Direkt zum Inhalt
Selbstbestimmungsgesetz veröffentlicht!
Rubrik

Selbstbestimmungsgesetz Länder und Verbände können Stellungnahmen bis Ende Mai abgeben

ms - 09.05.2023 - 12:11 Uhr

Der bereits vorab umstrittene Gesetzentwurf zum geplanten Selbstbestimmungsgesetz wurde heute Mittag offiziell vom Bundesfamilienministerium veröffentlicht und an die Länder und Verbände verschickt – diese haben nun bis Ende des Monats Zeit, Stellung zu beziehen. Ziel ist es, das bisherige Transsexuellengesetz zu ersetzen. Kritik kam dabei bereits zuletzt im Vorfeld sowohl von Befürwortern wie Gegnern des Gesetzesvorhabens.

Geschlechtswechsel ohne Gutachten

Die Eckpunkte: Transgeschlechtliche, intergeschlechtliche und nicht-binäre Menschen sollen künftig die Möglichkeit haben, ihren Geschlechtseintrag im Personenstandsregister und ihre Vornamen durch eine Erklärung beim Standesamt ändern zu lassen. Die Vorlage eines ärztlichen Attests oder die Einholung von psychologischen oder medizinischen Gutachten sollen nicht länger erforderlich sein. Die Änderung des Geschlechtseintrags oder der Vornamen soll drei Monate nach der Erklärung gegenüber dem Standesamt wirksam werden. Für eine erneute Änderung soll es eine Sperrfrist von einem Jahr geben. Im Kriegsfall allerdings ist ein kurzfristiger Geschlechtswechsel von männlich zu weiblich nicht möglich, wenn dies in einem „unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang“ steht.

Kinder und Jugendliche

Für Kinder unter 14 Jahren können die Eltern den Geschlechtswechsel beantragen. Ab dem 14. Lebensjahr können Jugendliche eigenständig die Änderungserklärung abgeben, allerdings mit Zustimmung der Eltern oder des Familiengerichts. Personen, die ihren Geschlechtseintrag geändert haben, soll die Eintragung „Elternteil“ in der Geburtsurkunde ihrer Kinder ermöglicht werden.

Bußgelder von 10.000 Euro

Zudem soll es ein Offenbarungsverbot geben. Künftig soll es verboten sein, frühere Geschlechtseinträge oder Vornamen auszuforschen und zu offenbaren. Wird eine betroffene Person durch die Offenbarung absichtlich geschädigt, so soll der Verstoß mit einem Bußgeld von bis zu 10.000 Euro bestraft werden können. Ein generelles Verbot des sogenannten „Misgenderns“ oder „Deadnamings“ ist im Entwurf für das Selbstbestimmungsgesetz allerdings nicht geregelt.

Schutzräume für Frauen

Einer der strittigsten Punkte bleibt der Umgang mit Schutzräumen für Frauen – das Bundesfamilienministerium erklärt dazu: „Das Selbstbestimmungsgesetz lässt das private Hausrecht unberührt, wie der Gesetzestext klarstellt, ebenso das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Hinsichtlich des Zugangs zu geschützten Räumen wird sich durch das Selbstbestimmungsgesetz also nichts ändern. Was heute im Rechtsverkehr zulässig ist, das ist auch künftig zulässig, was heute verboten ist, bleibt verboten. Auch die Autonomie des Sports soll durch das Gesetz nicht angetastet werden.“

Offene Fragen sorgen für Kritik

Dieser Passus sorgt nach wie vor für offene Fragen und könnte auch zu juristischen Problemen führen – wie verfällt es sich beispielsweise bei einer Trans-Frau, der der Zugang zu einer Frauensauna verwehrt wird? Greift das AGG oder doch das Hausrecht? Je nach Sichtweise fallen die Antworten hier sehr unterschiedlich aus, weswegen bereits mehrere Juristen im Vorfeld erklärten, dass das Selbstbestimmungsgesetz am Ende sogar vor dem Bundesverfassungsgericht landen könnte. Kritik kommt auch seitens der Union, ihr geht der Gesetzentwurf in seinem „extremen und pauschalen Ansatz" zu weit. Queere Aktivisten hingegen bemängeln, dass gerade bei der Frage nach Schutzräumen abermals für mehr Verwirrung als Klarheit gesorgt werden würde.

Paus und Buschmann zufrieden

Bundesfamilienministerin Lisa Paus indes erklärt dazu: „Wir sind mit dem Selbstbestimmungsgesetz erneut einen großen Schritt vorangekommen – und damit auch beim Schutz vor Diskriminierung und den Rechten trans- und intergeschlechtlicher und nichtbinärer Menschen. Mit dem Selbstbestimmungsgesetz führen wir eine einfache und einheitliche Regelung für die Änderung des Geschlechtseintrages ein. So geben wir den Betroffenen einen Teil ihrer Würde zurück, die ihnen von Staats wegen jahrzehntelang vorenthalten wurde.“

Und Bundesjustizminister Marco Buschmann ergänzt: „Das Selbstbestimmungsgesetz ist ein langgehegter Wunsch vieler - und ein Vorhaben ganz im Geist unserer Verfassung. Denn das Freiheitsversprechen des Grundgesetzes umfasst auch die geschlechtliche Selbstbestimmung (…) Die überfällige Besserstellung von Personen, deren Geschlechtsidentität vom Geschlechtseintrag abweicht, geht nicht zu Lasten anderer Menschen. Der Entwurf wahrt Hausrecht und Privatautonomie - und lässt Raum für sachgerechte Differenzierungen. Ich bin überzeugt: Wir haben damit eine Lösung gefunden, die eine Chance hat auf breite gesellschaftliche Zustimmung. Transgeschlechtliche Menschen sind schon viel zu lange betroffen von Diskriminierung und würdeloser Behandlung - diesen Zustand werden wir endlich hinter uns lassen.“

Lehmann übt Kritik

Der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann, begrüßt das neue Selbstbestimmungsgesetz grundsätzlich, übt aber auch Kritik an einzelnen Aspekten des Gesetzesvorhabens: „An einigen Stellen muss der Entwurf verbessert werden. Eine Wartezeit von 3 Monaten ist zu lang und sollte verkürzt werden. Wie das TSG sieht der Entwurf auch noch zu viele Ausnahmen im Offenbarungsverbot vor, etwa für ehemalige Partner*innen. Zudem ist der Verweis auf die Gültigkeit des Hausrechts im Gesetz unnötig, zumal in der Begründung ausgeführt wird, dass sich an den Regeln zum Hausrecht und seiner Begrenzung etwa durch den Diskriminierungsschutz aufgrund des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) nichts ändert. Der Verweis auf das Hausrecht im Gesetz löst bei den Betroffenen massive Ängste vor neuen Ausschlüssen aus, gerade angesichts transfeindlicher Entwicklungen überall auf der Welt. Wenn Teile des Gesetzentwurfs Angst bei denen auslöst, die er schützen soll, dann müssen sie verändert werden.“

Auch Interessant

Kampf gegen Menschenrechte

Neues Gesetzvorhaben in Namibia

Kein Ende in Sicht: Namibias Regierung stellt sich erneut gegen die liberalen Obersten Richter des Landes und gegen LGBTIQ+ Rechte.
Fluchtwelle in den USA

Angst bei LGBTIQ+ Jugendlichen

Aus Angst vor Hass und Anfeindung verließen 2024 rund 266.000 queere Jugendliche in den USA ihren Heimat-Bundestaat.
Strafanzeige gegen AfD

Linke queer geht gegen AfD vor

Die Linke queer hat Strafanzeige gegen die AfD in der Stadt Falkensee gestellt. Streitpunkt sind Regenbogenfahnen an öffentlichen Gebäuden.
Queere Gesundheitsversorgung

Neue Wege in Thailand

Nach der Einführung der Homo-Ehe geht Thailands Regierung erneut auf die Community zu und schafft Verbesserungen im Gesundheitsbereich.
Strafanzeige gegen Milei

Rede mit juristischen Folgen

Strafanzeige gegen Argentiniens Staatspräsident Javier Milei: In einer Rede setzte er Homosexualität mit Pädophilie gleich.
AfD-Verbot

Debatte im Bundestag

Der LSVD+ begrüßt die Debatte um ein mögliches Verbot der AfD und betont die queerfeindliche Haltung der Partei.
Community in Großbritannien

Die Community wächst stark

In Großbritannien definieren sich mehr Menschen als jemals zuvor als lesbisch, schwul oder bi, besonders stark vertreten sind bisexuelle Personen.
Richtlinien an US-Schulen

Trump unterzeichnet neue Verordnung

US-Präsident Donald Trump heut jetzt neue Verbote für alle staatlichen Schulen festgesetzt - betroffen sind insbesondere queere Schüler.
Problemfall Slowakei

Neue Gesetze gegen LGBTIQ+

Problemfall Slowakei: Regierungschef Fico kämpft jetzt mit neuen Gesetzen gegen die LGBTIQ+ Community.