Rollback im Nahen Osten Immer mehr arabische Länder wehren sich gegen die “queere Bevormundung“
Vorbei und vergessen – so mag die Taktik für viele in der LGBTI*-Community sein, wenn sie an die Fußballweltmeisterschaft Ende letzten Jahres in Katar zurückdenken. Vieles erwies sich als peinlich, sowohl für die deutsche Mannschaft selbst wie auch für die Ampel-Regierung und die FIFA. Der Gedanke, Akzeptanz für die LGBTI*-Community in die Welt hinauszutragen, wurde spätestens mit der albernen “One-Love“-Binde und dem darauffolgenden Verbot seitens der FIFA gänzlich begraben. So richtig vergessen wollen oder können viele Menschen im Nahen Osten die Kampagnen des Westens aber noch immer nicht und so stellt sich inzwischen die Frage, ob die LGBTI*-Kampagnen mehr genutzt oder geschadet haben?
One Love am Ende?
Seit dem Ende der Fußballmeisterschaft sind so in Katar verschiedene Abwehrmechanismen festgestellt worden, wie die Deutsche Welle (DW) berichtet. Beispielsweise wurden alle Logos samt dem dazu gehörenden Werbespruch “One Love“ der amerikanischen Fast-Food-Kette “Raising Cane's“ entfernt. Der Konzern bezog sich dabei zu keiner Zeit auf die Vielfalt-Aktion der europäischen Fußballvereine, sondern will damit bereits seit den 1990er Jahren seinen Kunden erklären, dass die Chicken Fingers der Kette die „einzig wahre Liebe“ seien. Trotzdem mussten alle Logos verschwinden.
Landesweite Aktionen gegen Homosexualität
Eines von mehreren Beispielen, wie Katar und andere Länder im Nahen Osten auf die, als Belehrungsversuche oder Bevormundung wahrgenommenen Aktionen reagieren. In Kuwait wurde eine landesweite Plakatkampagne gegen homosexuelle Beziehungen gestartet und klar als Reaktion auf die „widernatürlichen internationalen Kampagnen“ definiert, die die “fremden Werte“ in Kuwait durchsetzen wollen würden.
Auch als eindeutige Ansage gegen den Aktivismus in Katar gibt es im Irak seit Dezember letzten Jahres eine landesweite Petition "gegen Homosexualität“. Bereits vor der WM zeigte eine Forschungsstudie (Arab Barometer) auf, dass in den meisten Ländern im Nahen Osten bis zu 90 Prozent der Einwohner gleichgeschlechtliche Beziehungen ablehnen – es steht zu befürchten, dass mit den derzeit laufenden Kampagnen die Zahl der Gegner noch weiter ansteigen könnte.
Homosexuelle vor Ort werden verwundbarer
"Die Solidaritätsbekundungen des Westens mit den LGBTQ-Gemeinschaften im Nahen Osten mögen gut gemeint sein, aber sie sind nicht konstruktiv. Solche Bekundungen stärken die Solidarität unter den Aktivisten in den westlichen Ländern. Doch ausgerechnet die Menschen im Nahen Osten, denen man angeblich helfen will, fühlen sich dadurch noch verwundbarer“, so Will Todman, Nahostexperte des Think Tanks Center for Strategic & International Studies in Washington. In den letzten Wochen mehren sich dabei die Anzeichen, dass Homosexuelle in Katar jetzt noch mehr verfolgt und in Gefängnissen inhaftiert werden würden.
Sicherheit von LGBTI*-Menschen stärker in Gefahr
Der irakische LGBTI*-Aktivist Sajjad Sabeeh erklärte gegenüber der DW: "Ich denke, die westlichen Medien haben eine eher ungute Rolle gespielt. Indem während der WM in Katar so viel über LGBTQ-Rechte gesprochen wurde, konnten Politiker behaupten, dass LGBTQ-Rechte Teil einer Agenda sind, mit der der Westen die Region dominieren will.“ Und Tarek Zeidan, Direktor einer der ältesten LGBTI*-Organisationen im arabischen Raum namens Helem, ergänzte: "Wir werden noch eine ganze Weile unter dem Verdruss über den Aktivismus bei der Fußballweltmeisterschaft zu leiden haben. Das wird die Sicherheit und die Würde von LGBTQ-Personen in der gesamten Region erheblich beeinträchtigen.“
Kommt es zum Kulturkampf?
Gerade religiöse Fundamentalisten würden jetzt vermehrt versuchen, Stimmung gegen LGBTI*-Menschen zu machen und das Thema als Kulturkampf dauerhaft zu inszenieren. Zeidans Fazit: "Die eigentlich berechtigte Kritik an Katars miserabler Menschenrechtsbilanz wurde politisch instrumentalisiert und war alles andere als differenziert. Das hat zu einer massiven Abwehrbewegung geführt, und zwar in diesem Fall gegen die Regenbogenflagge.“