitsreflexion benötigt es Rolemodels und reale Vorbilder in Medien und Gesellschaft. Die Empathie für die Belange der Bi+ Community kann dadurch transportiert werden, dass unsere Ängste, Erlebnisse und Lebensrealitäten so erzählt werden, dass diese nachempfindbar sichtbar gemacht werden. Diese drei Ansätze in die gesamte queere Community zu tragen wird kein Sprint – eher ein Marathon. Unsere Schritte hallen hoffentlich nach.

Wie kann Diskriminierung gegenüber Bisexuellen konkret aussehen?

Es begegnet uns in diversen Situationen. Ich nenne mal drei Beispiele. Wenn ich mit meinem weiblichen Partnermenschen als männlich gelesene Person aufs Motzstraßenfest gehe, ist immer eine Schere im Kopf, wenn es um das Händchenhalten oder Küssen geht. Gibt es wieder die Blicke und Kommentare der Anderen, was wir als hetero wahrgenommenes Paar hier wollen oder ob wir herumheten? Gleichzeitig sorgt es bei mir für inneres Augenrollen, wenn ich immer wieder von Stimmen aus der queeren Community vorerzählt bekomme, wie promiskuitiv oder untreu wir bisexuellen Menschen doch seien. Und ein weiterer prägender Fall passierte im Umfeld von Gesprächen über die Situation von queeren Geflüchteten, als mir ein Mensch aus der Verwaltung erklärte, dass sich Flüchtlinge nicht auf den Fluchtgrund Bisexuell berufen, aus Angst abgeschoben zu werden – sie können sich ja „Untermischen ohne Aufzufallen“. Das sei ja nicht so ernst.

Bisexuelle sind die größte Gruppe von Menschen in der LGBTI*-Community, werden aber wie gesagt oftmals übersehen. Keck gefragt: Seid ihr bisher einfach nicht laut genug gewesen?

Keck geantwortet: Die monosexuelle Community hatte uns gemuted. Versetzt euch mal in unsere Lage: Jahrelang wird Bisexualität in der „Szene“ als Phase dargestellt. Bisexuelle Personen gelten als Unsicherheitsfaktor in queeren Beziehungen. Internalisierte Bi-Feindlichkeit dröhnte uns permanent ins Ohr! Es hat viel Aufklärung und Empowerment gebraucht, um eine hörbare Stimme zu entwickeln, gemeinsam politisch laut zu werden und den Diskurs auf Augenhöhe einzufordern. Als dann auch Studien konkret auf die Bi+ Menschen zugeschnitten wurden, zeigte sich auch deutlicher, wie viele wir wirklich sind. Konfrontativ und mahnend waren wir innerhalb unserer Community schon immer – nur sind jetzt unsere Stimmen lauter und von wesentlich mehr sichtbar engagierten Menschen getragen.

Rund 38 Prozent der Homosexuellen sind laut der jüngsten Studie „Out in Office“ gegenüber allen Kollegen offen bezüglich ihrer sexuellen Orientierung – bei Bisexuellen sind es gerade einmal 16 Prozent. Hingegen 66 Prozent der Bisexuellen verheimlichen ihre Sexualität im Job. Bei Schwulen liegt der Wert bei knapp 26 Prozent. Warum haben bisexuelle Menschen hier offenbar ein weitaus größeres Problem?

Nachweislich werden Menschen, die in ihrer Bewerbung schreiben, dass sie Bi+ sind, im Gegensatz zu homosexuellen Menschen, weniger häufig zu Vorstellungsgesprächen eingeladen. Und selbst im Job ist Benachteiligung in Bezug auf die Bezahlung in Studien nachgewiesen worden. Darüber hinaus kommt auch beim Thema Job das populäre Framing zum Tragen, das Bi+ Menschen unsicher, unentschieden, nicht vertrauenswürdig, aufmerksamkeitsaffin sind. Es braucht besonders im beruflichen Umfeld die Sicherheit, dass nach einem Coming-out keine Nachteile entstehen, die sich negativ auf die berufliche Entwicklung auswirken. Wenn sich lesbische oder schwule Menschen im Office mit einem Coming-out sichtbar machen, dann oftmals wegen der Wahl der Partnerschaft oder dem nicht heteronormativen Bild auf dem Schreibtisch. Bei Bi+ Menschen entsteht nur das zuvorkommende Coming-out, wenn sich das Gender der Partnerperson ändert. 

Was wünscht Ihr euch als bisexuelle Menschen von der Gesellschaft wie aber auch von LGBTI*-Personen?

Innerhalb der queeren Community eine Diskussion auf Augenhöhe und mehr gemeinsame Sichtbarkeit mit Schulterschluss. Ich glaube, es gibt wesentlich mehr Potential für Synergien und Support als für Tritte unterm Tisch. Von der heteronormativen Medienlandschaft wünschen wir uns mehr Einbindung positiv besetzter Bi+ Rolemodels, ohne stereotype Klischee-Darstellung. Gerade die letzten fünf Jahre mit Social Media haben gezeigt, wie unglaublich unterstützend die korrekte Darstellung sein kann, um sich gegenüber der gesamten Community mit Rückgrat zu präsentieren. Jene positive Reflektion wünschen wir uns auch von der heteronormativen Mehrheitsgesellschaft.

Was gibt es abschließend noch zu sagen?

Hört bitte auf, bei Prides und queeren Veranstaltungen zu erahnen, welche Person wohl bi, schwul, lesbisch oder Einhorn ist. Alle Teilnehmenden sind entweder queer oder zumindest ein Ally. Jede Stimme und Schulter hilft der gemeinsamen Sichtbarkeit und Message. Und als Outro noch eine Ansage an die beschwipste Gruppe beim Motzstraßenfest: Nein, meine Bisexualität ist keine Phase und ich finde es irgendwann heraus… Diese Phase dauert schon 45 Jahre und ist eine Tatsache, die bleibt.

Stefan, vielen Dank für das Gespräch!

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