Ein neues Männerbild? Zwei neue Studien belegen noch immer rückständige Männlichkeitsideale in der Gesellschaft
Gewalt und verbale Angriffe gegen Homosexuelle – noch immer gehen diese zumeist von anderen heterosexuellen Männern aus. Neben religiösen Motivationsgründen bereiten dabei auch nach wie vor tradierte Männlichkeitsbilder große Probleme, die vermeintlich der Lebenswelt von Schwulen widersprechen. Doch müssten wir im Jahr 2023 nicht endlich ein Stück weiter sein, wenn es um Fragen der Wahrnehmung von Männlichkeit geht? Leider nicht, wie jetzt zwei neue Studien aus Großbritannien und Deutschland aufzeigen.
Das Bild vom starken Mann
Das britische Meinungsforschungsinstitut YouGov veröffentlichte jetzt eine neue Befragung von rund 4.000 Briten und das Ergebnis spricht Bände: Viele heterosexuelle Männer haben nach wie vor massive Probleme im Umgang mit anderen Männern, sogar unabhängig davon, ob diese tatsächlich schwul sind oder nicht. Das Klischee vom vermeintlich starken Mann, der keine Gefühle zeigen darf, scheint noch immer weit verbreitet zu sein.
Mitunter erscheint es banal, offenbart aber doch ein eigenwilliges Verständnis von Männlichkeit. So hat beispielsweise jeder dritte (31 %) britische Mann im Vereinigten Königreich ein Problem mit der Farbe Rosa und würde auch keineswegs rosa gefärbte Kleidung tragen. Vor einem anderen Mann zu weinen, kommt für 48 Prozent der britischen Jungs nicht in Frage. In einem gleichgeschlechtlichen Umkleideraum fühlen sich 49 Prozent bis heute unwohl. Ebenso Unbehagen bereitet es 42 Prozent der Männer, einem Freund zu berühren, beispielsweise, um ihm Sonnencreme auf den Rücken aufzutragen.
Direkt nach dem Umgang mit Schwulen befragt, gaben 44 Prozent der männlichen Befragten an, sich unwohl in einer Gay-Bar zu fühlen, doppelt so viele wie bei den Frauen. Die älteren Briten ab 65 Jahren lehnen einen solchen Besuch sogar mit deutlicher Mehrheit (59 %) ab.
Bitte keine Gefühle zeigen!
Die Studienergebnisse decken sich mit Daten aus den letzten Jahren, bereits 2019 erklärten 45 Prozent der 18- bis 34-Jährigen gegenüber der Männergesundheitsorganisation Movember, dass sie es vermeiden, über Probleme zu sprechen, weil sie fürchten, weniger männlich zu wirken. Die Mehrheit (54 %) vertritt bis heute die Meinung, dass Männlichkeit bedeutet, emotional und körperlich stark sein zu müssen und keine Gefühle zu zeigen – und da passt das Klischeebild des Schwulen noch immer nicht hinein.
„Gefühle in Flaschen abzufüllen ist nicht der beste Weg, um mit psychischen Problemen umzugehen. Deshalb müssen wir diese überholten Vorstellungen, die Männern schaden, weiter bekämpfen", so der Movember-Direktor für psychische Gesundheit, Brendan Maher. Die jüngste Studie hält abschließend fest: „Es ist besorgniserregend, dass sich junge Männer im Vereinigten Königreich immer noch unter Druck gesetzt fühlen, den uralten männlichen Stereotypen zu entsprechen.“
Tradiertes Männlichkeitsbild erschwert Coming-Out
Diese alten Stereotypen, die gerade schwulen Jugendlichen bis heute auch das Coming-Out massiv erschweren, sind auch in Deutschland noch weit verbreitet, wie der jüngste Väterreport unter anderem festhält, der gestern von Bundesfamilienministerin Lisa Paus veröffentlicht wurde. Zwar gebe es deutliche Entwicklungen hin zu einer Gleichberechtigung auch bei der Vaterrolle und der damit verbundenen Definition von Männlichkeit, doch zeigt der Report auch auf, dass es noch immer althergebrachte Denkmuster gibt.
Erziehung ist beispielsweise für rund die Hälfte der Väter noch immer verstärkt Aufgabe der Mutter und ein Drittel von ihnen lebt nach wie vor gewollt das Modell des alleinigen Familienernährers vor. Beide Studien zeigen so bei allem Fortschritt auf, dass es noch viel Luft nach oben gibt, wenn es um das Männlichkeitsbild in der Gesellschaft geht – ein Fortschritt in diesem Bereich könnte dabei nicht nur das noch immer schwere Coming-Out von jungen Homosexuellen erleichtern, sondern vielleicht auch langfristig Hasskriminalität gegenüber LGBTI*-Menschen schrittweise ein Stück weit minimieren.