Ukraine: Versorgung bricht zusammen Kliniken schließen, Medikamente können nicht gefahrlos geliefert werden
Die Situation in der Ukraine spitzt sich seit Tagen immer mehr zu – davon betroffen sind jetzt in besonderem Maße auch HIV-Positive. Dabei ist die Situation in der Ukraine eine besonders schwierige, das Land gehört seit Jahren zum HIV-Hotspot in ganz Europa. Durch den russischen Angriffskrieg mussten in dieser Woche weitere Kliniken schließen; LGBTI*-Aktivisten vor Ort berichten, dass die Versorgung mit HIV-Medikamenten in den meisten Teilen des Landes zusammengebrochen ist, besonders natürlich in den Ballungszentren des Landes, in denen auch die meisten queeren HIV-positiven Menschen leben.
Wie wichtig gerade in der Ukraine die lückenlose Versorgung mit HIV-Präparaten wäre, bestätigte jüngst auch die Organisation UNAIDS. Demnach ist die Ukraine weltweit das einzige Land, in welchem die Zahl der HIV-Neuinfektionen binnen der letzten zehn Jahre massiv angestiegen ist (rund 40 Prozent). UNAIDS schätzt, dass derzeit zwischen 260.000 und 330.000 Ukrainer HIV-positiv sind. Zum Vergleich: In Deutschland leben aktuell rund 90.000 Menschen mit der Diagnose HIV.
Besonders betroffen bereits seit der Jahrtausendwende sind die Regionen im Süden und im Osten der Ukraine. Die Hauptursache für die epidemische Ausbreitung ist nach Aussagen von Fachleuten der Zusammenbruch der Sowjetunion. Infolgedessen mussten viele Betriebe schließen, es kam zu massenhafter Arbeitslosigkeit. Die Armut trieb viele Ukrainer in die Drogensucht, bei der sich schlussendlich durch unsaubere Nadeln auch mit HIV infizierten. Die Perspektivlosigkeit gerade für junge und queere Menschen sorgte zusammen mit der steigenden Prostitution in den großen Städten für einen weiteren Anstieg der Infektionszahlen. So infizierten sich die meisten Menschen statistisch gesehen zu gleichen Teilen über Drogenspritzen und Sexualverkehr.
Die Ukraine hat in den letzten zwanzig Jahren versucht, die Zahl der HIV-Positiven zu senken und Präventivmaßnahmen durchzusetzen. Dabei gab es mit Blick auf die ersten Jahre des neuen Jahrtausends durchaus auch Erfolge zu vermelden: 2005 gab es noch rund 400.000 Ukrainer mit HIV. In den letzten Jahren konnte zudem auch die Zahl der Todesfälle gesenkt werden und immer mehr Menschen bekamen eine Behandlung mit HIV-Medikamenten. Diese mühsam erarbeiteten Erfolge liegen nun allesamt brach. Der aktuelle Gesundheitsstatus der ehemaligen HIV-Patienten kann beinahe landesweit nicht mehr kontrolliert werden und trotz zahlreicher Bemühungen von Ärzten und Klinikbetreibern ist die Betreuung und Versorgung mit dringend benötigten Medikamenten für HIV-Patienten weitestgehend zusammengebrochen. Nur noch vereinzelt können Infizierte behandelt werden, zumeist nicht adäquat, sondern in notdürftig eingerichteten, provisorischen Behandlungsräumen in Kellergeschossen.
Ein weiteres Problem nebst der allgemeinen Versorgungslage ist die Tatsache, dass immer weniger antiretrovirale Medikamente überhaupt noch im Land ankommen – auch hier bricht die Zulieferung nach und nach zusammen beziehungsweise ist vielerorts schlicht zu gefährlich geworden. Verschiedene Hilfsorganisationen haben zwar bereits mehrere hunderttausend Packungen mit antiretroviralen Medikamenten nach Polen geliefert, um von dort aus nach und nach in der Ukraine verteilt zu werden – das kann aber nur gelingen, wenn sichere Korridore im Landesinneren eine gefahrlose Anlieferung ermöglichen, was derzeit nur selten gegeben ist. HIV-Ärzte sehen in der Unterbrechung bei der Einnahme von HIV-Medikamenten zudem die Gefahr, dass sich dadurch in den betroffenen Menschen resistente HIV-Stämme bilden und der Virus mutieren könnte.