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Schwule Datingshow in Japan
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Schwule Datingshow in Japan „The Boyfriend“ dürfte im Land für viele Diskussionen sorgen

ms - 02.07.2024 - 12:00 Uhr

Während Japan noch immer um die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe ringt, ist der Streamingdienst Netflix da bereits einen Schritt weiter und veröffentlicht im Juli die erste japanische schwule Dating-Show mit dem schlichten aber wirkungsvollen Titel „The Boyfriend“. Clever übt der US-Dienst damit auch erneut Druck auf die Landesführung aus, denn Japan ist inzwischen der einzige G7-Staat, in dem die gleichgeschlechtliche Ehe noch immer nicht legal ist. 

Veränderung in der Gesellschaft

„Ich will nicht sagen, dass wir die Gesellschaft verändern können. Aber ich möchte, dass viele Menschen etwas spüren“, sagt so auch im klassischen Understatement der Casting-Direktor der Show, Taiki Takahashi, gegenüber der New York Times. Aktuell befürworten nach jüngsten Umfragen im Land bereits 70 Prozent der Japaner die Legalisierung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften.

Rund fünfzig schwule Männer sprachen beim Casting für die Show vor, in die Sendung schafften es schlussendlich neun von ihnen. Takahashi betont dabei, er habe sehr bewusst „Menschen ausgewählt, die geliebt werden“. Klischeemäßigen Darstellungen von Homosexualität indes erteilte der Casting-Chef eine klare Absage: „Ich habe Männer vermieden, die den Druck verspüren: ´Ich muss einen bestimmten Charakter verkörpern, weil ich im Fernsehen auftreten werde´ oder ´Da ich schwul bin, muss ich auf eine bestimmte Art schwul sein´“. 

Reale Darstellung von Schwulen

Ähnliches betont auch Produzent Dai Ota, er wolle „gleichgeschlechtliche Beziehungen so darstellen, wie sie wirklich sind.“ Ein Novum im Land, wo die bisher offen schwulen Darsteller im Fernsehen stets wie extravagante, verweichlichte Comicfiguren präsentiert werden. Erstmals dürfen nun schwule Männer realistisch und lebensnah gezeigt werden – gerade diese Herangehensweise könnte die Einstellungen vieler im Land nachhaltig positiv verbessern. Dabei dürfte auch der weltweite Impact durchaus enorm sein, die zehn Episoden von „The Boyfriend“ starten zeitgleich am 9. Juli in 190 Ländern weltweit. 

Etwas kritischer blickt Jennifer Robertson auf die neue Show, eine emeritierte Professorin für Anthropologie an der Universität von Michigan und Expertin der LGBTI*-Kultur in Japan. Die Sendung biete zwar einen „herzerwärmenden Blick“ auf die „süßen, aber wenig dramatischen Darsteller“, doch reiche das nicht aus, um vor allem die konservativen Menschen im Land von ihrer homophoben Einstellung abzubringen. „Die Niedlichkeit einer Sendung als Ausgangspunkt, um die Unterstützung von Menschen zu gewinnen, die wahrscheinlich bereits LGBTI* unterstützen, wird nicht dazu führen, dass die politische Ratifizierung der Homo-Ehe vorangetrieben wird.“

Weniger Sex, mehr Romantik

Das Format platziert die neun schwulen Männer im Alter zwischen 22 und 36 Jahren in einem luxuriösen Strandhaus außerhalb von Tokio. Die Stimmung wird dabei als „heilsam und meist keusch“ beschrieben. Sex kommt nur selten vor, viel mehr im Vordergrund stehen indes Freundschaft, Selbstbewusstsein und Romantik. Tagsüber betreiben die Herren einen Kaffeewagen, abends wird gemeinsam gekocht, bevor sie für Verabredungen auch das Haus verlassen. 

Die politische Situation von Schwulen im Land darf dabei von den neun Männern durchaus auch thematisiert werden, wenngleich es nur eines von vielen Themen sein wird. Trotzdem erhofft sich auch Soshi Matsuoka, Gründer der LGBTI*-Organisation Fair durch die Show „eine Veränderung in der Gesellschaft.“ Allerdings wäre es noch schöner gewesen, wenn die Darsteller offener über ihre Sexualität gesprochen hätten, so Matsuoka gegenüber der New York Times weiter, der die zehn Folgen vorab bereits sehen durfte.  

Das Wohlergehen der Teilnehmer

Trotzdem: Dass es nicht nur um den Effekt geht, zeigt eine weitere Besonderheit, die in Reality-Showformaten eher selten zu finden ist: Produzent Dai Ota hat Psychologen hinzugezogen, die den Teilnehmern auch nach Veröffentlichung der Show bei Bedarf zur Seite stehen, sollten sie von den möglichen Reaktionen der japanischen Bevölkerung in irgendeiner Weise überfordert werden. 

Außerdem wird die Show auch kommentierend begleitet, unter anderem von der Drag-Queen Durian Lollobrigida – das Ziel auch hier: Die Darsteller sollen geschützt werden. „Ich dachte, es wäre nicht gut, wenn heterosexuelle Menschen, die in der Mehrheit sind, nur zusehen, wie sich schwule Männer unter die Leute mischen. Also hielt ich es für notwendig, dass jemand sozusagen als Übersetzer mit dabei ist“, so Lollobrigida.

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