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Gefängnisstrafe wegen Pride

Gefängnisstrafe wegen Pride Der CSD im ungarischen Pécs hat ein juristisches Nachspiel

ms - 30.10.2025 - 15:00 Uhr
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Trotz CSD-Verbot fand Anfang Oktober im ungarischen Pécs die fünfte Pride-Parade statt, die Veranstalter hatten mit einem Trick die strikte Anordnung der Regierung umgangen. Nun droht dem Hauptveranstalter trotzdem eine einjährige Haftstrafe. Ein gefährlicher Präzedenzfall für ganz Europa. 

Nachspiel für CSD-Chef 

Die Idee war gut: Parallel zum verbotenen CSD hatten die Veranstalter bereits Wochen zuvor eine zweite Demonstration gegen die „Überzüchtung von Rehen und Hirschen“ angemeldet. Die Verantwortlichen in der Behörde ahnten nichts und genehmigten die Veranstaltung kurzerhand. Am Ende führte die Tier-Demonstranten den Protestzug an, dahinter versammelten sich dann rund 7.000 Pride-Teilnehmer – ein neuer Rekord für den CSD in der Stadt nahe der kroatischen Grenze. Die Polizei konnte nicht eingreifen, da der Protest offiziell erlaubt worden war. 

Nun scheint die Aktion drei Wochen später doch noch ein Nachspiel zu haben. Der hauptverantwortliche Organisator Géza Buzás-Hábel wurde nun trotzdem in dieser Woche von der Polizei vernommen, ihm wird die Durchführung einer verbotenen Versammlung zur Last gelegt, die Behörden haben offiziell ein Strafverfahren eingeleitet. Dabei droht dem jungen Mann eine Gefängnisstrafe von einem Jahr. Wird Buzás-Hábel tatsächlich verurteilt, wäre es das erste Mal innerhalb der Europäischen Union, dass ein Menschenrechtsaktivist aufgrund einer Pride-Parade ins Gefängnis muss. Bisher sind ähnliche Fälle nur aus der Türkei und Russland bekannt. 

Die Zukunft der Community 

Buzás-Hábel ist hauptberuflich Lehrer, schwul und Roma. Seit Jahren unterrichtet er Sprache und Kultur an der ersten Roma-Oberschule Europas. Zudem ist er Direktor und Mitbegründer des Diverse Youth Networks, das den Pride seit inzwischen fünf Jahren veranstaltet hat. Er arbeitet eng mit nationalen wie internationalen Menschenrechtsgruppen wie Amnesty International oder der Háttér Society zusammen. 

Zum Pride in diesem Jahr betonte er: „Die Zukunft unserer Community darf nicht von der Haltung eines bestimmten Politikers abhängen. Die Pécs Pride 2025 war eine friedliche und erfolgreiche Pride, bei der Tausende von Menschen als EU-Bürger marschierten und ihr Recht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit ausübten.“ Im Verhör der Polizei betonte er außerdem, dass er zwar die Öffentlichkeit zur Pride eingeladen habe, er aber trotzdem nicht schuldig sei, denn er habe damit lediglich sein „Grundrecht auf friedliche Versammlungs- und Meinungsfreiheit ausgeübt, das durch europäisches und internationales Recht garantiert ist.“

Warum schweigt die EU weiterhin?

Amnesty International und weitere queere internationale Verbände schlagen Alarm, denn sollte der junge Lehrer tatsächlich verurteilt werden, entsteht ein gefährliches Ungleichgewicht in ganz Europa: „Wie lange wird die Europäische Kommission noch in ´Bewertungsmodus´ bleiben, während ein Lehrer wegen der Ausübung der Rechte, die sie zu schützen vorgibt, mit einer Gefängnisstrafe rechnen muss? Im Oktober 2025 stellte die Kommission ihre neue Strategie für LGBTIQ+-Gleichstellung 2026-2030 vor und erklärte, dass ´alle Menschen in der Europäischen Union sicher sein und frei sein sollten, sie selbst zu sein´. Doch nur wenige Wochen später wird in einem EU-Mitgliedstaat ein Menschenrechtsverteidiger wegen genau dieser Tätigkeit strafrechtlich verfolgt – und die Reaktion der Kommission beschränkt sich auf prozedurales Schweigen.“

Und weiter: „Die Glaubwürdigkeit der neuen Strategie der Union wird nicht an Pressemitteilungen gemessen werden, sondern daran, was in Pécs geschieht. Wenn ein Lehrer in einem EU-Mitgliedstaat wegen der Organisation einer Pride-Parade mit Gefängnis bestraft werden kann, steht nicht nur die ungarische Demokratie auf dem Spiel, sondern auch die Glaubwürdigkeit der Europäischen Union selbst“, so die Stellungnahme von Amnesty. Die EU müsse daher sofort ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn einleiten. Außerdem müsse das Thema endlich auch unter den anderen EU-Mitgliedsstaaten deutlich mehr Aufmerksamkeit bekommen. 

Angriff auf das Wesen Europas 

Ähnlich bewertet das auch die queere Organisation Europa Radicale, deren zwei Sprecher jetzt erklärten: „Die individuelle Freiheit ist unantastbar. Wer gegen die Organisatoren einer Pride-Parade vorgeht, greift das Wesen Europas an: das Recht, man selbst zu sein, friedlich zu demonstrieren und frei zu lieben. Wir dürfen angesichts dieser autoritären Entwicklung nicht schweigen. Wir appellieren an das Europäische Parlament, die Europäische Kommission und alle demokratischen Kräfte in Europa, sich zu einer sofortigen politischen und rechtlichen Druckaktion zusammenzuschließen, um die Rechtsstaatlichkeit und die LGBTIQ+-Rechte in Ungarn zu verteidigen. Europa kann es sich nicht leisten, zu tolerieren, dass ein seiner Mitgliedstaaten diejenigen verfolgt, die die Freiheit verteidigen. Entweder wir reagieren jetzt oder wir akzeptieren, dass Freiheit in Europa zu einem Privileg und nicht zu einem universellen Recht wird.“

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