PR-Gag oder Panik? Kein aktiver Profifußballer traute sich, die Vorlage anzunehmen und sich zu outen
Ein Kommentar von Michael Schmucker
Ein Satz mit X, das war wohl nix! Das Feld bleibt leer, der Ball liegt unberührt auf dem Grün, kein Tor, kein Jubel. Seit November 2023 wartete die LGBTI*-Community auf das lang versprochene Gruppen-Coming-Out im deutschen Spitzenfußball. Der schwule Ex-Profifußballer Marcus Urban hatte die Aktion erdacht und sie in diesem Jahr weiter befeuert, die Rede war zwischenzeitlich sogar von „Weltstars“, die sich zu ihrer Homosexualität bekennen würden. Am Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transfeindlichkeit (IDAHOBIT) wartete dann die Weltpresse gespannt – und nichts geschah.
PR-Gag, Luftnummer oder Panik?
Urbans Diversity-Homepage brach zwischenzeitlich zwar immer wieder zusammen aufgrund der vielen Anfragen, doch selbst wenn die Seite funktionierte, sah man nur die Geschichten von einigen Persönlichkeiten, die sich schon vor längerer Zeit geoutet hatten. Das Ganze kann natürlich als grandioser PR-Gag verstanden werden, um auf die Sache aufmerksam zu machen – die Frage ist nur, ob der Clou nicht am Ende nach hinten losgeht. Urbans Reputation als seriöser Ansprechpartner im Bereich Diversity scheint zumindest Risse bekommen zu haben und die monatelange mediale Hysterie um die Frage, wer sich vielleicht outet oder nicht, dürfte tatsächlich homosexuelle Spieler wohl auch in nächster Zeit nicht dazu bewegen, ihrem Versteckspiel ein baldiges Ende zu bereiten.
Urban selbst hatte via Facebook erklärt, er sei an dem Tag für kein Statement zu sprechen. Vorab im Stern-Interview sagte er zudem: „Aktive Profifußballer halten sich noch zurück. Die Spieler sind extrem vorsichtig. Keiner traut sich aus der Deckung. Viele Spieler haben den Glaubenssatz verinnerlicht, dass sie nach einem Coming-Out in Ungnade fallen würden in der Branche.“
Es bleibt schwierig
In einem Offenen Brief beteuerte die aktive Fanszene dann zwar unter dem Motto „Wir an eurer Seite“, dass sie die Spieler unterstützen würden, man wolle aber auch keinen Druck aufbauen. Und weiter: „Wir können euch leider nicht versprechen, dass alle homofeindlichen und diskriminierenden Äußerungen schlagartig aus den Stadien verschwinden. Aber wir versprechen euch: Wir werden weder jetzt noch dann schweigen.“
Skepsis in der Community
In der Community war die Skepsis bereits in den Wochen vor dem angedachten Gruppen-Outing groß. Stefan Mielchen vom Hamburger CSD-Verein schimpfte online: „Dass Marcus Urban diese Aktion bereits vor Monaten angekündigt hat, ist vollkommen unverständlich. Er hat damit eine öffentliche beziehungsweise mediale Erwartungshaltung erzeugt, die Betroffene, die bei diesem hochsensiblen Thema ohnehin schon stark unter Druck stehen, mit Sicherheit nicht darin bestärkt, an die Öffentlichkeit zu gehen. Ganz im Gegenteil. Dieses Vorgehen war unprofessionell und unseriös. Wie man als ´Diversity-Berater´ so unsensibel agieren kann, ist mir absolut schleierhaft.“
Und Christian Rudolph, Leiter der Kompetenz- und Anlaufstelle für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt im Fußball von DFB und LSVD beteuerte gegenüber dem Spiegel, man habe mit der Aktion die Chance vertan, der Welt zu zeigen, wie viele Menschen im Sport bereits offen queer leben. „Das hätte für mich noch mal eine andere Kraft und wäre eine große Gruppe, ganz anders als eine reine Coming-Out-Kampagne.“
Outing jetzt bitte im Monatsrhythmus
Auf der Kampagnenseite von Urban selbst, Diversero, verweist man auf den Plan, den 17. jedes Monats künftig zum weltweiten „Sports Free Day“ machen zu wollen, ganz so, als habe es beim Outing bisher vor allem an der Festlegung auf ein Datum gemangelt. Das nun wenigstens am IDAHOBIT nicht erfolgte Massen-Coming-Out mag als PR-Aktion im Sinne der Sichtbarkeit von Homophobie im Profifußball verstanden werden wollen, doch am Ende zeigt es den Spielern, die seit Jahren ein Doppelleben führen, vor allem nur eins: Du bist allein. Im Ernstfall steht dir offenbar niemand bei.
Der vermeintliche Clou wird als vertane Chance in die LGBTI*-Geschichte eingehen und hat das Zeug dazu, die Bewegung und den Kampf um mehr Akzeptanz gerade für schwule Kicker, für die seit Jahren auch der schwule Ex-Profifußballer Thomas Hitzlsperger kämpft, um Jahre zurückzuwerfen.