Direkt zum Inhalt
Grundgesetzänderung für LGBTI* chancenlos? // © IMAGO / Steinach
Rubrik

Grundgesetzänderung für LGBTI* Änderung Artikel 3 für queere Menschen nur Fake?

ms - 23.03.2022 - 14:49 Uhr

Erst vor knapp zwei Monaten im Januar 2022 stellte die neue Bundesregierung ihre geplanten Handlungsschwerpunkte im Bereich LGBTI* für die Legislaturperiode bis 2025 vor. Vier Aspekte gehören dabei zu den wichtigsten Punkten, die sich die Ampel-Koalition vorgenommen hat. Neben einem neuen Selbstbestimmungsgesetz, der Änderung des Abstammungsgesetzes und der Umsetzung eines Nationalen Aktionsplans gegen Homo- und Transfeindlichkeit ist das die Änderung des Artikels 3 des Grundgesetzes.

Der Paragraf gliedert sich im deutschen Grundgesetz in drei Punkte auf. Während in den ersten beiden Teilen festgelegt wird, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich und Männer und Frauen gleichberechtigt sind, widmet sich der Artikel 3.3 den besonders vulnerablen Gruppen unserer Gesellschaft. Nach den grausamen Lehren der Nazi-Zeit war den damaligen Gesetzgebern besonders wichtig, explizit diese Minderheiten in gesonderter Weise unter den Schutz des Grundgesetzes zu stellen, damit ganz eindeutig klar wird, dass Diskriminierung auch gegenüber jenen Menschen strafbar ist. So sagt der Passaus aus, dass Niemand aufgrund seines Geschlechts, der Abstammung, der Rasse, der Sprache, der Heimat, der Herkunft, seines Glaubens, seiner Behinderung oder seiner religiösen wie politischen Gesinnung benachteiligt werden darf.

Die Zeiten haben sich inzwischen geändert und so soll jetzt ergänzt werden, was damals noch nicht bedacht wurde: die sexuelle Identität. Seit rund dreißig Jahren kämpfen LGBTI*-Aktivisten für eine Ergänzung des Artikels 3.3, vor einem knappen Jahr brachten zwei bundesweite Aktionen (#zeigdie3 und #grundgesetzfüralle) mit Hilfe von über 200 prominenten Unterstützern die Thematik abermals in die Medien. Die Hoffnung damals war, dass kurz vor Ende der schwarz-roten Koalition die Regierung den Fraktionszwang aufheben und so den Weg frei für eine Gewissensabstimmung im Bundestag machen würde. Denn: Eine Änderung des Grundgesetzes bedarf einer Zweidrittel-Mehrheit. Ohne die CDU/CSU war und ist dieses Vorhaben nicht umzusetzen.

Die Ampel-Regierung hat aktuell 416 Sitze im Bundestag. Das bedeutet, selbst wenn die Partei Die Linke geschlossen wie angedacht für die Grundgesetzänderung stimmen würde, sind mindestens weitere 36 Stimmen aus der Reihe der Union nötig, um das Vorhaben der aktuellen Regierung tatsächlich umsetzen zu können. Im Interview mit Buzzfeed sieht der Berliner Verfassungsrechtler Professor Dr. Christian Pestalozza die Sachlage so:

„Chancen auf eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag oder im Bundesrat hat das Vorhaben keine. Vergleichbare Vorstöße, die ,sexuelle Identität‘ in den Absatz 3 aufzunehmen, sind seit 1994 mehrfach, zuletzt 2021 im Bundesrat, gescheitert. Das wird auch diesmal so sein.“

Ist die Ankündigung der Ampel-Koalition also nichts weiter als ein frommer Wunsch? Oder eine Lüge? Noch dazu gibt es nach wie vor Ärger um den Begriff „Sexuelle Identität“, selbst innerhalb der LGBTI*-Community ist man sich hier uneins. Der Begriff lässt sich mehrdeutig auslegen – ist damit rein die sexuelle Orientierung oder auch eine geschlechtsspezifische Selbstdefinition gemeint? Letzteres lehnt die CDU/CSU nach wie vor definitiv ab. Beim Punkt „sexuelle Orientierung“ gibt es dagegen durchaus auch bei der Union Befürworter, allerdings ist die Mehrheit der Konservativen der Meinung, dass es gar keiner Grundgesetzänderung bedürfte – bereits in den ersten beiden Teilen des Artikels 3 („Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“) wären auch LGBTI*-Menschen inkludiert.

Der Berliner Verfassungsexperte sieht im Grunde nur eine, allerdings sehr kleine Chance, doch noch bis 2025 das Grundgesetz für queere Menschen anzupassen:

„Eine Möglichkeit wäre, dass die Koalition ein größeres Grundgesetzänderungspaket schnürt, zu dem ein ausreichend großer Teil der Opposition nicht Nein sagen kann oder möchte, oder sie macht gleichzeitig einfachgesetzliche Zugeständnisse an die Opposition in anderen Bereichen.“

Bleibt die Frage offen, welche „bittere Pille“ die Ampel-Koalition schlucken müsste, um die Union als einzig realistische Variante mit ins Boot zu holen.

ANZEIGE
ANZEIGE
ANZEIGE
ANZEIGE

Auch Interessant

Schwuler Sex in der U-Bahn

Cruising in Mexiko-Stadt

Cruising in Mexiko-Stadt: Der letzte Waggon der U-Bahnen wird in Mexiko-Stadt täglich zum Hotspot für schwule Abenteuer.
Alexander Wehrle setzt Zeichen

Ein starkes Signal aus der Fußballwelt

Die Entscheidung ist gefallen: Alexander Wehrle, Vorstandsvorsitzender des VfB Stuttgart, wird Schirmherr des Christopher Street Day (CSD) 2025 in Stuttgart.
Der "Rosa Tag" ist Geschichte

Der Heidepark will sich neu aufstellen

Nach fast zwei Jahrzehnten ist Schluss: Der "Rosa Tag" im Heide Park Soltau, ein etabliertes Event der LGBTIQ+-Community, wird nicht mehr stattfinden.
Rechte von LGBTIQ+ in Europa

Scharfe Kritik an neun EU-Ländern

Die ILGA Europe warnte jetzt eindringlich vor der massiven Zunahme von Hass, Desinformation und der Einschränkung von Rechten in neun EU-Ländern.
Studie zur Bundestagswahl

Befragung der LGBTIQ+-Community

Eine neue, ebenso nicht repräsentative Umfrage widerspricht den Ergebnissen der Romeo-Studie: Grüne oder AfD – wer liegt in der Wählergunst vorne?
Sorge um HIV-Prävention

Deutsche Verbände kritisieren Trump

Ein Bündnis deutscher Vereine im Gesundheitsbereich und die WHO befürchten durch den US-Sparkurs weltweit „katastrophale Folgen“ im Bereich HIV.
Richtlinien für US-Athletinnen

Neue Regeln beim Hochschulverband

Der mächtige, amerikanische Sport-Hochschulverband NCAA setztTrumps Agenda an und verbietet trans* Athletinnen im Frauensport.
Diversity-Ende bei Google

Suchmaschine beendet DEI-Programme

Nun steigt auch Google aus allen Diversity-Programmen aus und erntet für diesen Schritt sowohl Zustimmung wie auch Ablehnung in den USA.