Regenbogenfamilien noch immer am Pranger Regenbogenfamilien werden auf ihre sexuelle Orientierung reduziert
Es sind spannende, aber zum Teil auch nach wie vor ernüchternde Informationen, die in diesen Tagen aus München kommen – das Sozialreferat der Landeshauptstadt München nimmt im neuen Familienbericht (Download hier) Stellung zu der Lebensrealität von Regenbogenfamilien. Die Entwicklungen, die Probleme und die möglichen Lösungsansätze sind dabei wohl für Regenbogenfamilien in ganz Deutschland anwendbar.
Geschützt auf Daten weiterer Studien geht das Sozialreferat von 12.000 Haushalten in Deutschland aus, in denen gleichgeschlechtliche Paare mit Kindern leben. Etwa 10.000 davon sind Regenbogenfamilien, wobei in rund 4.000 gleichgeschlechtliche Ehepaare und in weiteren 6.000 queere Lebensgemeinschaften anzutreffen sind. Nebst den „klassischen queeren“ Konstellationen von zwei Frauen oder zwei Männern, gibt es ähnlich den Patchwork-Familien auch Regenbogenfamilien mit unterschiedlichen Zusammenstellungen von LGBTI*-Vätern und Müttern.
In wenigen Fällen hat einer der Elternteile auch einen transsexuellen Hintergrund. Klar ist, dass die offiziellen Zahlen der Lebensrealität nicht gerecht werden uns es nach Angaben der Behörde viel mehr Regenbogenfamilien in Deutschland gibt, die nicht offiziell als solche erfasst worden sind. Der Hauptgrund, warum sich viele Regenbogenfamilien nicht offiziell „outen“, liegt an den Vorurteilen und der Diskriminierung, die diese Familien bis heute viel öfter und dramatischer erleben als alle anderen Familienmodelle.
Marion Lüttig von der Münchner Beratungsstelle Regenbogenfamilien dazu:
„Man muss angesichts der gesellschaftlichen Reaktionen und Schwierigkeiten für Regenbogenfamilien wohl von einer in Wirklichkeit erheblich größeren Anzahl dieser Familien ausgehen. In München gibt es gemäß statistischer Erfassung zusammenlebender gleichgeschlechtlicher Partner derzeit 212 Regenbogenhaushalte.“
Die Münchner Beratungsstelle wurde 2017 gegründet und ist bayernweit bisher die einzige professionelle Anlaufstelle für Regenbogenfamilien. Ein großes Problem für queere Familien ist nach wie vor die schwierige gesetzliche Lage, Stichwort Abstammungsrecht. Bisher wird beispielsweise eine lesbische Ehepartnerin einer Mutter nicht rechtlich automatisch dem leiblichen Vater gleichgestellt – die Ampel-Koalition plant hier eine Reform, konkrete zeitliche Eckdaten stehen aber noch nicht fest. Lüttig weiter:
„Auch einige Aspekte in der Rechtsform der Eingetragenen Lebenspartnerschaft für gleichgeschlechtliche Paare sind nicht eindeutig geklärt oder weisen Mängel auf, zum Beispiel das Sorgerecht für Kinder, die aus einer früheren Beziehung eines Partners stammen. Hier gibt es nur ein “kleines Sorgerecht“ für alltägliche Situationen. Eine Regelung für den Fall, dass dem leiblichen Elternteil etwas zustößt, fehlt.“
Es gibt also rein auf rechtlicher Seite mehrere Baustellen, die dringend einer Veränderung bedürfen. Andere, mindestens genauso schwerwiegende Probleme finden sich dabei in einer grundsätzlichen Gesinnung der Bevölkerung. Mit Blick auf eine Studie aus dem Jahr 2017 der Antidiskriminierungsstelle des Bundes erklärt das Münchner Sozialreferat, dass zwar eine Mehrheit der Deutschen sich für die gleichgeschlechtliche Ehe (83 Prozent) ausgesprochen hat, aber rund 40 Prozent Probleme damit hätten, wenn das eigene Kind queer wäre. Ähnlich konservativ destruktiv erfolgt oftmals dann auch der Blick auf Regenbogenfamilien:
„Trotz aller Gleichstellungsbemühungen sind die Vorbehalte gegenüber sexueller und geschlechtlicher Vielfalt gerade im Kontext von Familie und dem Aufwachsen von Kindern besonders hartnäckig. Speziell in rechtspopulistischen Debatten kommt es zu Diffamierungen. Darüber hinaus, wohl psychisch noch belastender, spielt bei Regenbogenfamilien leider immer noch häufig der Aspekt der Geschlechtsidentität die entscheidende Rolle in der Betrachtungsweise gleichgeschlechtlicher Paare in der Gesellschaft – zu oft werden sie auf ihre sexuelle Orientierung reduziert. Gerade im vorschulischen Bereich verunsichert die Thematisierung von Sexualität bei Regenbogenfamilien viele andere Eltern und baut weitere Hürden und Hemmungen auf“, so Lüttig, die im weiteren Verlauf auch von besorgten Eltern gesagt bekommt: „Das ist eine schrille Minderheit. Was wollt ihr denn noch? Ihr habt ja schon die Ehe für alle, und jetzt müssen wir immer noch über das Thema sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität reden? Muss denn das sein? Müssen wir denn wirklich schon im Kindergarten über Sexualität sprechen?“
Dabei zeigt sich, dass Vorurteile nicht nur von Seiten anderer Eltern kommen, sondern auch bei weitem nicht jede Kindertagesstätte oder Schule und nicht alle Nachbarn oder Familien der Freunde der Kinder von zwei gleichgeschlechtlichen Elternteilen auf eine queere Familie „eingestellt“ sind. Immer wieder kommt so auch die Frage auf, ob Kinder bei Homosexuellen wirklich gut aufgehoben seien – ein Kind brauche doch Mutter und Vater. Daran ändert aktuell auch die Faktenlage nichts – mehrere repräsentative Studien aus Deutschland, Italien und den Niederlanden haben bereits vor Jahren aufgezeigt, dass Kinder in Regenbogenfamilien keinesfalls schlechter aufwachsen. Die niederländische Studie aus dem Jahr 2020 legt sogar nahe, dass Jugendliche aus Regenbogenfamilien bessere schulische Leistungen als ihre Altersgenossen aus klassisch heterosexuellen Familien erbringen.
Der Familienbericht zeigt auch auf, dass Regenbogenfamilien im Alltag die gleichen normalen Probleme wie alle anderen Familien haben. Allerdings kommen noch besondere weitere Hürden dazu, wie beispielsweise die Rechtfertigung des eigenen Kinderwunsches gegenüber dem sozialen Umfeld und der eigenen Herkunftsfamilie, die Grauzonen und Hürden bei der Verwirklichung des Kinderwunsches, das Bemühen, die Kinder gegenüber möglichen Diskriminierungen stark zu machen, das alltägliche Coming-Out als Regenbogenfamilie - gerade auch wenn pubertierenden Jugendlichen die Thematisierung peinlich ist – und der allgegenwärtige Bewährungsdruck, sich als „gleichwertige Familienform“ beweisen zu müssen.
Positiv ist allerdings auch zu vermerken, dass Regenbogenfamilien oftmals untereinander besser vernetzt sind und durch die Repräsentanz und Sichtbarkeit in der Gesellschaft auch eine eigene, individuelle Stärkung des Selbstbewusstseins für sich und die Familie erfahren. Dabei könne oftmals wenig schon viel Positives bewirken, so Lüttig. Regenbogenfamilien müssen noch sichtbarer sein, um auch der Mehrheitsgesellschaft zu zeigen, dass da eine Vielfalt der Familien ist und gleichzeitig erkannt wird, dass diese Familien mit den gleichen Alltagsproblemen wie alle anderen auch kämpfen.
Zudem sollte das Wissen um die Familienvielfalt zum professionellen Standard in allen Kindereinrichtungen und Schulen gehören und in deren Leitbildern integriert sein. Dabei spielt auch die Darstellung der Einrichtung nach außen eine wichtige Rolle: Werden beispielsweise „alternative“ Familienmodelle in Informationsflyern einer Kita konkret benannt, wird damit eine grundsätzliche Offenheit gegenüber allen Familien in die Gesellschaft transportiert.
Eine weitere Idee der Verbesserung: Kinder aus Regenbogenfamilien finden ihre Familienwirklichkeit nach wie vor mehrheitlich weder in Schulbüchern noch im pädagogischen Alltag wieder – auch das sollte sich ändern. Kurzum, es bedarf noch immer mehr Sichtbarkeit, mehr Verständnis, mehr Willen in der Gesamtbevölkerung und zudem auch ganz praktisch mehr Beratungsstellen für Regenbogenfamilien.
Marion Lüttig abschließend: „Es geht darum, dass die Kinder ihre Familienkonstellation als eine “normale“ Familienkonstellation sehen können, die jedes Recht hat wie alle anderen Familienkonstellationen auch. Das ist eine große Herausforderung für die einzelnen Eltern und Familien.“