Hitzige Debatten in Ägypten Zeigt ein 4.500 Jahre altes Relief das älteste Zeugnis eines schwulen Liebespaares?
Seit im Jahr 1964 bei Ausgrabungen in der Totenstadt (Nekropolis) nahe der Unas-Pyramide in Ägypten das gemeinsame Grab zweier hoher Beamter aus der fünften Dynastie gefunden worden ist, streiten Archäologen um die Deutungshoheit des Fundes. Im heutigen Ägypten, das immer strikter gegen Homosexuelle vorgeht, bekommt der Streit nun auch eine politische Komponente.
Enge Vertraute des Pharaos
Die ägyptische Regierung hält sich dabei strikt an die Maxime, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. In dem gemeinsamen, prachtvollen Grab sind zwei Männer namens Nianchchnum und Chnumhotep beerdigt, die eine hohe Stellung im alten Ägypten um etwa 2.450 vor Christus innegehabt hatten. Sie trugen beide dieselben Titel als „Aufseher der königlichen Maniküre“ sowie eines Propheten des altägyptischen Sonnengottes Re.
Darüber hinaus werden sie in den Hieroglyphen als „königliche Vertraute“ des Pharaos Niuserre beschrieben. Als persönliche Pfleger des Pharaos waren sie hoch angesehen und gehörten zu den wenigen Privilegierten, die ihn berühren und eine enge Beziehung zu ihm pflegen durften.
Das überdies Besondere: Auf mehreren Reliefs werden die beiden Männer in inniger Umarmung gezeigt, als besondere Zuneigungsbekundung berühren sich ihre Nasen – in der damaligen Kunst entsprach dies der Symbolik für die größtmögliche Nähe zweier Personen, die nur Ehepaaren vorbehalten war. Archäologen in der Gegenwart gehen davon aus, dass es sich bei den beiden Männern daher um ein schwules Paar gehandelt haben muss – für das moderne Ägypten ein handfester Skandal.
Klare Indizien für ein schwules Paar
Dabei gibt es durchaus weitere Indizien, die die These untermauern: Beide Männer waren zwar mit einer Frau verheiratet und hatten auch Kinder, um ihrer damaligen Pflicht zur Fortpflanzung nachzukommen, auf den Reliefs gibt es allerdings kein einziges Anzeichen für eine liebevolle Beziehung zum weiblichen Geschlecht – im Gegenteil sogar, die beiden Männer wenden sich in den Darstellungen von ihren jeweiligen Frauen ab, mehr noch, auf den Reliefs werden sowohl die Ehefrauen wie auch die Kinder oftmals sogar zu reinen Statisten im Hintergrund.
Eine weitere Besonderheit: Chnumhotep wird in einigen der Darstellungen bei Tätigkeiten wie dem Riechen an einem Lotus dargestellt – eine Pose, die für Männer im alten Ägypten nicht üblich war und einzig den Frauen vorbehalten blieb. Die moderne Archäologie geht davon aus, dass so möglicherweise der „weibliche Part“ des schwulen Paares dargestellt werden sollte. Zuletzt kann auch das Grab selbst als stummes Zeugnis der schwulen Liebe verstanden werden: Am Eingang der Gruft steht geschrieben: „Verbunden im Leben und verbunden im Tod.“
Historische Auslöschung von Homosexuellen
Viele Historiker und Archäologen sind sich inzwischen einig darin, dass es sich also tatsächlich um ein hochgestelltes schwules Paar handeln muss. Die Organisation Legacy Project erklärte: „Dass zwei Männer von gleichem gesellschaftlichem Rang gemeinsam in einem Grab bestattet wurden, obwohl sie zweifellos mit Frauen verheiratet waren, ist bis heute einzigartig und hat eine besondere Aussagekraft.“
Die britische Historikerin und Wissenschaftlerin des Naturhistorischen Museums in London, Raven Todd Da Silva, bekräftigte: „Wir sind uns der Auslöschung von Homosexuellen in der Geschichte nur allzu gut bewusst. Es gab so viele schwule Paare in der Geschichte, die aber leider von all diesen älteren Historikern nur als ´enge Freunde´ oder ´Mitbewohner´ beschrieben wurden.“ Die französische Archäologin Nadine Sherpion gilt als unangefochtene Expertin für intime Portraits von Ehemännern und Ehefrauen in Gräbern der vierten, fünften und sechsten Dynastie Ägyptens, auch für sie sind Nianchchnum und Chnumhotep ein homosexuelles Paar.
Ein schwules Paar? Oder doch lieber Zwillinge?
Einheimische Ägyptologen sowie ein paar wenige weitere Archäologen wollen indes weiter daran festhalten, dass es sich bei den zwei Männern im Grab um ein Zwillingspaar beziehungsweise vielleicht sogar um siamesische Zwillinge gehandelt habe. Indizien dazu gibt es nicht.
Tamar Atkinson von der Universität Liverpool mit Schwerpunkt LGBTI* und Ägyptologie beteuert dazu: „Das allgemeine Problem mit diesen Argumenten besteht darin, dass sie sich zu sehr an den heutigen Vorstellungen in Ägypten orientieren. Wenn man die Möglichkeit völlig ausschließt, dass hier gleichgeschlechtliches Begehren der Fall ist, gibt man der Heteronormativität vieler moderner gesellschaftlicher Einstellungen nach.“
Ein Pharao, der schwule Liebe gutheißt
Mit großer Wahrscheinlichkeit haben wir es bei Nianchchnum und Chnumhotep also in der Tat doch mit der weltweit ältesten dokumentierten Darstellung eines schwulen Paares zu tun. Da Silva ergänzt dabei: „Die Theorien verdichten sich, dass die alten Ägypter anscheinend Menschen feierten, die anders waren, und sie sogar als glücksverheißend ansahen. Jene Menschen bezeugten die Fähigkeit des Schöpfergottes, Dinge in jeder beliebigen Form zu erschaffen.“
Diese Einstellung teilte ganz offensichtlich auch Pharao Niuserre, denn nur mit dessen Erlaubnis war es überhaupt möglich, dem schwulen Paar eine solche prachtvolle und große Grabstätte bauen zu lassen. Vielleicht ärgert dieser Aspekt ägyptische Hardliner am meisten: Die gewaltbereite Homophobie im Land dieser Tage ist ein moderner Hass auf Schwule und steht in keiner Verbindung zur ägyptischen Tradition. Anders gesagt: Vor 4.500 Jahren waren die Menschen am Nil liberaler als heute.