Trans-Gesetz in Spanien Kritiker, Experten und Ärzte enttäuscht
Das Parlament in Spanien hat heute ein neues Selbstbestimmungsgesetz verabschiedet, das jetzt zur finalen Abstimmung in den Senat geht. Mit 188 zu 150 Stimmen votierten die Abgeordneten mehrheitlich für die Einführung der neuen Richtlinien, die es künftig Minderjährigen ab 12 Jahren in unterschiedlichen Abstufungen gestatten soll, ihr Geschlecht zu ändern. Bis zuletzt stand die Reform unter massiver Kritik. Das neue Gesetz soll zeitnah im Frühjahr 2023 in Kraft treten.
Geschlechtsänderung ab 12 Jahren
Konkret sieht das neue Gesetz vor, dass Kinder unter zwölf Jahren bereits ihren Wunsch-Vornamen bestimmen dürfen, den Lehrer und die Schule auch verwenden sollen. Im Alter von 12 und 13 Jahren entscheidet zwingend das Familiengericht über eine Geschlechtsänderung in allen offiziellen Dokumenten. Zwischen dem 14. und 16. Lebensjahr können dies die Minderjährigen bereits eigenständig tun, entweder mit Zustimmung der Eltern oder ansonsten abermals über den Weg des Familiengerichts. Ab dem 16. Lebensjahr bedarf ein Jugendlicher keinerlei Zustimmung mehr und kann frei via Sprachakt die Geschlechtsänderung beim Amt vornehmen. Bisherige nötige medizinische beziehungsweise therapeutische Abklärungen und Diagnosen, ob tatsächlich eine Geschlechtsdysphorie vorliegt oder nicht, entfallen komplett.
Hohe Geldstrafen für Konversionstherapien
Neben dem Selbstbestimmungsgesetz umfasst das Gesetzpaket insgesamt 77 Artikel, die umfassend die Lage von LGBTI*-Menschen in Spanien verbessern sollen. Ein Punkt ist dabei auch das Verbot von Konversionstherapien inklusive von Trans-Personen – bei Verstößen sind Geldbußen bis zu 170.000 Euro geplant. Ein weiterer Aspekt sieht die Wiedergutmachung von Diskriminierung und Gewalt aufgrund von Homophobie vor. Darüber hinaus muss das Gesundheitsministerium künftig gewährleisten, dass die ausreichende Versorgung von Trans-Personen mit Arzneimitteln, die bei Hormonbehandlungen verwendet werden, immerzu gewährleistet werden kann.
Keine Gelder an LGBTI*-feindliche Unternehmen
Ebenso angedacht ist eine Inklusionsverfahren für Trans-Personen in weitreichenden Teilen des Lebens, von der Arbeit bis zur Wohnung. Zudem sollen LGBTI*-Menschen in allen Aspekten des Lebens, beispielsweise auch bei der Wohnungssuche, nicht mehr diskriminiert werden dürfen. Unternehmen mit mehr als fünfzig Angestellten müssen ein Anti-Diskriminierungskonzept erarbeiten lassen und dem Staat selbst soll in Zukunft untersagt sein, eine Firma weiterhin finanziell zu unterstützen oder Aufträge an diese zu verteilen, wenn das Unternehmen nicht LGBTI*-freundlich ist.
Kritik von Fachärzten und Medien
Das geplante Selbstbestimmungsgesetz war in den vergangenen Wochen massiver Kritik ausgestzt. Gleichstellungs-Ministerin Irene Montero hatte, so ein Vorwurf, das Gesetzesvorhaben schnellstmöglich durch alle Instanzen geboxt, auch nach der Kritik von Staatsrat und Generalrat, zwei der wichtigsten Beratungsorgane der spanischen Regierung. Einige Medien warfen der Regierung zudem vor, das Gesetz durchzusetzen, ohne fachkundige Ärzte und Psychiater überhaupt dazu zu befragen oder eine öffentliche Diskussion zu ermöglichen. Immer wieder zogen Eltern, Kritiker und Ärzte auf die Straße. Auch die Aufrufe von Frauenschutzorganisationen, die Regierung möge vor der Abstimmung jene Probleme sachlich begutachten, die ein neues Selbstbestimmungsgesetz in Ländern wie Schweden, Finnland oder Großbritannien bereits erzeugt habe, blieben offenbar ungehört.
Bedenken von Fachärzten
Es gab zahlreiche Wortmeldungen von Fachleuten, beispielsweise von der Spanischen Gesellschaft für Psychiatrie, der Madrider Ärztekammer und der Spanischen Vereinigung für Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie der Leitung der Kinder- und Jugendpsychiatrie am Krankenhaus Gregorio Marañón. In diesen wurde meist erklärt, dass eine unreflektierte, geschlechtsangleichende Behandlung Minderjährigen viel “Schmerz und Reue“ bereiten könnte. Ferner verwiesen sie darauf, dass Jugendliche mit dem Wunsch nach einer Geschlechtsumwandlung in vielen Fällen durch soziale Netzwerke dazu ermutigt werden könnten.
Die Angst sei zudem, dass es Ärzten künftig bereits als illegale Konversionstherapie ausgelegt werden könnte, wenn sie Jugendlichen mit dem Wunsch einer Transition andere Alternativen anbieten oder die Selbstdiagnose therapeutisch abklären lassen wollen. Der Chefredakteur und Herausgeber der zweitgrößten Tageszeitung des Landes, El Mundo, hatte dazu in einem drastisch formulierten Kommentar nachgefragt: „Welchen Sinn hat es, dass ein Bürger, der sich wegen Fettleibigkeit operieren lassen oder Sterbehilfe in Anspruch nehmen möchte, ein positives psychologisches Gutachten vorlegen muss, aber nicht, wenn er sein Geschlecht ändern möchte?“
Finale Abstimmung im Senat
Ob alle Aspekte so durchkommen, steht final noch nicht fest. Nach der Verabschiedung im Plenum geht der Gesetzentwurf jetzt an den Senat, wo er im Ausschuss und im Plenum behandelt wird. Der Bundesrat kann den Text in seinem Wortlaut billigen, ihn abändern oder ein Veto einlegen. In den beiden letztgenannten Fällen wird die Initiative vor ihrer endgültigen Verabschiedung noch einmal im Abgeordnetenhaus diskutiert.