Harte Kritik an der EU LGBTI*-Organisation Forbidden Colours erhebt schwere Vorwürfe
Die europäische LGBTI*-Bürgerrechtsorganisation Forbidden Colours wirft der Europäischen Kommission mit harten Worten Untätigkeit und Pink Washing bei der Durchsetzung von LGBTI*-Menschenrechten vor. „Auf wichtige Initiativen, die die Europäische Kommission in den letzten Jahren angekündigt hat, sind bisher keine Taten gefolgt. Das von der Europäischen Kommission im Juli 2022 angekündigte Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn ist immer noch nicht beim Gerichtshof der Europäischen Union eingereicht worden. Der von der Europäischen Kommission für 2021 versprochene Vorschlag, Hassreden und Hassverbrechen als EU-Verbrechen anzuerkennen, ist immer noch nicht in Sicht. Maßnahmen zur Unterstützung der Rechte von LGBTI*-Menschen anzukündigen, aber nicht zu handeln, hat einen Namen. Man nennt es Pink Washing", so Direktor Rémy Bonny.
Zwar kündigte die Kommission gestern ein sogenanntes Gleichstellungspaket an, doch wann und wie dieses wirklich Realität werden wird, ist noch mehr als fraglich – das Gesetz muss mehrere rechtliche Hürden überwinden. Ziel des Gesetzes wäre es, dass Regenbogenfamilien in der gesamten europäischen Union anerkannt werden, also auch in Ländern, in denen es noch keine Rechte für gleichgeschlechtliche Paare gibt.
EU sieht bei LGBTI*-Problemen gerne weg
Die Organisation fordert die Kommission auf, endlich zu handeln. Zudem müsse die EU stärker darauf drängen, dass bestehende Urteile des Europäischen Gerichtshofs zur (gleichgeschlechtlichen) Ehe und Elternschaft auch eingehalten werden, beispielsweise in Rumänien oder Bulgarien. Auch im Fokus der Bürgerrechtsorganisation sind die Anti-LGBT-Propaganda-Gesetze in Ungarn, die LGBTI*-Themen unter anderem an allen Schulen oder auch in Buchläden verbieten. Ein Leben "außerhalb der traditionellen Geschlechternormen" darf nicht mehr öffentlich gezeigt werden, auch nicht in den Medien.
„Die abschreckende Wirkung des Gesetzes ist dramatisch. Da das Gesetz vage und undefinierte Begriffe wie ´Darstellung´ und ´Verbreitung´ von LGBTI*-Inhalten verwendet, ist es weitreichend in seinen möglichen Anwendungen. Die Selbstzensur der Medien ließ alle LGBTI*-Inhalte aus der öffentlichen Diskussion verschwinden. Lehrkräfte erwähnen keine LGBTI*-Themen mehr und fürchten, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, wenn sie es wagen, hilfesuchende LGBTI*-Schüler zu unterstützen. Eltern könnten sogar mit strafrechtlichen Sanktionen rechnen, wenn sie ihren eigenen Kindern Zugang zu LGBTI*-Inhalten verschaffen“, so Bonny weiter.
Warum schweigt die EU?
Der Direktor der Organisation zeigt sich dabei durchwegs wütend über das laute Schweigen seitens der EU-Kommission: „Obwohl dieses Gesetz eklatant gegen die Charta der Grundrechte der EU sowie gegen EU-Richtlinien über Dienstleistungen und Medien verstößt, hat es bereits ein Jahr gedauert, bis die Europäische Kommission im Juli 2022 ankündigte, dass sie die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen Ungarn erwägt. Doch fünf Monate nach der Ankündigung ist das Vertragsverletzungsverfahren noch immer nicht beim Gerichtshof der Europäischen Union eingereicht worden. Eineinhalb Jahre nach der Verabschiedung des Gesetzes in Ungarn sind LGBTI*-Menschen und LGBTI*-Basisorganisationen ständig bedroht. Es ist genug Zeit verloren gegangen.“
Mehr Einsatz aller Mitgliedsstaaten
Wichtig sei dabei laut Vincent Reillon, Referent für Politik bei Forbidden Colours, auch, dass sich alle Mitgliedsstaaten solidarisch erklären und schriftlich Stellung beziehen würden: "Seit 2019 hat die Europäische Kommission viel versprochen und nichts geliefert. Wichtige Initiativen, die vor den Medien angekündigt wurden, sind schnell wieder unter den Teppich gekehrt worden. LGBTI*-Menschen in Ungarn, in Italien und im Rest der EU stehen machtlos da und erleben die Feigheit der Europäischen Kommission und ihren Unwillen, ihre Grundrechte und die Rechtsstaatlichkeit zu verteidigen."
Kein gebündelter Einsatz gegen Hassverbrechen
Gerade auch beim Thema Hassverbrechen wäre es wichtig, dass alle Länder sich klar dagegen positionieren, doch bisher geschieht dies allumfassend nur in Dänemark, Griechenland und Malta. Besonders dramatisch ist die Lage derzeit hingegen in Italien, Polen, der Tschechischen Republik sowie Bulgarien; hier gibt es gar keine Rechtsvorschriften über Hassreden und Hassverbrechen, die die sexuelle Ausrichtung, die Geschlechtsidentität und den Geschlechtsausdruck sowie die Geschlechtsmerkmale umfassen.
„Nur noch anderthalb Jahre bis zu den nächsten EU-Wahlen und es ist klar, dass die Europäische Kommission ihre Zusage nicht einhalten wird. Bestenfalls könnte der erste Schritt des Prozesses erreicht werden, aber es ist nun sicher, dass der zweite Schritt warten muss, da eine Annahme nicht vor 2025 vorgesehen ist“, so Bonny sichtlich wütend weiter. Forbidden Colours fordert daher auch die kommenden Ratspräsidentschaften - Schweden und Spanien - auf, dieses Problem mit größter Priorität zu behandeln.
Aktuell sieht es ganz danach aus, dass die Europäische Union viele Projekte für LGBTI*-Menschen auf die lange Bank schiebt, exemplarisch auch zu sehen an der angedachten Gleichbehandlungsrichtlinie: Vier Kommissare haben inzwischen versprochen, die Richtlinie umzusetzen, die eine Einstimmigkeit aller Mitgliedsstaaten erfordert. Keiner konnte sein Versprechen halten – seit 14 Jahren ist das Thema Gleichbehandlung nur eine graue Theorie in der EU.