Geheime schwule Symbole Wie verständigten sich nach Kriegsende Schwule in den USA und in Deutschland?
Wir befinden uns in den 1950er Jahren, eine Zeit strenger Homophobie, in den USA genauso wie in Deutschland. In der Bundesrepublik nach Kriegsende greift der berüchtigte Paragraf 175, der sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe stellt. In den Vereinigten Staaten existierten ebenso strafrechtliche Verbote homosexueller Handlungen.
Es war hier wie da eine Zeit der Einschränkungen und der Geheimhaltung, doch gänzlich wehrlos waren Schwule dennoch nicht in jenen Tagen. Sie entwickelten ein cleveres geheimes System, um miteinander zu kommunizieren – verschlüsselte Botschaften und subtile Hinweise, nur für Eingeweihte verständlich. Zu dieser Zeit schien es das Einzige zu sein, was sie am Leben hielt.
Sichtbar - und doch unsichtbar
Das Besondere dabei: Jene Symbole vergangener Tage waren für alle ersichtlich, doch nur Schwule und Lesben verstanden sie. Dabei wurden Homosexuelle immer cleverer dabei, sich zu zeigen, ohne sich zu zeigen. So konnte es geschehen, dass in einem Buchladen die Gedichtbände des schwulen Schriftstellers Walt Whitman dicht beieinander standen und wie zufällig fand sich daneben eine Vase mit Nelken, Veilchen oder Stiefmütterchen, die wie ein Dreieck drapiert waren – alle drei Pflanzen hatten sich als Symbol der Gay-Community etabliert.
Betreiber von Bars demonstrieren, dass sie „gay-friendly“ waren, lange, bevor es den Begriff überhaupt gab, dadurch, dass sie verstärkt Songs spielten, die der Community wichtig waren – in jenen Tagen beispielsweise Judy Garland oder Billie Holiday. Für Betreiber von Etablissements war die Ausgangslage besonders heikel, wenn sie Schwulen einen sicheren Hafen anbieten wollten, denn sie durften sich nie dem Verdacht aussetzen, den „Perversen“ einen Platz anbieten zu wollen, es drohten Bußgelder, Strafverfahren und der Verlust des eigenen Ladens.
Schwierige Spurensuche
Historiker mit Schwerpunkt Gay-Community versuchen seit Jahren, den Ursprung dieser kodierten Sprache weiter zu bestimmen, doch vieles bleibt weiterhin im Dunkeln. Die meisten Symbole, die auch in Deutschland Verwendung fanden, haben wahrscheinlich ihren Ursprung in den USA, insbesondere in Städten wie New York, das schon damals besonders viele schwule Männer begeisterte. Immer wieder änderten sich diese Codes auch, einerseits, um einer möglichen Entdeckung zuvorzukommen, andererseits schlicht auch deswegen, weil die Schwulen-Community schon damals etwas Organisches an sich hatte – von der Sprache über den Sex bis hin zu den Symbolen.
Mit einer kleinen Bedeutungsänderung wurden so beispielsweise auch die rosafarbenen Dreiecke, die in den deutschen Konzentrationslagern verwendet wurden, um Menschen als schwul zu kennzeichnen, nach Kriegsende zu einem jener Symbole, die sich die Community zu eigen machte und sich damit trotzig gegen die ursprüngliche grausame Bedeutung stellte. Diese neuen Inkarnationen wurden dann in Kleidungsstücke eingenäht oder in Schaufenstern ausgehängt, damit jeder, der wusste, wo er genau hinschauen musste, sie sehen konnte.
Verständnis jenseits der Sprache
Mit der Zeit fanden die geheimen Symbole auch ihren Weg hinaus an die Häuserfassaden, eines davon waren Pfauenfedern – einmal mehr schnappte sich die Community eine anfängliche Schmähung und trug sie stolz vor sich her; ursprünglich waren damals extravagante „tuntige“ Schwule als Pfau beschimpft worden. Schwule Geschäftsleute spielten schlussendlich auch gerne mit der Bezeichnung ihres Ladens, beispielsweise konnte eine Buchhandlung „The Unbound Page“ (Die ungebundene Seite) heißen. Für Schwule war klar, dass dies ein Hinweis auf die Befreiung aus den Fesseln der Gesellschaft sein sollte. Wirtschaftliche Aspekte standen dabei lange Zeit nicht im Mittelpunkt, es ging den Betreibern darum, Gleichgesinnten eine sichere Zuflucht anzubieten.
Die Erschaffung dieser Welt ermöglichte es Schwulen und Lesben, sowohl als Einzelne als auch als Gruppe ein wenig Kontrolle über ihre wahre Existenz zurückzugewinnen – und das funktionierte über die Grenzen einer Stadt hinaus. Die Symbole wurden international, man verstand sich auch jenseits der Sprache und der Nationalität. Das Spiel mit den geheimen Symbolen änderte sich erst mit den Stonewall-Aufständen 1969 in New York, der Geburtsstunde all unserer heutigen CSDs und Prides. In den 1970er Jahren entwickelte sich dann die Regenbogenfahne als universelles Symbol für Schwule und Lesben und später für die gesamte LGBTI*-Community.
Sehnsucht nach alter Verbundenheit
Einige Historiker sehnen sich ein bisschen nach jenen Tagen zurück, nicht, weil sie sich homophobe Gesetze und die Verfolgung von Schwulen und Lesben zurückwünschen, sondern weil diese besondere Kreativität, die weltweite Symbolkraft und auch das damit besonders starke Gefühl der Verbundenheit im Laufe der Jahre weniger geworden sind. Zudem sind viele der damals versteckten Botschaften inzwischen verloren gegangen.
Es geht dabei um mehr als pure Nostalgie, sondern um die Anerkennung des unglaublichen Mutes und der Kreativität, die frühere schwul-lesbische Generationen dazu gebracht haben, trotz aller Widrigkeiten Gemeinschaften aufzubauen. Es geht darum, das menschliche Bedürfnis nach Verbundenheit zu würdigen – auch wenn die Gesellschaft noch so sehr versucht, uns auseinander zu treiben. Und es geht um die bittere Erkenntnis, dass wir heute mit der Regenbogenflagge stärker sichtbar sind als je zuvor – und wir genau deswegen auch immer radikaler angegriffen werden.