Selbstbestimmungsgesetz kommt! Kritik kommt von Befürwortern und Gegnern
Das Bundeskabinett hat heute Mittag den aktuellen Entwurf des Selbstbestimmungsgesetzes (SBGG) verabschiedet und damit den Weg frei gemacht für die parlamentarische Beratung des Entwurfs; das Gesetz selbst soll im November 2024 in Kraft treten kann.
Bundesfamilienministern Lisa Paus (Grüne) erklärte dazu heute Mittag: „Die Verabschiedung des Entwurfs zum Selbstbestimmungsgesetz durch das Bundeskabinett ist ein großer Moment für trans* und intergeschlechtliche Menschen in Deutschland. Das Grundgesetz garantiert die freie Entfaltung der Persönlichkeit und die Achtung der geschlechtlichen Identität. Trotzdem wurden die Betroffenen mehr als 40 Jahre lang durch das Transsexuellengesetz diskriminiert. Damit ist jetzt endlich Schluss.“
Buschmann will unwürdigen Zustand beenden
Des Weiteren sagte Paus: „Mit dem Selbstbestimmungsgesetz verwirklichen wir das Recht jedes Menschen, in seiner Geschlechtsidentität geachtet und respektvoll behandelt zu werden. Das Selbstbestimmungsgesetz dient dem Schutz lang diskriminierter Minderheiten und ist ein gesellschaftspolitischer Fortschritt. Dafür steht diese Bundesregierung.“
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) ergänzte: „Das Selbstbestimmungsgesetz ist Ausdruck einer Politik, für die die Grundrechte an erster Stelle stehen. Alle Menschen haben ein Recht darauf, dass der Staat ihre geschlechtliche Identität achtet. Und um dieses Menschenrecht geht es uns. Das geltende Recht schikaniert transgeschlechtliche Menschen. Wir wollen diesen unwürdigen Zustand beenden - und zeitgemäße Regeln für die Änderung des Geschlechtseintrags schaffen, wie andere Länder sie längst haben.“
Zu der zeitlichen Abfolge sagte Buschmann weiter, er gehe davon aus, dass der heutige Beschluss im Bundeskabinett das Vorhaben einen wichtigen Schritt näher ans Ziel herangebracht habe. „Und ich bin sehr zuversichtlich, dass auch der Deutsche Bundestag diesem Gesetzentwurf zustimmen wird. Denn wir haben den Entwurf gründlich vorbereitet. Vertragsfreiheit und Hausrecht bleiben gewahrt, so wie es in einer liberalen Rechtsordnung selbstverständlich ist. Möglichkeiten des Missbrauchs - und seien sie noch so fernliegend - haben wir ausgeschlossen. Es ist ein Entwurf, der die Interessen der gesamten Gesellschaft in den Blick nimmt. Und es ist ein Entwurf ganz im Geist des Grundgesetzes. Wenn unser Staat trans- und intergeschlechtliche Menschen endlich mit Respekt behandelt - dann ist das ein Gewinn für alle."
Was regelt das neue Gesetz?
Künftig soll jeder Mensch via einfachen Sprechakt einen Geschlechtswechsel vollziehen können, psychologische Gutachten oder eine medizinische Diagnose einer Geschlechtsdysphorie sind nicht mehr notwendig. Drei Monate nach Antragstellung tritt die Änderung in Kraft, die einmal im Jahr erneut geändert werden kann. Eltern können für ihre Kinder unter 14 Jahren eine Personenstandsänderung ohne weitere nötige Angaben oder Gutachten von Experten durchführen lassen, ab dem 14. Lebensjahr entscheidet der Jugendliche selbst darüber, es bedarf aber der Zustimmung der Eltern oder im Bedarfsfall ansonsten dem Weg über das Familiengericht.
Zudem wurde ein Offenbarungsverbot vereinbart, um Personen vor einem Zwangsouting zu schützen. So ist es künftig verboten, frühere Geschlechtseinträge oder Vornamen auszuforschen und zu offenbaren. Wird eine betroffene Person durch die Offenbarung absichtlich geschädigt, so soll der Verstoß bußgeldbewehrt sein bis zu einer Höhe von 10.000 Euro. Ein generelles Verbot des sogenannten „Misgenderns“ oder „Deadnamings“ ist im Entwurf für das Selbstbestimmungsgesetz allerdings nicht mehr vorgesehen oder geregelt.
Bedenken des Bundesinnenministeriums
Zuletzt hatte das Bundesinnenministerium zu bedenken gegeben, dass bei einem Geschlechtswechsel Kriminellen die Möglichkeit gegeben wird, sich der Strafverfolgung zu entziehen. Um dies künftig zu vermeiden, sind die Ämter deswegen in Zukunft dahingehend angewiesen, alle relevanten Daten einer Person mit dem Wunsch einer Personenstandsänderung an die betreffenden Behörden weiterzuleiten, beispielsweise dem Bundeskriminalamt, der Polizei und dem Verfassungsschutz wie auch dem Flüchtlingsamt. Liegen hier keine aktuellen Verfahren oder Bedenken vor, sollen die übermittelten Daten wieder gelöscht werden.
Stärkung von Haus- und Vertragsrecht
Mit Blick auf Frauenschutzräume wie beispielsweise Saunen oder Fitnessstudios findet sich im neuen Gesetzestext eine Stärkung der Betreiber, die geschützt durch das Hausreicht sowie das Vertragsrecht künftig eigenverantwortlich entscheiden sollen dürfen, ob eine Trans-Frau ebenso Zutritt zu den Einrichtungen bekommt oder nicht. Das grundsätzliche Anti-Diskriminierungsgesetz habe trotzdem weiterhin Gültigkeit. Mit dem Inkrafttreten des neuen SBGG soll das bisherige Transsexuellengesetz aus dem Jahr 1980 gestrichen werden.
Kritik von Befürwortern und Gegnern
Die Reaktionen fallen aktuell sehr gemischt aus, Kritik kommt dabei sowohl von Befürwortern wie Gegnern des Vorhabens. Kalle Hümpfner vom Bundesvorstand Trans* nennt den Schritt gegenüber der Tagesschau „historisch“ und einen „sehr großen Schritt“, damit werde die gesellschaftliche Vielfalt als selbstverständlicher Teil der Gesellschaft mehr wahrgenommen.
Kritisch betrachten hingegen sowohl der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) sowie auch die Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, Ferda Ataman, den aktuellen Stand. Ataman erklärt bei Zeit Online, dass der Gesetzentwurf ungenügend sei und nachgebessert werden müsse, in seiner aktuellen Form würde er Diskriminierungen begünstigen und Vorurteile eher bestärken. Falsch findet Ataman auch, dass Ausländer eine Änderung ihres Geschlechtseintrags nur beantragen können, wenn ihr Aufenthaltstitel nicht innerhalb der kommenden zwei Monate ausläuft. Auch die Stärkung der Rechte von Betreibern frauenspezifischer Einrichtungen hält die Bundesbeauftragte für einen Fehler, denn es sei zu befürchten, dass Trans-Frauen ihr Geschlecht nicht leben könnten, weil sie beispielsweise nicht „weiblich genug“ aussehen würden.
Mara Geri aus dem Vorstand des LSVD übt inhaltlich ähnliche Kritik, gegenüber Welt Online spricht Geri von „transfeindlichen Untertönen“ im neuen Gesetzestext und fordert ebenso Nachbesserungen. Der Verein geht davon aus, dass künftig geschätzt rund 5.000 Personen jährlich einen Geschlechtswechsel vollziehen lassen werden. Dabei wünscht sich der LSVD auch, dass bei Jugendlichen ab 14 Jahren ein Geschlechtswechsel ohne Zustimmung der Eltern möglich sein sollte.
Verbände und Politik
Kritik kommt auch von mehreren Frauenverbänden und Feministinnen wie beispielsweise Emma-Chefin Alice Schwarzer. Sie spricht von einer „ideologischen Kopfgeburt“, die zu einer „gesellschaftlichen Bombe“ werde und dabei schwere seelische, körperliche und soziale Schäden anrichten wird. Schwarzer ist davon überzeugt, dass das Gesetz allerspätestens vom Verfassungsgericht gestoppt wird.
Auch mehrere schwul-lesbische Verbände halten das Gesetzesvorhaben für falsch, beispielsweise der Verein Just Gay. Gründer Florian Greller: „Wir werden es nicht einfach hinnehmen und solange demokratisch kämpfen, bis Lösungen der Vernunft verabschiedet werden, die gemeinsam getragen werden und nicht eine Gruppe privilegiert (…) Weltweit wir die Schwulenrechtsbewegung reaktiviert, die Frauenrechtsbewegung erlebt ein Comeback. Die Abschaffung von ´Sex´ als rechtliche Kategorie können, wollen und werden wir nicht akzeptieren. Dieses Gesetz ist homophob, gefährdet massiv die Rechte von Frauen, ist Transsexuellen-feindlich und schränkt die Meinungsfreiheit ein (…) Es wäre gut gewesen, wenn der Gesetzgeber ein Gesetz verfasst hätte, das alle mitnimmt, anstatt nur ihr Klientel im Auge hat.“
Politisch findet das neue Gesetzesvorhaben seitens der Grünen, FDP, SPD und Linke in weiten Teilen Zuspruch, Kritik kommt hier von der Union, der AfD und den Freien Wählern. Aus Sicht der familienpolitischen CDU-Sprecherin Silvia Breher wird bei Kindern und Jugendlichen in nicht verhältnismäßiger Weise in das grundrechtlich geschützte Erziehungsrecht der Eltern eingegriffen. Dabei bezieht sich Breher vor allem auf jenen Passus im Gesetzestext, der festlegt, dass das „Familiengericht die Erklärung des Sorgeberechtigen dann ersetzen oder den Sorgeberechtigten das Sorgerecht für diese Angelegenheit teilweise entziehen“ kann, wenn sich die Eltern uneinig sind oder nicht ihre Zustimmung zu einem gewünschten Geschlechtswechsel seitens des Kindes geben wollen. Die Ampel-Regierung würde dabei außerdem die Bedenken von Kinder- und Jugendpsychiatern einfach ignorieren.
Erste Reaktion des queer-politischen Sprechers der FDP
Der queer-politische Sprecher der FDP, Jürgen Lenders, erklärte in einer ersten Stellungnahme: „Der unnötigen Schikane durch externe Gutachten und Gerichtsverfahren setzen wir mit dem Selbstbestimmungsgesetz ein Ende. Das ist ein großer Fortschritt. Über die geschlechtliche Identität eines Menschen kann niemand besser urteilen als dieser Mensch selbst (…) In einer ohnehin schon schwierigen Lebenssituation sollte der Staat nicht gängeln, sondern Freiheitsrechte von transgeschlechtlichen, intergeschlechtlichen und nichtbinären Menschen stärken. Für das parlamentarische Verfahren wünsche ich mir eine sachliche Diskussion und dass wir mehr aus der Sicht der Betroffenen denken. Trans*-Rechte gehen uns alle an, wir können im Alltag dazu beitragen Vorurteile und Klischees gegenüber Trans*Personen zu hinterfragen und abzubauen. Natürlich muss sich der Gesetzgeber immer auch fragen, ob ein Gesetz Schwächen und Lücken hat, ob es eventuell missbraucht werden kann - wie es ja in Bezug auf das Selbstbestimmungsgesetz oftmals befürchtet wird. Zu betonen bleibt: der vorgelegte Entwurf stellt klar, dass das Hausrecht und die Privatautonomie gewahrt bleiben und lässt Raum für sachgerechte Differenzierungen.“
Lehmann kritisiert Inkrafttreten erst zum November 2024
Der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann, erklärt dazu: „Der heutige Tag ist historisch, denn erstmals beschließt eine Bundesregierung einen Gesetzentwurf, um das über 40 Jahre alte und in großen Teilen verfassungswidrige Transsexuellengesetz (TSG) abzuschaffen und die rechtliche Anerkennung von transgeschlechtlichen, intergeschlechtlichen und nicht-binären Menschen zu verbessern. Die Verhandlungen zwischen den Ministerien waren langwierig, deswegen bin ich froh, dass wir nun endlich einen Schritt weiter sind.“
Dabei sagt Lehmann zu den mehrfachen Verzögerungen zudem: „Der Gesetzentwurf der Regierung ist ein Kompromiss zwischen verschiedenen Ministerien mit unterschiedlichen Interessen. Neue Passagen wie die zum Offenbarungsverbot gehen auf das Innenministerium zurück. Menschen, die von Sicherheitsbehörden gesucht werden, können das Gesetz nicht missbrauchen, um mit einer Änderung von Personenstand und Vornamen ihre Auffindbarkeit zu erschweren. Hier muss unbedingt sichergestellt werden, dass nur bereits bestehende Datensätze aktualisiert werden. Liegt den Sicherheitsbehörden kein Eintrag zu einer Person vor, müssen diese persönlichen Daten wie im Gesetz vereinbart sofort gelöscht werden.“
Für Lehmann ist es machbar, dass der Bundestag das Selbstbestimmungsgesetz noch in diesem Jahr verabschiedet. Dabei empfindet Lehmann das geplante, laut Innenministerium frühestmögliche Inkrafttreten zum November 2024 als verspätet: „Selbst wenn Zeit für die erforderlichen Anpassungen des Personenstandswesens eingeplant werden muss, ist ein Inkrafttreten im November 2024 aus meiner Sicht zu spät. Es muss geprüft werden, ob ein Inkrafttreten beschleunigt werden kann. Die Betroffenen haben lange genug gewartet.“
Vom Selbstbestimmungsgesetz zum Misstrauensgesetz
Kritisch bewertet die queer-politische Sprecherin der Linken, Kathrin Vogler, das aktuelle Gesetz – aus dem SBGG sei ein „Misstrauensgesetz“ geworden, sagt Volger, auch wenn sie das grundsätzliche Vorhaben befürwortet: „Gleichzeitig jedoch spiegeln die vielen einschränkenden Regelungen im Gesetz den Geist des Misstrauens gegenüber den Betroffenen wider. Damit ist der heute endlich im Bundeskabinett beschlossene Entwurf des Selbstbestimmungsgesetzes leider nicht der erhoffte große Wurf. Dass das Gesetz erst im November kommenden Jahres in Kraft treten soll, ist völlig indiskutabel.“
Zudem sagt Vogler: „Das sehr ausführliche Gesetz ist in den Bestimmungen und der Begründung widersprüchlich und enthält Einschränkungen insbesondere beim Hausrecht, die keine Klarheit schaffen, sondern Misstrauen ausdrücken. Dass generell die persönlichen Daten zur Änderung des Geschlechtseintrags an den Verfassungsschutz, die Bundespolizei, das Bundeskriminalamt, das Bundesflüchtlingsamt und weitere Behörden weitergegeben werden sollen, ist höchst bedenklich. Ich bezweifle, dass diese und weitere Regelungen grundrechtskonform sind, und werde im parlamentarischen Verfahren darauf hinwirken, dass dies noch verändert wird. Ein Gesetz, das höchstrichterlich korrigiert werden müsste, wäre ein schlechtes Gesetz.“
Außerdem mahnt Vogler an, dass es jetzt auch bei der medizinischen Versorgung deutliche Verbesserungen geben müsste: „Diese darf das Gesundheitsministerium unter Karl Lauterbach nicht weiter auf die lange Bank schieben.“