Problemfall Pflegefamilie Wie mit LGBTI*-Pflegekindern korrekt umgehen? Darüber wird in den USA gerade gestritten.
Die Situation von LGBTI*-Jugendlichen in den USA, die obdachlos sind oder nicht mehr bei ihren Eltern wohnen können, hat sich in den letzten Jahren stark verschlechtert. Hilfsorganisationen wie Foster Care sowie auch Untersuchungen des amerikanischen Williams Institutes legen nahe, dass rund 14 Prozent der amerikanischen LGBTI*-Jugendlichen bei Pflegefamilien untergebracht sind – doppelt so viele wie bei heterosexuellen Minderjährigen.
Stress und Angst bei LGBTI*-Jugendlichen
Dabei verschlechtert sich zudem die allgemeine Lebenssituation vieler homosexueller und queerer Jugendlicher in den USA, wie das Trevor Project zuletzt bestätigte. Inzwischen leiden 75 Prozent der LGBTI*-Minderjährigen unter Stress und Angst, zumeist hervorgerufen durch Mobbing, Bedrohungen, Hassverbrechen und dem allgemeinen, politisch aufgeheizten Anti-LGBTI*-Klima in den Vereinigten Staaten von Amerika. Es bedarf also gerade im Pflegebereich viel Einfühlungsvermögen, um diesen jungen Menschen adäquat helfen zu können.
Ein schwules Kind in einer homophoben Familie?
Genau darüber streitet in diesen Tagen die Regierung von Tennessee. Der US-Bundesstaat will ein neues Gesetz in Kraft treten lassen, das es möglichen Pflegeeltern deutlich erleichtert, Zugang zu LGBTI*-Kindern zu bekommen. Das Problem dabei: Künftig wäre es auch für jene Adoptiv- oder Pflegeeltern möglich, LGBTI*-Jugendliche zugewiesen zu bekommen, die Homosexualität aus religiösen oder moralischen Gründen ablehnen. Bisher war dies so nicht möglich.
Die Kritiker bemängeln, dass LGBTI*-Jugendliche damit sozusagen vom Regen in die Traufe kommen würden, weg von den biologischen homophoben Eltern, hin zu einer Pflegefamilie, die Homosexualität im Namen Gottes ablehnt. Die meisten LGBTI*-Minderjährigen werden überhaupt erst zu Pflegekindern, weil ihre Eltern die sexuelle Orientierung ihres Kindes nicht akzeptieren wollen. Jetzt drohe nicht nur eine weitere Traumatisierung, sondern vielleicht sogar drastischere Maßnahmen wie eine aufgezwungene Konversionstherapie bei den Pflegeeltern.
Kinderfürsorge ad absurdum
„Diskriminierung unter dem Deckmantel der Religion ist immer noch Diskriminierung. Hass unter dem Deckmantel der Religion ist immer noch Hass. Diese Legislative hat alles getan, um LGBTI*- Kinder zu schikanieren, und das ist falsch. Diese Legislative sollte sich schämen“, so der demokratische Abgeordnete Justin Jones in der finalen Sitzung vor der Verabschiedung des neuen Gesetzes.
Dem pflichten auch zahlreiche Organisationen bei, beispielsweise die Human Rights Campaign – Direktorin Cathryn Oakley dazu: „Diese Kinder in Heime zu stecken, in denen die grundlegende Wahrheit, wer sie sind, nicht respektiert wird, ist in niemandes bestem Interesse. Nicht in ihrem besten Interesse, nicht im Interesse des Staates und auch nicht im Interesse der Eltern.“ Und ihre Kollegin, die stellvertretende Direktorin Molly Whitehorn, ergänzt: „Der Gesetzentwurf stellt das zentrale Prinzip der Kinderfürsorge – dass jede Entscheidung im Dienste des Kindeswohls getroffen werden sollte – auf den Kopf.“
Das Tennessee Equality Project wies zudem darauf hin, dass das neue Gesetz das gesamte Kinderfürsorgesystem des Staates gefährden könnte. Zum einen widerspricht der Text Regelungen des US-Gesundheitsministerium zum besonderen Schutz von LGBTI*-Kindern, zum anderen könnte es dazu führen, dass LGBTI*-Jugendliche lieber aus den Pflegeeinrichtungen flüchten, obdachlos werden oder sich notfalls prostituieren, bevor sie möglichen homophoben Eltern zugeteilt werden.
Das letzte Wort hat der Gouverneur
Die republikanischen Befürworter des Gesetzes argumentieren dagegen, dass eine solche neue Regelung zwingend notwendig sei, um den Pool potenzieller Pflege- und Adoptivfamilien im Bundesstaat zu erweitern. Schon jetzt gäbe es viel zu wenige Familien, die überhaupt noch bereit sind, ein Pflegekind aufzunehmen.
Zudem schließe das neue Gesetz ja nicht aus, dass die zuständigen Behörden die religiösen oder moralischen Überzeugungen der Pflegeeltern bei einer Unterbringung berücksichtigen. Das stimmt zwar, korrekt ist allerdings auch, dass die Behörde keineswegs dazu verpflichtet ist, solche Kontrollen tatsächlich auch anzuwenden. Der Gesetzentwurf liegt jetzt beim republikanischen Gouverneur Bill Lee – unterschreibt er diesen, tritt das Gesetz zeitnah in Kraft. LGBTI*-Verbände fordern von Lee, sein Veto einzulegen.