STI in Großbritannien Rekordniveau bei Geschlechtskrankheiten; das Gesundheitssystem ist noch immer überfordert.
Die britische Regierung geriet in den vergangenen Jahren immer wieder in die Kritik, weil sie im Gesundheitsbereich nicht schnell und effektiv genug handelte, gerade auch wenn es um Bedürfnisse der LGBTI*-Community ging. Erst im vergangenen Jahr war die teilweise desolate Informations- und Behandlungspolitik beim Ausbruch der Affenpocken im Gespräch. Von London aus hatte sich das Virus in ganz Europa verteilt. Gerade in der Anfangszeit hatten schwule Männer mit einer möglichen Mpox-Infektion dabei stellenweise mehrere Wochen auf Testergebnisse oder Behandlungen warten müssen. Eine neue Studie zeigte nun auf, dass sich die Situation seit 2022 offenbar nicht verbessert hat.
Gesundheitsdienst im Direkttest
Die Menschenrechtsorganisation Terrence Higgins Trust untersuchte in der sogenannten "Mystery-Shopper"-Studie, wie schnell der Gesundheitsdienst in England, Schottland und Wales auf Patienten mit einer möglichen Geschlechtskrankheit (STI) reagieren. Dazu erschufen die Studienleiter unter anderem eine fiktive bisexuelle Frau namens „Gabriela“, die bei Kliniken im ganzen Land um eine persönliche Beratung und einen Behandlungstermin bat. „Gabriela“ gab telefonisch an, dass sie Anfang 20 sei und sowohl mit männlichen wie weiblichen Partnern ungeschützten Sexualverkehr gehabt hätte.
Desaströse Lage an britischen Kliniken
Das bittere Ergebnis: In jedem zweiten Fall (49%) wurde der fiktiven Frau direkt verweigert, überhaupt einen persönlichen Termin wahrnehmen zu dürfen. Die anderen Kliniken boten „Gabriela“ einen Termin mit durchschnittlich zwei Wochen Wartezeit an, in ländlichen Teilen Englands hätte die bisexuelle Frau sogar im Durchschnitt 19 Tage auf einen Termin warten müssen.
Viel Zeit, in der sich das Krankheitsbild einer Geschlechtskrankheit massiv verschlechtern kann und zudem die große Gefahr einer Weitergabe permanent wächst. Auch die Kommunikation ließ landesweit zu wünschen übrig, gerade einmal in zehn englischen Kliniken war es beispielsweise überhaupt möglich, auch online einen Termin zu vereinbaren.
STI-Tests sind noch immer nicht Standard
Auch STI-Tests selbst sind noch immer ein schwieriges Thema auf der Insel – postalische Tests sind vielerorts nicht Standard, in Schottland beispielsweise bietet dies gerade einmal etwas mehr als die Hälfte der Kliniken (56%) überhaupt an. Besser war die Lage in Wales.
Gesundheitsexperten erinnerten diesbezüglich erneut daran, wie wichtig gerade diese leicht zugänglichen, routinemäßigen Tests sind, um die STI-Ausbreitung zu verhindern – beispielsweise verläuft der Großteil der Fälle (75% bei Frauen, 50% bei Männern) von Chlamydien in Großbritannien asymptomatisch.
Rekordniveau bei Geschlechtskrankheiten
Das alles mit dem Hintergrund, dass die Gonorrhöe- und Syphilis-Diagnosen in England zuletzt ein absolutes Rekordniveau erreicht haben, im vergangenen Jahr wurden allein in England fast 400.000 sexuell übertragbare Krankheiten diagnostiziert.
Richard Angell, Vorstandsvorsitzender des Terrence Higgins Trust, sagte dazu: „Die sexuelle Gesundheit der Nation wurde von der Zentralregierung konsequent ignoriert. Ein Weckruf ist nötig. Wenn mehr als 1.000 neue sexuell übertragbare Krankheiten, die jeden Tag diagnostiziert werden, kein Anreiz für einen Politikwechsel und neue Investitionen sind, ist es schwer vorstellbar, was es sonst sein könnte. Letztendlich bekommt man das, wofür man bezahlt – die niedrigsten realen Ausgaben für die sexuelle Gesundheit gehen einher mit den höchsten Raten sexuell übertragbarer Infektionen.“
Kehrtwende im Gesundheitswesen?
Ein erster Schritt zur Verbesserung der Lage wären ganzjährig kostenlose STI-Posttests für alle Bürger Großbritanniens – bisher gibt es dies nur in Wales. Zudem bedürfe es einer schnellen Modernisierung des Gesundheitswesens, via Apps müssten so überall Termine gebucht werden können mit einer maximalen Wartezeit von 48 Stunden.