Jugendarbeit am Limit LGBTI*-Jugendliche leiden massiv unter Depressionen und Einsamkeit
Werden Jugendliche und speziell gerade auch junge LGBTI*-Menschen im Stich gelassen? Mehrere LGBTI*-Organisationen warnen seit vielen Monaten davor, dass bald drei Jahre Pandemie massive Auswirkungen auf junge Homosexuelle und queere Personen haben, nun bestätigen die jüngsten Zahlen des Bundesamtes für Statistik den dramatischen Rückgang an Angeboten.
Bis zu 74 Prozent weniger Angebote
Das Bundesamt spricht von einem Rekordtief: Die Zahl der Jugendlichen, die überhaupt noch Angebote in Anspruch nahmen, sank um die Hälfte (49 %), international sogar um 74 Prozent. Auch die Angebote für junge Menschen selbst gingen massiv zurück (32 %). Konkret bedeutet das, dass binnen eines Jahres rund 3,8 Millionen junge Menschen weniger bei Projekten und Veranstaltungen mit dabei waren. Auch die Zahl der Ehrenamtlichen, ohne die kaum eine Jugendeinrichtung überleben kann, sank dramatisch um 44 Prozent – in absoluten Zahlen sind das 246.000 Menschen weniger. Alle Ergebnisse beziehen sich auf das Jahr 2021, die Experten befürchten, dass die Zahlen für das laufende Jahr 2022 noch extremer ausfallen könnten.
Tiefe Spuren bei jungen Menschen
Das Bundesamt für Statistik erklärt dazu: „Nicht nur im Schul- und Kita-Betrieb, auch bei den Freizeit- und Erholungsmöglichkeiten hat die Corona-Pandemie im Alltag von jungen Menschen tiefe Spuren hinterlassen. Die Zahl der Angebote - wie etwa Ferienfreizeiten, Gruppenstunden oder Sportveranstaltungen – sind um knapp ein Drittel (32%) auf 106.700 gefallen. Damit verzeichnet die erst 2015 eingeführte, in zweijährlichen Abständen durchgeführte Statistik im zweiten Corona-Jahr 2021 einen historischen Tiefststand.“
Massiver Anstieg von psychischen Leiden
Die dramatische Lage bestätigt auch die landesweite queere Jugendberatungsstelle anyway mit Sitz in Köln: „Das dritte Jahr der Corona-Pandemie lässt das Realität werden, wovor Expert:innen lange gewarnt haben: einen massiven Anstieg des psychischen Leidens insbesondere bei vulnerablen Gruppen. Die Jugendberatungsstelle des anyway für lesbische, schwule, bisexuelle, trans*, inter* und queere Jugendliche sowie junge Erwachsene in Köln erlebt genau das. Die Beratungsanfragen sind im vergangenen Jahr um fast ein Viertel gestiegen. Neben den klassischen Themen wie geschlechtliche Identitätsfindung und Coming-out haben wir vermehrt auch Anfragen zu Einsamkeit, dem Gefühl des Abgehängtseins sowie Angst, Stress und Depressionen“, so Jugendberaterin Rabea Maas.
Suche nach Therapeuten wird schwieriger
Dabei stellt der Verein zudem fest, dass auch die Fälle selbst an Intensität massiv zugenommen haben. Hinzu kommt für die betroffenen Jugendlichen mit intensiven psychischen Belastungen, dass die Suche nach Therapeuten in den letzten Jahren noch schwieriger geworden ist als es zuvor bereits schon der Fall gewesen war. „Die Wartezeiten, die ohnehin lang sind, haben sich durch Corona erneut gesteigert. Für LSBTIQ*-Jugendliche kommt als Herausforderung hinzu, dass sie Therapeut:innen benötigen, die über Queerkompetenz verfügen“, so anyway weiter.
Prioritätensetzung bei den Beratungen
Die Hilfsorganisation für LGBTI*-Jugendliche führte auch eine aktuelle Befragung durch, demnach rund 43 Prozent der jungen Menschen, die sich persönlich an anyway wandten, unter Depressionen oder einer psychischen Erkrankung leiden. Bereits im Frühjahr 2021 teilten zudem fast 25 Prozent der Jugendlichen in einer Onlinebefragung mit, dass sie aufgrund von Corona suizidale Gedanken haben. Um der Situation überhaupt noch gerecht zu werden, führte das anyway in diesem Jahr auch Gruppenberatungen ein.
„Um der hohen Nachfrage gerecht zu werden, haben wir die Beratungsangebote im Haus priorisiert. Uns ist es wichtig, zuerst für die Jugendlichen und jungen Erwachsenen in akuten Krisen da zu sein. Erst danach kommen andere Themen und Verpflichtungen”, so Jürgen Piger, Geschäftsführer des anyway, der weiter betont: „Generell merken wir, dass die Corona-Pandemie die Unterstützungsstrukturen für LSBTIQ*-Personen stark herausfordert und prekärer werden lässt”. Es liege nun an der Politik, Antworten auf diese Situation zu finden.
Hier gibt es Hilfe
Die Berichterstattung über Suizid ist ein überaus sensibles Thema. Wir möchten es in KEINSTER Weise glorifizieren oder romantisieren. Viele Menschen die durch Suizid sterben, leiden an einer psychischen Erkrankung. Wenn es dir nicht gut geht oder du daran denkst, dir das Leben zu nehmen, versuche mit anderen Menschen darüber zu sprechen. Das können Freunde oder Verwandte sein. Es gibt aber auch eine Vielzahl von Hilfsangeboten, bei denen du dich melden kannst. Die Telefonseelsorge ist anonym, kostenlos und rund um die Uhr erreichbar. Die Telefonnummern sind 0800/111 0 111 und 0800/111 0 222.
Mit Beratung steht dir auch der Coming Out Verein via Messenger oder E-Mail unter www.coming-out-day.de zur Seite. Weiterhin gibt es von der Telefonseelsorge das Angebot eines Hilfe-Chats. Außerdem gibt es die Möglichkeit einer E-Mail-Beratung. Die Anmeldung erfolgt – ebenfalls anonym und kostenlos – auf der Webseite. Informationen findest du unter: www.telefonseelsorge.de