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Lieferengpass bei PrEP
Rubrik

Lieferengpass bei der PrEP? Droht ein Anstieg der HIV-Neuinfektionen?

ms - 08.12.2023 - 10:00 Uhr

Mehrere Fachverbände, darunter die Vertretung der ambulant tätigen HIV-Mediziner (Dagnä) sowie die Arbeitsgemeinschaft HIV-kompetenter Apotheken (DAHKA), warnen eindringlich vor Lieferschwierigkeiten bei der Prä-Expositionsprophylaxe (PrEP). Die kritische Versorgungslage habe sich seit Mitte Oktober offenbar noch einmal stufenweise „massiv verstärkt“. DAHKA-Vorstand Erik Tenberken erklärte: „Uns gehen die Vorräte aus, wir können gerade nur irgendwie versuchen, die Löcher zu stopfen.“ Eine neue Lieferung der Medikamente wird hoffnungsvoll für Ende dieses Monats erwartet, für eine generelle Entspannung auf dem Markt dürfte dies aber wahrscheinlich nicht ausreichen.

Hiobsbotschaft für PrEP-Nutzer

Es bleibt daher eine Hiobsbotschaft für die rund 39.000 zumeist homosexuellen Männer (Quelle Robert-Koch-Institut, RKI), die in Deutschland aktuell die PrEP als Präventionsmedikament gegen eine HIV-Infektion einnehmen, dabei wurde erst vor kurzem die kassenärztliche Vergabe überarbeitet: Die Kostenübernahme der medikamentösen HIV-Präexpositionsprophylaxe für gesetzlich Versicherte mit einem sogenannten „substanziellen HIV-Risiko“ wurde bis Ende 2025 verlängert, die Kosten dafür werden damit erneut vollständig von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Darauf haben sich die Kassenärztliche Bundesvereinigung und der GKV-Spitzenverband im Be-wertungsausschuss zuletzt Ende 2023 verständigt. Eine eigentlich gute Nachricht, inzwischen auch für Beamte zumindest in Hamburg, denn ab diesem Monat gilt die PrEP nun endlich auch für diese Berufsgruppe in der Hansestadt als voll beihilfefähig, dies war zuvor nicht der Fall, doch nun lenkte der Senat ein. In anderen Bundesländern ist dies teilweise allerdings noch immer nicht für Beamte möglich.

Erstmals im September 2019 hatten die Krankenkassen die PrEP-Kosten für Menschen mit erhöhtem HIV-Ansteckungsrisiko übernommen – ursprünglich hatte der Bewertungsausschuss die extrabudgetäre Vergütung dabei allerdings zunächst für zwei Jahre festge¬legt. 2021 dann wurde die Übernahme der Leistungen um zwei Jahre erstmals verlängert – dieser Schritt erfolgte nun erneut. Neu wird aber in diesem Jahr allerdings sein, dass die Kontrolle im Rahmen der PrEP über eine Pauschale vergütet wird. Dies alles nützt indes natürlich wenig, wenn das Medikament selbst nicht zu bekommen ist. Besonders dramatisch davon betroffen sind schwule Männer in Berlin, ein Drittel aller PrEP-Verschreibungen bundesweit sind hier erfasst. Mehrere Apotheken aus dem schwulen Kiez meldeten bereits massive Engpässe. Nach Berlin wird die PrEP an zweiter Stelle zumeist in Köln angefragt. Tenberken, der in der Rheinmetropole auch zwei Apotheken betreibt, erklärte weiter, man habe es bisher irgendwie noch hinbekommen, doch: „Im Markt macht sich Panik breit. Wir können nicht abwarten, bis wir komplett ohne dastehen.“

Ampel-Regierung in der Pflicht

Von diesen großen Problemen sind derzeit nicht allein die PrEP-Nutzer betroffen, es gibt seit geraumer Zeit auch massive Engpässe bei Fieber- und Schmerztabletten – viele Hersteller würden inzwischen gar nicht mehr oder nur noch in kleinen Mengen liefern. Die Verbände sehen hier die Ampel-Regierung in der Pflicht, denn während die Preise sinken, würden die Kosten gleichzeitig weiter ansteigen. „Der verantwortliche Minister neigt dazu, alles zu negieren“, so Tenberken, der mit Nachschub frühestens Ende dieses Monats rechnet. Gegenüber dem Tagesspiegel erklärten mehrere HIV-Experten, gerade für Schwerpunkte wie Berlin oder Köln könnte ein Lieferstopp „eine Katastrophe für die HIV-Prophylaxe“ bedeuten. Und Dagnä-Vorstandsmitglied Stefan Mauss bekräftigte zudem: „Uns droht ein Anstieg der HIV-Neuinfektionen.“ Auf SCHWULISSIMO-Nachfrage erklärte ein HIV-Schwerpunktarzt aus Berlin, der namentlich nicht genannt werden will: „Es ist einfach absolut unverantwortlich gegenüber allen Menschen mit HIV, besonders natürlich gegenüber schwulen Männern, die größtenteils die PrEP einnehmen. Wir haben endlich ein effektives Mittel gegen HIV in der Hand und wir schaffen es als ein so reiches Land wie Deutschland nicht, einen Engpass zu vermeiden? Wenn es nicht so dramatisch wäre, müsste man fast lachen, so absurd ist das. Und es gibt dafür auch kein Verständnis innerhalb der Community, gerade auch in Berlin. Viele meiner Patienten erinnern sich noch daran, dass es die damalige Berliner Senatsverwaltung unter grüner Leitung vor ziemlich genau einem Jahr versemmelt hat, rechtzeitig Verträge zu verlängern, sodass wir als Ärzte Impfstoff gegen die Affenpocken im Haus hatten, aber nicht impfen durften, weil wir es nicht abrechnen konnten. Mitten in Berlin, dem Epizentrum von Mpox damals. Und ein Jahr später muss ich meinen Patienten jetzt sagen, Sorry, die PrEP gibt´s jetzt auch nicht mehr oder es ist eben Glückssache. Unfassbar, einfach nur unfassbar!“

Dabei zeigten Ende letzten Jahres auch die neusten Daten des RKI eindrucksvoll auf, dass die PrEP tatsächlich einen positiven Effekt hat und wirkt! Aktuell nutzen rund 39.000 Menschen in Deutschland die PrEP, rund 99 Prozent davon sind Männer, wie das Epidemiologische Bulletin des Instituts für 2023 festgehalten hat. Basis der Daten ist die halbjährliche Befragung von 29 HIV-Schwerpunktzentren. Von den rund 12.500 Männern, die Patienten in diesen HIV-Schwerpunktzentren sind, erkrankten nach einer PrEP-Einleitung gerade einmal acht Personen, das entspricht einer Quote von 0,06 Prozent. In einem Fall dürfte eine längere PrEP-Einnahme-Unterbrechung ursächlich an der Infektion gewesen sein, in den sieben anderen Fällen hält die Studie fest, dass die Männer sich offenbar nicht korrekt an die zeitliche Einnahmevereinbarung mit ihrem Facharzt gehalten haben. Kurzum, abseits solcher eigenverschuldeter Zwischenfälle hat die PrEP eine extrem hohe Sicherheit.

Birgt der Engpass langfristige Gefahren mit sich?

Der Facharzt aus Berlin zeigte sich gegenüber SCHWULISSIMO auch erzürnt über Aussagen, die zuletzt online die Runde machten – immer wieder wurde schwulen, sexuell aktiven Männern geraten, sie sollten dann halt einfach das Kondom nehmen. „Mal abgesehen davon, dass auch das Kondom keine hundertprozentige Sicherheit bietet, kann ich meinen Patienten einen solchen Rückschritt doch nicht als Erfolg verkaufen. Ja, natürlich, es mag Medikamente geben, die im Ernstfall noch dringender gebraucht werden als die PrEP, aber darf das unser Argument sein? Ich bin ein Arzt für meine Patienten und es ist nicht meine Aufgabe, sie zu belehren, sondern sie in ihren selbstbestimmten Entscheidungen bestmöglich zu begleiten und zu beraten. Noch dazu, selbst wenn ich ähnlich argumentieren und sagen würde: Nehmt doch einfach Kondome, Jungs – da weiß ich doch, das wird nur bedingt klappen. Alles andere ist schlicht Realitätsverweigerung. Wenn wir die Versorgungslage bei der PrEP weiter radikalisieren lassen, wird das nicht nur vermutlich zu erneut mehr HIV-Neuinfektionen führen, sondern vor allem die immer noch vorhandene Stigmatisierung von PrEP von neuem befeuern. Das ist nicht nur fatal, sondern hat langfristig auch den größeren Schaden!“  

PrEP-Stigmatisierung unter schwulen Männern

Und in der Tat gibt es genau hier immer wieder Probleme: Die Stigmatisierung der PrEP ist in der breiten Gesellschaft sowie auch in der Gay-Community selbst so hoch, dass eine hohe Anzahl von schwulen Männern noch immer davon abgehalten wird, die Präventiv-Tablette zum Schutz gegen eine HIV-Infektion überhaupt einzunehmen. Zu diesen Ergebnissen kam erst 2023 eine neue Studie aus Frankreich. HIV-Experten aus Deutschland bestätigten daraufhin, die neusten Fakten seien „auffallend“. Die Forscher befragten rund 2.500 Personen, die an einer HIV-Präventionsstudie in der Île-de-France, Frankreich, teilnahmen. Die Studie, die 2017 begann, bietet Menschen mit hohem HIV-Risiko Kondome, PrEP, HIV- und STI-Tests, HIV-Behandlung bei Bedarf, Beratung und Unterstützung an. Etwa die Hälfte der Befragten nahm die PrEP ein. Die meisten der befragten Personen waren dabei schwule Männer mit einem hohen Bildungs- und Einkommensniveau. Ein Drittel (33 %) der Teilnehmer war der Meinung, dass die Einnahme der PrEP dazu führen könnte, dass andere ein negatives Bild von ihnen haben. Jüngere Teilnehmer und solche mit einem geringeren Selbstwertgefühl oder einem höheren Maß an Depressionen vertraten diese Ansicht mit noch größerer Wahrscheinlichkeit. Konkret bedeutet das: Seitdem die PrEP verfügbar ist, hat das Stigma viele schwule und bisexuelle Männer davon abgehalten, sie einzunehmen oder beizubehalten. PrEP-Nutzer, die über eine gute psychische Gesundheit verfügen und Ermutigung bei Freunden oder dem Partner erfahren, sprechen sich hingegen eher für die Einnahme aus. Dabei betont das Forscherteam: „Es ist wichtig zu verstehen, wie weit verbreitet diese negativen Ansichten über die PrEP sind und was hinter diesen Einstellungen stecken könnte.“

Für HIV-Dienste bedeutet das, es besteht ein akuter Bedarf an HIV-Präventionskampagnen, die ein positives Bild der PrEP und der Menschen, die sie einnehmen, vermitteln. „Diese Kampagnen werden wahrscheinlich wirksam sein, wenn sie sich auf die positiven Aspekte der PrEP konzentrieren, wie zum Beispiel die gesteigerte Lust beim Sex und die positiven Gefühle, die Menschen haben, wenn sie auf ihre Gesundheit achten. Dies kann wirksamer sein als die Fokussierung auf die Risiken der Nichtanwendung der PrEP, da diese negativen Assoziationen die Stigmatisierung weiter verstärken könnte“, so das französische Forscherteam. Man müsse dabei deutlich gezielter schauen, wer mit welcher Kampagne angesprochen werden soll. Im besten Fall erzielt eine positive Botschaft dabei in mehrfacher Hinsicht ein Umdenken: „Die gezielte Ansprache einer HIV-gefährdeten Gruppe könnte dazu beitragen, die Einstellung zur PrEP in dieser Gruppe zu ändern. Es ist jedoch auch wichtig, das Stigma der PrEP in der breiteren Öffentlichkeit und bei den Angehörigen der Gesundheitsberufe zu bekämpfen. Wenn die negativen Ansichten über die PrEP in diesen Bereichen fortbestehen, wird das Stigma weiter kursieren“, so die Experten abschließend. Alles Maßnahmen, die allerdings sofort wieder verpuffen, wenn die PrEP selbst dann aufgrund von Engpässen nicht erhältlich ist.

PrEP-Angebot noch immer mangelhaft

Dazu kommt, dass die Versorgung mit der PrEP in Teilen Deutschlands noch immer mehr als mangelhaft ist, denn bis heute steht das Medikament nicht flächendeckend zur Verfügung. Viele Ärzte gerade im kleinstädtischen oder ländlichen Raum scheuen so noch die verpflichtenden und kostenintensiven Zusatzqualifikationen, die sie zwingend absolvieren müssen, bevor sie die PrEP überhaupt verschreiben dürfen. Nicht gerade wenigen interessierten schwulen Männern bleibt die PrEP somit weiterhin verwehrt, weil sie eine teilweise stundenlange Anfahrt in eine größere Stadt zum nächsten HIV-Schwerpunktarzt in Kauf nehmen müssten – und das mindestens alle drei Monate für die regelmäßigen Checkups. Das ist für viele allein schon aus beruflichen Gründen nur schwer möglich. Dazu kommt, dass inzwischen einige zugelassene Schwerpunktpraxen schlicht aus Termingründen gar keine neuen Patienten mehr aufnehmen oder auf monatelange Wartezeiten verweisen. Es mag ein wenig seltsam anmuten, dass sowohl die Ampel-Regierung wie auch politische Vertreter von HIV-Schwerpunktstädten immer wieder betonen, dass sie wie von der Weltgesundheitsorganisation WHO angepeilt, bis 2030 HIV beendet haben wollen – also keine Neu-Infektionen mehr verzeichnen wollen –, dann aber offenbar an logistischen und ganz praktischen Umsetzungen scheitern. Andere Länder wie Australien sind hier schon viel weiter und haben sowohl die Vergabe wie auch den Zugang zur PrEP radikal vereinfacht – mit großem Erfolg. Laut der University of New South Wales wurden in Australien 2022 nur noch 555 neue HIV-Infektionen binnen eines Jahres verzeichnet. Damit haben sich die Fallzahlen innerhalb eines Jahrzehnts nahezu halbiert, im Jahr 2012 waren noch weit über 1.000 neue Infektionen jährlich festgehalten worden. Zum Vergleich: Für das Jahr 2022 geht das RKI derzeit von 1.900 Neu-Infektionen in der Bundesrepublik aus, 100 Menschen mehr als noch 2021. Besonders auffällig dabei: Die Fallzahlen unter schwulen und bisexuellen Männern stagnieren, während die Neu-Infektionen unter Heterosexuellen weiter zunehmen. Trotzdem sind in der Mehrzahl nach wie vor schwule und bisexuelle Männer vom Virus betroffen, sie machen rund 1.000 Fälle oder 53 Prozent aus. Bei heterosexuellem Sex infizierten sich etwa 27 Prozent, weitere 19 Prozent bekamen HIV durch intravenösen Drogengebrauch. Insgesamt wurden in Deutschland 2022 bei 3.239 Menschen HIV diagnostiziert, eine Zunahme um 1.000 Fälle (Quelle Statista). Ein weiteres Problem, der durch einen Engpass befeuert wird: Für viele heterosexuelle Männer ist die Einnahme der PrEP ganz offensichtlich noch immer ein „Schwulending“ – eine fatale Fehlannahme. Zeigt jetzt der Engpass längerfristig Auswirkungen, dürften die Chancen weiter schwinden, auch heterosexuelle, sexuell aktive Menschen für die Präventionstablette zu interessieren. Am Ende geht der Blick zurück nach Berlin – die zuständigen Minister müssen schnellstmöglich handeln, ansonsten könnte der Engpass bei der PrEP langfristig fatale Auswirkung auf die HIV-Bekämpfung in der gesamten Bundesrepublik haben.

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