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Leuchtfeuer gegen Homophobie
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Leuchtfeuer gegen Homophobie LGBTI*-Menschen trotzen der Buchzensur in den USA und gründen eine digitale Bücherei für LGBTI*-Themen

ms - 12.06.2024 - 15:00 Uhr

Seit einigen Jahren wird in den USA über Bücher mit LGBTI*-Themen heftig gestritten – viele Bundesstaaten oder Lokalregionen haben zuletzt immer wieder Verbote für die öffentlichen Bibliotheken und Schulbüchereien ausgesprochen, anderenorts wird der Streit inzwischen sogar vor Gericht ausgefochten. Die Situation scheint sich dabei immer weiter zu verschärfen, je näher die Präsidentschaftswahl im November rückt. 

4.000 Bücher auf dem Index

Republikanische Politiker und konservative bis rechtsextreme Gruppen fordern ein Komplettverbot von LGBTI*-Inhalten an Schulen, mancherorts ist sogar die Rede davon, alle betreffenden Bücher am besten direkt zu verbrennen. Der amerikanische Autorenverband PEN America warnte bereits in diesem Jahr vor einer nie dagewesenen „Welle der Zensur“

Allein im Schuljahr 2023/2024 wurden in den USA bisher so über 4.000 Buchtitel in 42 US-Bundesstaaten verboten. Dabei wird die Zensurschere offenbar immer radikaler angesetzt, schon lange geht es nicht mehr nur um fiktive Romane oder gleichgeschlechtliche, zumeist sehr harmlose Liebesgeschichten. Inzwischen landen auch alle Aufklärungswerke, wissenschaftliche Schriften sowie Beratungs- und Sachbücher beispielsweise rund ums Coming Out auf dem Index. Immer wieder wird der Kampf gegen LGBTI*-Themen bisweilen auch sehr absurd, wenn Bücher schon dann verboten werden sollen, weil sie als Beispiel nur einen Regenbogen auf dem Cover zeigen. 

Eine digitale LGBTI*-Bücherei

Dagegen formiert sich jetzt Widerstand in Amerika – als „Leuchtfeuer der Hoffnung“ gerade für verunsicherte LGBTI*-Jugendliche fungiert hier die neue  Queer Liberation Library (QLL). Dahinter verbirgt sich ein kostenloses Online-Angebot mit aktuell über 1.200 LGBTI*-Büchern. Gegründet wurde das Projekt von Freiwilligen aus der Community selbst – mit dem klaren Ziel, die „Lücken“ an LGBTI*-Angeboten zu schließen, die konservative Kräfte in den USA hinterlassen haben. Zum „Ausleihen“ eines Buches müssen interessierte Leser nur ihren Namen und ihre Postadresse angeben, beides wird anonymisiert gespeichert – dann kann sofort losgelesen werden. 

„Es war eine dieser Ideen, bei der ich überrascht war, dass bisher niemand zuvor darauf gekommen ist. Ich wusste dann sofort, dass dieses Projekt eine große Wirkung haben wird“, so Kieran Hickey, Mitbegründer von QLL. Binnen kürzester Zeit verzeichnete die Online-Bücherei bereits über 50.000 Leser, Tendenz weiter steigend – etwa jeder sechste von ihnen lebt auf dem Land. 

Einer der anderen Mitbegründer, Erik Lundstrom, betont gegenüber NBC News: „Die queeren Verbotsregelungen in den USA sind so unterschiedlich, nicht nur von Staat zu Staat, sondern auch von Stadt zu Stadt, ja sogar von Bezirk zu Bezirk. Um so wichtiger ist es, LGBTI*-Bücher auf sichere Weise bereitstellen zu können, unabhängig vom Heimatort und den anderweitigen Umständen der Leser. Ich denke, das hier ist eine der wichtigsten Aufgaben, die ich jemals in meinem Leben erfüllen werde.“ 

Besser umgehen mit dem „Anderssein“

Beide Gründer betonen überdies, dass sich gerade sehr viele junge LGBTI*-Menschen in Amerika in Bücher flüchten, um Gemeinschaft und Verständnis zu erleben und zu erlernen, wie sie mit ihrem „Anderssein“ umgehen könnten. Melanie Willingham-Jaggers, Geschäftsführerin der LGBTI*-Bildungsorganisation GLSEN, erklärte dazu: „Bücher mit LGBTI*-Charakteren und -Themen geben queeren Jugendlichen das Gefühl, gesehen zu werden und dazuzugehören, während Bücherverbote ihnen hingegen vermitteln, dass sie bestraft und ausgelöscht werden sollten. Wenn LGBTI*-Jugendliche keinen Zugang zu Büchern haben, die ihre Geschichte widerspiegeln, fehlt es ihnen an Identitätsbestätigung, Vorbildern und Inspiration. Dieses Fehlen kann zu Gefühlen der Scham und Selbstzweifel führen.“

Die Grundidee zur digitalen LGBTI*-Bibliothek kam aus Kanada – in Vancouver gibt es bereits ein solches Angebot. In den USA fanden sich schnell viele Freiwillige im ganzen Land, die seitdem mit Feuereifer an dem neuen Projekt mitarbeiten. Online werden sie bereits gefeiert als die „Queer Literature Heroes“, die Helden der LGBTI*-Literatur. 

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