Urteil gegen Polen Polen muss gleichgeschlechtliche Ehen, die im Ausland geschlossen wurden, anerkennen!
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat jetzt sein Urteil gegen Polen im Rechtsstreit um zwei homosexuelle Paare gesprochen – das Land muss die Ehen der zwei Paare anerkennen. Bisher hat die polnische Regierung sich unter Berufung auf das Landesrecht dagegen gewehrt.
Neues Urteil gegen Polens Weigerung
Der Fall betraf zwei gleichgeschlechtliche polnische Paare, die in Großbritannien beziehungsweise in Dänemark geheiratet hatten und anschließend bei den polnischen Behörden die Registrierung ihrer, im Ausland geschlossenen Ehen beantragten. Die Behörden lehnten die Anträge mit der Begründung ab, dass die Eintragung ihrer Ehen gegen die polnische Rechtsordnung verstoßen würde, die nur Ehen zwischen heterosexuellen Paaren zulässt. Diese Entscheidung hatte weitreichende negative Folgen für die zwei homosexuellen Paare, beispielsweise bei der Krankenversicherung oder auch im Steuerrecht, weswegen die Sachlage schlussendlich vor dem EGMR landete.
Der Gerichtshof entschied jetzt, dass die polnischen Behörden mit ihrer Weigerung zur Registrierung die zwei homosexuellen Paar in einem „rechtlichen Vakuum zurückgelassen haben und nicht für die zentralen Bedürfnisse der Anerkennung und des Schutzes gleichgeschlechtlicher Paare in einer stabilen und festen Beziehung gesorgt haben.“
Dazu allerdings ist Polen verpflichtet, zum einen durch das Grundsatzurteil von 2023, das klarstellte, dass die Regierung mit seiner Weigerung gegen Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention verstößt, zum anderen durch das Coman-Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union aus dem Jahr 2018, das die EU-Mitgliedstaaten verpflichtet, gleichgeschlechtliche Paare bei der Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit in der EU genauso zu behandeln wie andersgeschlechtliche Paare.
Freude bei LGBTI*-und Menschenrechtsverbänden
Die ILGA-Europe, die Internationale Föderation für Menschenrechte (FIDH), das Netzwerk der europäischen LGBTIQ*-Familienverbände (NELFA) und die Europäische Kommission für das Recht der sexuellen Orientierung (ECSOL) begrüßten das Urteil des EGMR. Marie-Hélène Ludwig von ILGA-Europe dazu: „Das heutige Urteil ist ein weiterer wichtiger Schritt in Richtung Anerkennung und Schutz gleichgeschlechtlicher Paare in Polen, unabhängig davon, ob sie im Ausland verheiratet sind oder ihre Ehe in Polen legalisieren wollen.“
„Das heutige Urteil zeigt einmal mehr, dass Polen aufgrund des fehlenden rechtlichen Schutzes und der fehlenden Anerkennung gleichgeschlechtlicher Paare die Standards des Europarates zum Schutz der Menschenrechte nicht einhält. Polen sollte nicht länger einer der wenigen Mitgliedstaaten des Europarats sein, die gleichgeschlechtliche Paare nicht anerkennen. Dieses Urteil ist ein wichtiges Argument für die Einführung von zivilen Lebensgemeinschaften und der Gleichstellung der Ehe in Polen.“, so Annamaria Linczowska von der Rechtsorganisation Advocacy.
Und Milena Adamczewska-Stachura vom Verein „Liebe schließt nicht aus“ ergänzt: „Das heutige Urteil ist ein Weckruf für die polnische Regierung, der sie daran erinnert, dass der unveränderte, vollständige Mangel an Schutz für gleichgeschlechtliche Paare gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstößt.“ Helmut Graupner, Co-Koordinator von ECSOL, wies darauf hin, dass „dies das zweite Mal ist, dass Europas höchstes Menschenrechtsgericht klargestellt hat, dass Polen gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstößt, indem es gleichgeschlechtlichen Paaren die formale Anerkennung ihrer Partnerschaft verweigert. Dies sollte Polen dazu veranlassen, die europäischen Mindeststandards im Bereich der Menschenrechte zügig zu erfüllen.“
Kampf geht weiter
Daniel Martinović, Präsident der NELFA, betonte außerdem: „Dieses Urteil sollte als Leuchtfeuer der Hoffnung und Stärke für alle queeren Familien dienen und uns dazu anspornen, weiterhin für eine integrativere und sichere Zukunft zu kämpfen, in der unsere Beziehungen anerkannt, respektiert und geschützt werden.“
Im Dezember 2023 kündigte der neue polnische Ministerpräsident Donald Tusk an, dass ein Gesetzentwurf zur Legalisierung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften Anfang 2024 eingebracht und erörtert werden soll. Dieser Gesetzentwurf wurde im Juli 2024 auf die Tagesordnung der Regierung gesetzt. Im Sommer dieses Jahres wurden erneut außerdem die Forderungen innerhalb der LGBTI*-Community laut, das neue Gesetz endlich zeitnah in Angriff zu nehmen.